Argentinische Journalistin zum G20-Gipfel: „Ich glaube nicht an Objektivität“
Vor dem G20-Gipfel geraten in Argentinien auch kritische Journalist*innen unter Druck. Ein Gespräch über Angriffe und ideologisch begründete Kündigungen.
taz: Frau Balderrama, am Wochenende findet der G20-Gipfel in Buenos Aires statt. Sie arbeiten selbst dort als Journalistin. Was bedeutet das für argentinische Journalist*innen?
Carolina Balderrama: Der Gipfel findet zum ersten Mal in einem Land wie Argentinien statt, im globalen Süden und zudem in ständiger Wirtschaftskrise. Wir sehen die Auswirkungen neoliberaler Sparpolitik hier Tag für Tag: Die staatliche soziale Infrastruktur wird ausgehebelt, Spekulationen werden begünstigt. Die drei zentralen Themen am Wochenende sollen sein: die Zukunft der Arbeit, der Ausbau einer „Entwicklungsinfrastruktur“ und die garantierte Versorgung mit Grundnahrungsmitteln. Aber welche „Zukunft der Arbeit“ gibt es in einem Land, in dem Gewerkschafter*innen staatlichen Repressionen ausgesetzt sind und unzählige Menschen wegen neuer Sparauflagen des IWF ihre Jobs verlieren? Wie können wir über Ernährungssicherheit reden, wenn hier immer mehr Menschen nichts zu essen haben? Als Journalist*innen müssen wir genau diese Geschichten erzählen. Der G20-Gipfel ist unsere Chance, das Märchen vom Wirtschaftswachstum zu enttarnen als das, was es ist, nämlich eine Farce.
Ende Oktober ging ein Video durch die sozialen Netzwerke, das die brutale Festnahme des argentinischen Journalisten Nacho Levy nach einer Demonstration zeigte. Es war nicht der einzige derartige Angriff auf Journalist*innen. Wie gefährlich lebt es sich hier als kritische*r Journalist*in?
Prinzipiell ist nicht der Journalismus gefährlich, sondern es ist gefährlich, an Demonstrationen teilzunehmen. Die Festnahme von Levy fand etwa 20 Wohnblöcke vom eigentlichen Demogeschehen entfernt statt. Offiziell heißt es immer, dass wir unser Recht wahrnehmen können, auf die Straße zu gehen. Aber nach den Demonstrationen beginnt eine regelrechte Jagd auf die Teilnehmer*innen. Oft trifft es dabei Journalist*innen, weil wir in der ersten Reihe stehen und fotografieren oder filmen.
Sie haben für die staatliche Nachrichtenagentur Télam gearbeitet und wurden gefeuert. Warum?
Nicht nur ich wurde gefeuert. Insgesamt gab es 357 Entlassungen bei Télam, das sind 40 Prozent der Beschäftigten. Die Begründung: Wir seien zu ideologisch und daher nicht geeignet, in einer staatlichen Nachrichtenagentur zu arbeiten. Der Staatssekretär für den öffentlichen Rundfunk, Hernán Lombardi, kündigte am 26. Juni im Radio die Entlassungswelle an. Noch am gleichen Morgen bekamen wir die Kündigungsschreiben. Darin stand aber, dass es sich um „Umstrukturierungsmaßnahmen“ handle.
Wie ist diese Kündigungswelle einzuordnen?
Wir waren die Ersten, die wegen der Sparprogramme ihre Jobs verloren. Es mussten diejenigen gehen, die die Politik von Präsident Macri am kritischsten kommentierten. Das bedeutet, dass das System öffentlicher Medien untergraben wird und kritische Stimmen gezielt mundtot gemacht werden.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Noch an dem Tag, an dem uns die Kündigungen erreichten, haben wir eine Versammlung organisiert und Teile der beiden Agenturgebäude in Buenos Aires besetzt. Über Monate gab es Demonstrationen, Streiks und eine Kampagne in den sozialen Netzwerken. Wir wollten erzählen, welche individuellen Geschichten hinter der Nachrichtenagentur und nun hinter diesen Kündigungen standen. Die Kampagne hieß #SomosTélam. Gleichzeitig sind wir auch den juristischen Weg gegangen und haben uns auf unsere Rechte berufen, die im Journalistengesetz verankert sind, das Ergebnis eines jahrelangen Arbeitskampfes. Im Oktober urteilte das Arbeitsgericht in Buenos Aires, dass 138 Entlassungen unmittelbar rückgängig gemacht werden müssten. Aber noch sind nicht alle Fälle endgültig geklärt.
Die Journalistin und feministische Aktivistin arbeitete bis Juni bei der argentinischen Nachrichtenagentur Télam.
Wie ist Ihre persönliche Situation?
Ich wurde noch nicht wieder eingestellt und arbeite als Dozentin an einer staatlichen Universität. Einen Job als Journalistin zu finden ist in Argentinien gerade quasi unmöglich.
Sie sind Teil des feministischen Forums gegen G20. Gehören für Sie Journalismus und Aktivismus zusammen?
Wenn ich sage, ich bin feministische Journalistin und Dozentin, dann meine ich damit eine gesellschaftliche Position und daran anknüpfend meine politische Perspektive auf die Welt. Journalismus bedeutet für mich notwendigerweise, eine Haltung anzunehmen. Ich glaube nicht an die sogenannte Objektivität.
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