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Argentiniens Ex-PräsidentinKirchner vor dem Kadi

Vor der Wahl im Oktober erscheint Argentiniens ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner wegen Korruption erstmals vor Gericht.

Kirchner am Dienstag mit einem ihrer Anwälte vor Gericht in Buenos Aires Foto: reuters

Buenos Aires taz | Erstmals sitzt Argentiniens ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner auf der Anklagebank. Vor dem Zweiten Bundesgericht in Buenos Aires begann am Dienstag die mündliche Verhandlung wegen des Vorwurfs der Korruption. Der Prozess bildet den Auftakt von mehreren Korruptionsverfahren, die gegen die 66-Jährige anhängig sind. Kirchner war Präsidentin von 2007 bis 2015.

Zwar genießt Kirchner als amtierende Senatorin parlamentarische Immunität, aber diese bewahrt sie nicht davor, sich vor Gericht verantworten zu müssen. Ihr wird vorgeworfen, Anführerin einer illegalen Vereinigung gewesen zu sein. Diese habe öffentliche Aufträge zu überhöhten Preisen an den Bauunternehmer Lázaro Báez vergeben.

Verhandelt werden 51 Aufträge mit einem Volumen von rund 46 Milliarden Peso, heute umgerechnet knapp eine Milliarde Euro. Báez, der im Verdacht steht, als Strohmann fungiert zu haben, ist ebenso angeklagt wie auch Kirchners früherer Planungsminister Julio de Vido. Beide, Báez und de Vido, sind in Untersuchungshaft.

Auf der Anklagebank sitzen insgesamt 13 Personen, darunter auch José López, der frühere Staatssekretär im Planungsministerium. López war 2016 bei einer nächtlichen Aktion erwischt worden, bei der er Säcke und Koffer mit Banknoten von umgerechnet etwa acht Millionen Euro über eine Klostermauer warf. López hat als einziger der Angeklagten das Einsammeln von Bestechungsgeldern zugegeben.

„Es handelt sich um einen neuen Akt der Verfolgung mit einem einzigen Ziel: eine für die Regierung oppositionelle Ex-Präsidentin im laufenden Präsidentschaftskampf auf die Anklagebank zu setzen“, twitterte Kirchner am Dienstag. Die Prozessdauer wird auf etwas über ein Jahr geschätzt und reicht damit weit über den Termin der anstehenden Präsidentschaftswahl im Oktober hinaus.

Streit um Prozessbeginn

Mehrfach hatten Kirchners Anwälte versucht, den Prozessbeginn zu verzögern. Noch vergangenen Mittwoch hatte der Oberste Gerichtshof auf Antrag der Verteidiger beschlossen, sich die Prozessakten zur Durchsicht kommen zu lassen. Angesichts der zu prüfenden Menge von mehreren zehntausend Seiten wäre der Prozesstermin geplatzt.

Womit die obersten RichterInnen offensichtlich nicht gerechnet hatten, war der Sturm der Entrüstung, den sie lostraten. Allen voran die konservative Regierungsallianz Cambiemos von Präsident Mauricio Macri kritisierte das Vorgehen als politisch motiviert. Nachdem am selben Abend in einigen wohlhabenderen Vierteln der Hauptstadt aus Protest die Kochtöpfe schepperten, ruderten die RichterInnen tags darauf zurück. Die Akten wurden lediglich kopiert und der Prozessbeginn bestätigt.

Während sich die Umfragewerte von Amtsinhaber Mauricio Macri vor der Wahl im Oktober im Sinkflug befinden, hat Cristina Kirchner zuletzt zugelegt. Doch kurz vor Prozessbeginn erklärte sie überraschend ihren Verzicht auf eine Kandidatur für das Präsidialamt. Am Samstag dann stellte sie ein Video ins Netz, in dem sie ihren ehemaligen Kabinettschef, Alberto Fernández, zum Präsidentschaftskandidaten ernannte und verkündete, selbst nur als Kandidatin für die Vizepräsidentschaft anzutreten.

Vor dem Gerichtsgebäude hatte sich am Dienstag nur eine kleine Sympathisantengruppe von Kirchner versammelt. Kirchner selbst hatte ihre Anhängerschaft zum Verzicht auf Unterstützungs- oder Protestaktionen aufgefordert. Der frisch gekürte Präsidentschaftskandidat Alberto Fernández war ebenfalls nicht zum Prozessauftakt erschienen, auch weil er im Prozessverlauf als Zeuge erscheinen muss.

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4 Kommentare

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  • Schwarzgeld in Säcken und Koffern über eine Klostermauer geworfen? Da fällt Einem sofort der damalige Herr Schäuble ein oder?

    Aber der hat sich ja völlig geändert.

  • Wahljahr in Argentinien/Instrumentalisierung der Justiz seitens Präsident Macri Regierung gegen Oppositionelle / "Wenn die Beweise keine Rolle spielen" (Raul Kollman/ Pagina 12): "Der Beginn des Prozesses gegen Cristina Fernández de Kirchner und ehemalige Beamte begann trotz der Tatsache, dass die zur Feststellung des Verhältnisses zwischen Zahlungen und ausgeführten oder nicht ausgeführten Arbeiten erforderlichen Prüfungen nicht durchgeführt wurden. 2016 begann der Fall. Das Ziel war vom ersten Moment an politisch: Damals die Schuld auf "das schwere Erbe" zu schieben, um die vom Präsidenten Macri Regierung verursachten wirtschaftlichen Katastrophen zu rechtfertigen. Dann bestanden sie auf dem Gedanken: "Sie haben ein PBI gestohlen", auch um den Arbeitern und Rentnern das Hekatomb zu erklären. Heute ist ein eiliger Prozess eine verzweifelte Notwendigkeit für die Wahlen. Drei Jahre vergingen, ohne ein elementares Gutachten zu erstellen: konkret zu sehen, ob die Arbeiten durchgeführt wurden oder nicht, ob mehr als fällig berechnet wurde, ob etwas nicht in Rechnung gestellt wurde, ob die Verzögerungen begründet waren. Die Staatsanwälte haben nicht um das Gutachten gebeten, es wurde weder vom Richter noch von der Bundeskammer oder vom Kassationsgericht angeordnet. Als das Oberste Gericht Anstalten machte, den Prozess zu verschieben, um die Expertise anzuordnen, gab es heftige Reaktionen seitens der Regierung Macri. Die einzige Erklärung, warum diese Prüfung seit drei Jahren nicht mehr durchgeführt wurde und jetzt nicht bei allen befragten Bauarbeiten durchgeführt wird, ist, dass sie Angst vor den Schlussfolgerungen haben. Es ist so, dass die von Macris Regierung angeordnete Auditierung mit zwei Ingenieuren und einem von der macrismo ernannten Buchhalter ergab, dass "konstruktive Mängel von Relevanz nicht nachgewiesen werden, ebenso wenig wie Aufgaben, die ohne Ausführung zertifiziert wurden" und dass "was als bezahlt erschien, getan wurde".

    • @isadeviaje:

      Danke Isadeviaje für diese wichtige Richtistellung des unmöglich tendenziösen Berichtes von Herrn Vogt! Ich habe zwar ebenfalls schon gestern ausführlich diesen zurückgewiesen, aber ebenfalls wie oft vorher wurde mein Beitrag nicht berücksichtigt. Bliebe nur noch hinzuzufügen, dass (wie ich es gestern schrieb) zusammen mit Bolsonaro die beiden übelsten und schamlosesten Stieffellecker Trump's und der USA sind (siehe ihre Kriecherhaltung zu den Angriffen der USA gegen Venezuela). So versteht man auch Macris Ausverkauf Argentiniens an den IWF und die ebenso plumpe wie maffiöse und Kriminelle Aktionen nicht nur gegen Frau Kirchner wie gegen alle Mitglieder der vorherigen Regierung. [...] Pastor Dr. (Uni Hamburg) Arturo Blatezky, Mitglied der Ökumenischen Menschebrechtsbewegung in Argentinien - Vorsitzrnder der "Gedenkstätte Quilmes für Gedächnis, Wahrheit und Gerechtigkeit, ehemaliges KZ "Das Loch von Quilmes".

      Kommentar gekürzt. Bitte verzichten Sie auf pauschale Unterstellungen. Danke, die Moderation

      • @Arturo Blatezky:

        Es ist sehr wichtig, Arturo, unseren Beitrag zur Berichtigung der irreführenden Berichtstattung über die aktuellen politischen Angelegenheiten Lateinamerikas zu leisten. Komisch, dass die Artikel des Korrespondenten der taz in Lateinamerika für Verfahren und Politiker sprechen, die die taz in Europa nicht unterstützen würde. In einer Welt, in der ein Bild mehr als tausend Worte sagt: Warum veröffentlicht die taz das Foto des ehemaligen Präsidenten Fernandez de Kirchner, aber nicht das von Bolsonaro mit Präsident Macri als dicke Freunde? Bolsonaro ehrte Macri mit seinem ersten Staatsbesuch und rief dazu auf, für Macri zu voten.