Krise in Argentinien: Die Angst kehrt zurück
Der Peso fällt, die Armut steigt – Argentiniens Wirtschaftslage wird schlechter. Ex-Präsidentin Kirchner macht sich Hoffnung auf ein Comeback.
Kostete ein Dollar vor einem Jahr noch 20 Peso, müssen jetzt 47 Peso berappt werden. Im Regierungslager liegen deshalb die Nerven blank. Befürchtet wird, dass sich eine ähnliche Abwertungsrallye wiederholen könnte wie vor einem Jahr. Damals waren die Währungen der Schwellenländer ebenfalls unter Druck geraten. Auch damals hatte es den Peso am ärgsten gebeutelt und die Regierung schließlich zum Bittgang zum Internationalen Währungsfonds gezwungen.
Argentiniens Länderrisiko, aufgestellt von der US-amerikanischen Bank JP Morgan für die Vergabe von Krediten, kletterte in diesen zwölf Monaten von 420 Punkten auf zeitweilig über 1.000 Punkte. „Das Länderrisiko steigt, weil die Welt Angst davor hat, dass die Argentinier zurück in die Vergangenheit wollen,“ vermutet Argentiniens konservativer Präsident Mauricio Macri. Die internationalen Finanzmärkte würden offenbar ein mögliches Comeback von Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner befürchten.
Sie hatte in ihrer Amtszeit Argentinien durch Devisenkontrollen und hohe Exportsteuern bewusst abgeschottet und weigerte sich, Altschulden im Ausland zu bedienen, die noch aus der Zeit vor der Staatspleite 2001 übrig geblieben waren. Dass Argentinien daraufhin international nicht mehr als kreditwürdig galt, nahm sie mit Absicht in Kauf. Ihr Ziel war es Argentinien von den internationalen Finanzmärkten unabhängig zu machen.
Armut wächst rasant
Die Menschen im Land leiden aber unter der Abwertung. Denn verteuert sich für sie der Dollar, steigt auch die Inflationsrate. Zwar werden die Waren in Peso verkauft. Doch längst werden die Preise nach der heimlichen Zweitwährung Dollar bemessen. Bevor vor einem Jahr die Abwertungsrallye begann, lag die Inflation bereits bei einem Plus von 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Ende des vergangenen Jahre war die Rate bereits auf über 40 Prozent angestiegen. Für 2019 wird inzwischen mit einem Preisanstieg von über 50 Prozent gerechnet.
Damit einhergehend ist Argentiniens Wirtschaft im Mai vergangenen Jahres in eine Rezession geschlittert, die bis heute anhält. Eine Erholung ist nicht in Sicht. Um den Pesoverfall und die Inflation wenigsten etwas einzudämmen, fährt die Zentralbank eine Hochzinspolitik. Gegenwärtig liegt der Zinssatz für Pesoanleihen bei 70 Prozent Jahreszins. Viele der kleinen und mittleren Unternehmen stehen deshalb mit einem Bein über dem Abgrund. „Der hohe Zinssatz schneidet den Unternehmen schlicht den Zugang zu Investitionskrediten ab,“ sagt der Ökonom Guillermo Bermúdez von der Stiftung für Wirtschafsforschung FIEL.
In der Bevölkerung geht die Angst bereits um. Teile der Mittelklasse rutschen wieder in die Armut ab, viele Arme droht die Verelendung. Das belegen die Anfang April veröffentlichten Zahlen der staatlichen Statistikbehörde Indec. Demnach lebten im vergangenen Jahr 32 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Die absolute Zahl lag bei 14,3 Millionen und damit rund 3 Millionen höher als 2017. Die Zahl der in extremer Armut lebenden Argentinier erhöhte sich um 870.000 auf gut drei Millionen.
Im Oktober stehen Präsidentschaftswahlen an. Lange hatte Macris Wiederwahl als sicher gegolten. Doch immer weniger ArgentinierInnen haben Angst vor der Vergangenheit. Inzwischen liegt die ehemalige Präsidentin Cristina Kirchner auch in seriösen Umfragen vorn, sollte es zwischen Macri und ihr zu einer Stichwahl kommen. Cristina Kirchners Umfragewerte steigen kontinuierlich an, obwohl offen ist, ob sie überhaupt als Kandidatin antritt.
In ihrem gerade veröffentlichtem Buch „Sinceramente – Ganz ehrlich“ teilt sie jedoch schon mal aus: „Wenn ich Mauricio Macri in einem Wort definieren müsste, dann ist das Einzige, was mir einfällt: Chaos. Ja, … Mauricio Macri ist das Chaos und ich glaube fest, man muss Argentinien wieder ordnen.“
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