Archiv über NS-Akten im Netz: Online lesen, was Nazis raubten
Daten über Berliner Jüdinnen und Juden gehen online. Jeder kann sehen, wen die Deutschen damals enteignet, deportiert und ermordet haben.
Kurt Gumpert hinterließ kein verwertbares Eigentum. „Sachen nicht vorhanden. Raum leer“, heißt es im Schreiben eines Gerichtsvollziehers vom Februar 1943. Da war Kurt Gumpert schon lange ermordet. Monate später meldete ein Verwandter, es existiere ein Sparkassenbuch von Gumpert mit einer Einlage von 297,35 Mark. Der Betrag wurde zugunsten des Staates eingezogen.
Kurt Gumperts Akte des Oberfinanzpräsidenten, aus dem viele dieser Informationen hervorgehen, ist seit dem Dienstag viel leichter einsehbar als zuvor. Die Informationen über seine Ausplünderung, so wie von Tausenden weiteren Berliner Jüdinnen und Juden durch den NS-Staat, stehen online. So kann jeder, der es wissen will, ohne großen Aufwand mehr über jüdische Menschen aus Berlin erfahren. Die Website kennt nicht nur die Namen der Deportierten, sondern oft auch Straßen und Hausnummern ihrer letzten Adressen.
Es handelt sich um 40.460 Akten mit 2,5 Millionen Seiten, so Friederike Scharlau vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv. Die Digitalisierung geschah im Rahmen eines von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) finanzierten Projekts zur Forschung zu NS-Raubgut.
Letzte Zeugnisse der betroffenen Menschen
Die Dokumente, bisweilen nur wenige Seiten lang, andere dick wie ein Buch, dokumentieren die Ausplünderung der deutschen Juden ab 1941 durch den NS-Staat, genauer durch den Oberfinanzpräsidenten und die „Vermögensverwertungsstelle“. Menschen, die deportiert wurden, verloren ab dem Moment, in dem sie die Grenzen Deutschlands überschritten, all ihren Besitz, der an den Staat fiel.
„Jeder kann nun selbst nachlesen, was damals geschah“, sagt Dominic Strieder, wissenschaftlicher Archivar des Projekts. Oft seien diese Akten die letzten Zeugnisse der betroffenen Menschen, die der Nachwelt geblieben seien – ihre Unterschrift häufig das letzte auf Papier gebrachte sichtbare Lebenszeichen. Große Teile des Besitzes der Ermordeten wurden bei öffentlichen Auktionen versteigert. So mancher Tisch, so manches Bild und so mancher Kerzenhalter dürfte bis heute in deutschen Wohnstuben vom größten Raub der Geschichte zeugen.
Das Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam, zentrales Archiv des Bundeslandes, folgt mit der Digitalisierung und Online-Präsentation der Dokumente einem Trend. Auch andere Archive haben in jüngster Zeit große Teile ihrer Bestände über NS-Opfer im Internet verfügbar gemacht und erleichtern damit Historikern wie Laien die Recherche. An erster Stelle ist das Arolsen-Archiv mit Dokumenten über 17,5 Millionen Verfolgte zu nennen, noch vor 20 Jahren eine fest verschlossene Einrichtung. Heute stehen die meisten Informationen online zur Verfügung. Hintergrund dieser Entwicklung ist auch das Ende von Schutzfristen für personenbezogene Daten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“