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Aktivist will Akten fressen

Jahrelang wurden Mitglieder des Berliner Sozialforums vom Landesverfassungsschutz bespitzelt. Einsicht in ihre Akten erhielten Aktivisten nur in Ausnahmefällen. Heute befasst sich das Verwaltungsgericht mit der Klage eines Betroffenen

Muss das Landesamt für Verfassungsschutz Daten herausgeben, die es über politische Aktivisten gesammelt hat? Mit dieser Frage setzt sich ab heute das Verwaltungsgericht auseinander. Kläger ist der langjährige Aktivist des Berliner Sozialforums Wilhelm Fehse. Er und 19 weitere Personen hatten im vergangenen Jahr beim Verfassungsschutz Einsicht in ihre Akte beantragt – ohne Erfolg.

Zuvor war bekannt geworden, dass das Sozialforum seit seiner Gründung im Jahr 2002 bis zum Sommer 2006 von mindestens vier V-Leuten des Bundesamts für Verfassungsschutz und einen Mitarbeiter des Landesamts ausgeforscht wurde. Die Bespitzelung sorgte bundesweit für Schlagzeilen, aber als einziger Betroffener erhielt der emeritierte Politologieprofessor Peter Grottian, der sich ebenfalls seit Jahren im Sozialforum engagiert, Akteneinsicht. Anderen AktivistInnen wurde die Einsicht in die über sie gesammelten Daten mit der Begründung verwehrt, dies könne unzulässige Aufschlüsse über Arbeitsweise und Quellen des Verfassungsschutzes ermöglichen.

Wilhelm Fehse hofft, dass seine Klage eine neue Debatte über die Rolle des Verfassungsschutzes bei sozialen Initiativen anstößt. Die ist seiner Meinung nach Bekanntwerden der Bespitzelungen zu schnell eingeschlafen. Dabei, so Fehse, belege ein Blick in die öffentlichen Protokolle des Verfassungsschutz-Ausschusses die flächendeckende Ausforschung nahezu sämtlicher sozialer Bewegungen in Berlin. Es existierten Akten zu sämtlichen bedeutenden Projekten des Berliner Sozialforums und der mit ihm verbundenen Initiativen. „Über das geplante Soziale Zentrum in der Glogauer Straße wird ebenso berichtet wie über Aktionen der Initiative Berliner Bankenskandal, die Aktion ‚Agenturschluss‘ der Erwerbslosenbewegung, die Bettel-Demonstration im Grunewald, die Schwarzfahr-Aktion zur geplanten Abschaffung des Sozialtickets und die Vorbereitung der G-8-Proteste.“

Fehses Rechtsanwalt Sönke Hilbrans erhofft sich gute Chancen für einen Erfolg seines Mandanten: „Das wäre ein Signal für die Stärkung des Bürgerrechts auf informationelle Selbstbestimmung, das nicht mit dem Verweis auf den Quellenschutz des Verfassungsschutzes einfach ausgehebelt werden kann“, so Hilbrans gegenüber der taz.

PETER NOWAK

Prozessbeginn 9.30 Uhr, Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstr. 7. Die Verhandlung ist öffentlich.

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