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Göttingen betrügt arbeitslose Diabetiker

Die Stadt verweigert kranken Sozialleistungsempfängern Zahlungen, die diese für spezielle Nahrung brauchen. Mit dieser Praxis gefährden die Behörden die Gesundheit tausender Menschen – und sie verstoßen gegen geltendes Recht

GÖTTINGEN taz ■ Entgegen der geltenden Rechtsprechung weist die Stadt Göttingen ihre Mitarbeiter an, vielen Erwerbslosen krankheitsbedingte Mehrkosten nicht auszuzahlen. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen hat am 31. Januar entschieden, dass bei Diabetes und zwei weiteren Krankheiten für EmpfängerInnen von Sozialleistungen ein Mehrbedarf für Ernährung anzuerkennen sei.

In einem internen Schreiben, dass der taz vorliegt, informiert die Stadt ihre Mitarbeiter über die Entscheidung und weist sie an, sie zu ignorieren. „Um weitere Klageverfahren in Fällen mit gleichem Sachverhalt und die damit entstehenden Kosten zu vermeiden“, heißt es in dem Schreiben, sei bei einer Erstentscheidung über einen Mehrbedarfsantrag das Ersuchen abzulehnen. Erst wenn ein Widerspruch gegen die Ablehnung bei der Behörde eingeht, sollen die Mehrbedarfskosten an die Kranken ausgezahlt werden.

Hartmut Kaiser, Sprecher der Stadt Göttingen, nimmt den Landkreis in die Pflicht. Als ausführende Kommune sei die Stadt in diesem Fall weisungsgebunden. „Der Landkreis hat uns diese Vorgehensweise vorgegeben“, sagte er der taz. Göttingen in Niedersachsen ist keine kreisfreie Stadt. Beim Landkreis war der zuständige Mitarbeiter am Freitag nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Die Weisungshierarchien der Kommunen legen den Schluss nahe, dass dieselbe Praxis auch in den anderen Städten des Kreises angewendet wird.

„Der Landkreis wird so lange seine rechtswidrige Vergabepraxis aufrechterhalten, bis die Kosten der Widerspruchsverfahren die Einsparungen durch die Kürzungen übersteigen“, sagte der Göttinger Anwalt Sven Adam. Er behauptete schon länger, dass sich die Kommunen über die Rechtswidrigkeit ihrer Vergabepraxis im Klaren seien. „Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Auf Kosten von kranken Erwerbslosen setzt der Landkreis eine Sparpolitik durch“, sagte Adam. „Und das gegen die aktuelle Rechtsprechung des Landessozialgerichtes.“

In jüngerer Vergangenheit wurde der Kreis bereits mehrfach wegen seines Umgangs mit Beziehern von Sozialleistungen kritisiert. „Wir stellen leider zunehmend fest, dass der Landkreis im Hinblick auf Arbeitslosengeld zwanghaft alles kontrolliert, nur nicht die Rechtmäßigkeit der eigenen Leistungen“, sagte der sozialpolitische Sprecher der Göttinger Grünen, Mehmet Tugcu.

Im Kreis Göttingen sind schätzungsweise 1.100 SozialleistungsempfängerInnen an Diabetes erkrankt. An Diabetes leidende Menschen sind auf spezielle Nahrungsmittel angewiesen, die teurer als normale sind. Der Deutsche Verein für öffentliche und private Vorsorge spricht von Mehrausgaben in Höhe von 51,13 Euro pro Monat – das sind knapp 15 Prozent des Standardsatzes für Hartz-IV-EmpfängerInnen. Es ergäbe sich eine Ersparnis von monatlich mehr als 55.000 Euro für den Landkreis, wenn er den Betroffenen die Leistung vorenthält.

Das Landessozialgericht hatte den Kreis Göttingen bereits im Januar ermahnt, den Kranken die Mehrleistungen nicht länger vorzuenthalten. „Weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass den Antragstellern existenzsichernde Leistungen vorenthalten würden“, heißt es in dem Beschluss des Landessozialgerichts.

BENJAMIN LAUFER

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