piwik no script img

Der Ampelmann

Früher hatte er mal ein Moped. Aber das ging dann kaputt. Markus Schmidt vermisst es nicht

von HEIDE PLATEN

Der Mann läuft durch die Welt wie der wandelnde Bildschirmschoner. Dutzende bunter Monitore schillern in Regenbogenfarben auf dem kurzärmligen Freizeithemd. Die Längsstreifen seiner Jeans, schwarzweiß, sind lesbar wie Strichkodes an der Supermarktkasse. Sonst ist irgendwie alles rund an dem großen Kerl, der Bauch, der ovale Kopf mit der Stirnglatze, helle, weiche Fusselhaare obenauf. Die graubraunen Augen hinter der Brille zwinkern vergnügt, die Grübchen in den gemütlichen Wangen und der Mund, dessen Winkel immer ein wenig nach oben zeigen, signalisieren: Es darf gelacht werden, ich bin ein fröhlicher Mensch.

Dabei nimmt Markus Schmidt (31) alles ziemlich ernst. Oder zumindest wörtlich, besser noch, beim Wort. Ihm ist es ernst mit dem Unweltschutz, mit der grünen Politik, mit Nachhaltigkeit und ökologischem Umbau der Gesellschaft. Das geeignete Betätigungsfeld hat er als Vorstandsmitglied des Vereins „autofrei leben!“ eher gefunden als gesucht. Nein, sagt er, er sei kein Autohasser. Er finde diese Fahrzeuge nur lästig. Deshalb habe er ihnen den Kampf angesagt. Einen auslösenden Moment für seine Passion habe es nicht gegeben, nicht in seiner „eigentlich ganz normalen Kindheit“, nicht als Jugendlicher und nicht als Student des Maschinenbaus. Nur dass er immer schon gerne Rad gefahren sei und dass sein Großvater in seinem Heimatdorf im Laden neben Spielzeugeisenbahnen eben auch Fahrräder und deren Zubehör anbot. Eigentlich sei es auch für ihn, wie für jeden in seiner Generation, selbstverständlich gewesen, dass er den Führerschein macht. Eigentlich, denn: „Irgendwie ergab es sich nicht so.“ Ein Moped habe er mal gehabt, es aber nicht vermisst, als es kaputtging.

Genauso wenig wie ein Auto. Der Führerschein sei ihm eben einfach nicht so wichtig gewesen wie anderen seiner Generation, zu viel Aufwand an Zeit, zu teuer, überflüssig: „Vielleicht weil ich nicht so ehrgeizig war.“ Sein eigentliches Aha-Erlebnis habe er aber erst nach dem Umzug nach Frankfurt gehabt. Der öffentliche Personennahverkehr am Main sei „ganz prima“. Er komme mit Bussen und Bahnen schnell überallhin. Außerdem habe er vor 1990 geglaubt, die Umweltpolitik werde die Zukunft bestimmen. Viele seiner Freunde seien nur noch „mit schlechten Gewissen“ in ihre Blechkisten gestiegen, Energiesparen sei ein großes Thema gewesen, Ökologie bei allen politischen Parteien groß geschrieben worden: „Damals war die Stimmung gegen das Auto.“ Er habe aber schnell gemerkt, dass das eigentlich gar nicht ernst gemeint gewesen sei. Planer, Politiker, Industrie, auch viele in seinem Bekanntenkreis hätten die Konsequenzen immer wieder „auf den Sankt-Nimmerleins-Tag“ verschoben. Ständig habe er nur „Wenn, dann …“ gehört. Und nach der Wende sei sowieso alles vorbei gewesen, andere gesellschaftliche Probleme wichtiger geworden: „Das hat mich geärgert.“

Markus Schmidt versuchte sich als mündiger Bürger: „Ich wollte den Rechtsstaat testen.“ Er zeigte die Fußwegparker vor seinem Studentenheim an, „gar nicht viele, so 50 bis 100“. Das brachte zwar keine Änderung des Parkverhaltens, wohl aber eine Einladung des zuständigen Polizeireviers „zum klärenden Gespräch“. Dort gab man ihm höflich zu verstehen, dass man nicht geneigt sei, seinen Anzeigen nachzugehen, ihn aber warnen wolle, denn wütende Anwohner hätten schon gedroht: „Die drehen Ihnen den Hals um.“ Das, sagt er lakonisch, „hat mein Bild vom Rechtsstaat etwas beschädigt“.

Er suchte Gleichgesinnte. Zuerst einmal interessierte er sich 1997 für den „AutoGeher“ Michael Hartmann. Der war in München jahrelang dadurch aufgefallen, dass er die Straßen durch Sitzblockaden für sich beanspruchte und über auf Gehwegen widerrechtlich geparkte Autos, über Kühlerhauben, Autodächer, Hecks einfach hinwegspazierte, insgesamt über 2.000-mal. Mehrere Gerichte verurteilten ihn wegen „vorsätzlicher Sachbeschädigung“ und „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“ zu Geldstrafen, die Staatsanwaltschaft forderte am Ende vier Jahre Haft. Der Bundesgerichtshof sprach ihn in einer Revisionsverhandlung frei.

Der aktive Widerstand des Michael Hartmann hatte schnell einen Namen: Car- und Streetwalking. Das, befand auch Markus Schmidt, sei der richtige Fußweg, um gegen den Menschen gefährdenden Straßenverkehr und die Zurichtung der Umwelt auf den Straßenverkehr zu protestieren. Ein „europaweites Treffen“ von Autogegnern in München allerdings fand, außer bei der Polizei, wenig Interesse. 1998 entstand der Verein „autofrei leben!“. Zur ersten Konferenz in Weimar kamen im Februar 1999 schon 250 Leute: „Das hat mir wieder ein bisschen Mut gemacht.“

Sein Verein lehnt Autofahren nicht rundheraus ab, er selbst ist zu höflich, um das Eingeständnis von Gelegenheitsfahrten zu kommentieren. Er rechnet potenziellen Mitgliedern aber vor, dass der wirkliche Bedarf an unvermeidbaren Autofahrten höchstens zehn Prozent des heutigen Bestandes betrage. Schmidt schrieb eine „neue Straßenverkehrsordnung“. Dass es schon ein gleichnamiges Werk gab, merkte er erst bei seinen Recherchen im Internet. Die Schrift war von der Roten Armee Fraktion (RAF) als Aufruf zum bewaffneten Kampf in Europa verfasst worden. Markus Schmidt streitet nicht gegen den Monopolkapitalismus, sondern für die Rechte der unterdrückten Fußgänger, gegen deren Benachteiligung im Straßenverkehr, der ausschließlich auf die „qua kinetischer Energie“ bewaffneten Gewaltmonopolisten Autofahrer zugeschnitten sei, juristisch wie faktisch. Was leicht zu beweisen war, keine Waffengleichheit zwischen PS und ungeschütztem, blechlos auf die Gehwege verbanntem Zweibeiner, der in der Rangordnung ganz unten steht und gezwungen ist, an den Bordsteinkanten „für die Raser auch noch Spalier zu stehen“.

Im Winter 2002 klagte Schmidt mit Unterstützung des Vereins beim Bundesverfassungsgericht auf eine Änderung der bestehenden Straßenverkehrsordnung. Diese sei, begründete er, verfassungswidrig, weil sie Nichtmotorisierte eklatant benachteilige, Autofahrern dagegen eine bevorzugte Sonderstellung einräume. Dies beeinträchtige seine persönlichen Grundrechte als Fußgänger. Vor allem seien die Bußgelder für Fußgänger und Radfahrer rechtswidrig, weil sie deren im Grundgesetz garantiertes Recht auf Freizügigkeit begrenzten. Sie sollten grundsätzlich Vorfahrt haben, Autofahrer müssten sich eben von der zügigen Raserei auf Rücksichtnahme und langsames Fahren umstellen.

Ganz nebenbei fand er, dass gesetzliche Regelungen für – zugebenermaßen kaum noch verhängte – Bußgelder für Fußgänger und Radfahrer ohnehin überflüssig seien. Ihnen bliebe ohnehin gar nichts anderes übrig, als zu parieren. Verkehrserziehung geschehe heutzutage privat, täglich, zum einen durch die Macht des Faktischen, Autos seien eben die Stärkeren. Zum anderen aber auch durch die Erziehung der Kinder, die zur ständigen Vorsicht vor der legalen Todesgefahr Auto gedrillt und für Fehlverhalten bestraft werden. Auch er habe es schon als Kind ungerecht gefunden, wenn er auf dem Zebrastreifen vor dem Elternhaus gerade wieder mal mit knapper Not einem Verkehrsrowdy entkommen und zu dem Schreck auch noch gescholten worden sei: „Du musst besser aufpassen! Wieso ich?“. Schließlich bewege er sich auf eine den Menschen angemessene, natürliche Weise fort und sei dabei völlig ungeschützt an Leib und Leben bedroht, während Autofahrer, die rote Ampeln überfahren, über Bordsteinkanten brettern und Zebrastreifen ignorieren, nicht einmal mit drastischen Strafen zu rechnen hätten.

Inzwischen hat Markus Schmidt ein Buch geschrieben, um seine Thesen zu untermauern. Eigentlich sollte es „'ne simple Sache“ werden“: „Schreib ich mal schnell so 20 Seiten.“ Am Ende waren es 660. Das dauerte seine Zeit, und dafür einen Verlag zu finden, war nicht so einfach. Es sei denn, man trifft Gleichgesinnte. Ein Kommilitone mit einem kleinen Verlag kämpfte unabhängig von ihm für ein ähnlich hoffnungsloses Ziel, „die radikale Verkürzung der Arbeitszeit“ auf eine Fünf-Stunden-Woche.

Die beiden taten sich zusammen, das Buch erschien, dick und gelb mit einem Ampelmännchen auf dem Titelbild, immer grün für die Autofahrer: „Eingebaute Vorfahrt“. Das Werk ist, meint Schmidt, nicht nur gewichtig, sondern belegt seine Überzeugung, dass das Automobil auf allen Ebenen ein Übel sei. Das Vorwort hat ihm der Professor Erich Schöndorf geschrieben. Der ehemalige Staatsanwalt im Umweltdezernat lehrt an der Frankfurter Fachhochschule Umweltrecht. Der Wissenschaftler bescheingt Schmidt „neue Ideen und alternative Ansätze“. Das Buch habe, sagt Schmidt, „nur einen Haken“: „Niemand liest es.“

Schmidts Verfassungsbeschwerde wurde im März 2003 als unzulässig abgewiesen. 40 Millionen Autos auf Deutschlands Straßen und kein Ende, keine Wende absehbar, auch nicht mit Rot-Grün. Das will der Autogegner so nicht stehen lassen. Er beantragte beim Kraftfahrzeugbundesamt die „Feststellung des Erlöschens der Allgemeinen Betriebserlaubnis für Porsche-Pkw“. Die Rennomierwagen seien allesamt zu laut und verstießen somit gegen die Geräuschvorschrift der Straßenverkehrszulassungsordnung, die von Autobauern Lärmdämmung „nach dem neuesten Stand der Technik“ verlange. Der Verein „autofrei leben!“ bat Umweltminister Trittin um Amtshilfe. Zulassungsstopp für Porsche? Schmidt rechnet nicht mit Erfolg. Aber seither wird er zu Talkshows eingeladen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen