: Brechmitteleinsatz vor Gericht
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg prüft, ob der Einsatz von Brechmitteln zulässig ist. Nach Tod eines Afrikaners in Bremen fordern Politiker ein Ende der Zwangsmethode
BERLIN taz ■ Ob der Brechmitteleinsatz durch deutsche Behörden zulässig ist, muss demnächst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entscheiden. Im Dezember erklärte der Straßburger Gerichtshof die Beschwerde des Ratinger Rechtsanwalts Ulrich Busch für „zulässig“. Sein Mandant, ein Mann aus Sierra Leone, war 1993 in Wuppertal mit Ipecacuanha-Sirup behandelt worden. Er erbrach mehrere Portionen Kokain. In Deutschland blieben alle Rechtsmittel gegen den Brechmitteleinsatz erfolglos. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache muss nun die mit 17 Richtern besetzte Große Kammer in Straßburg über den Brechmitteleinsatz entscheiden.
Nach dem Tod eines Afrikaners in Bremen am Samstag hinterfragen auch Innenpolitiker in Berlin die umstrittenen Brechmitteleinsätze. Cornelie Sonntag-Wolgast (SPD), Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, forderte zu prüfen, „ob solche Maßnahmen überhaupt so ablaufen können, dass sie nicht in die gefährliche Nähe zur Folter geraten“. Sie selbst halte die Methode für „zu Recht umstritten“. Petra Pau, für die PDS im Innenausschuss, sprach ebenfalls von einer „Nähe zur Folter“. Auch die Arbeitsgemeinschaft der Juristen in der Bremer SPD verlangt eine Beendigung der Polizeimethode, weil die Gefahren für das Leben der Beschuldigten nicht zu beherrschen seien.
Den Foltervergleich halten die Innenexperten von Grünen und FDP, Volker Beck und Max Stadler, für „deplatziert“. Folter sei dadurch definiert, dass mit Zwang ein Geständnis erzwungen werde, was in Bremen jedoch nicht geschehen sei. Beck hält das Verabreichen von Brechmitteln allerdings „nicht für gerechtfertigt, weil es mildere Mittel gibt“. Beide forderten eine Debatte über die Zwangsverabreichung.
Dagegen warnt der stellvertretende CDU-Fraktionschef Wolfgang Bosbach davor, „diesen tragischen Fall zum Anlass zu nehmen, den Einsatz von Brechmitteln zu verbieten“. Die einzige Alternative wäre, Polizeibeamte „mit ihren Fingern in den Exkrementen der Verdächtigen wühlen zu lassen“. Das sei mit den Menschenrechten der Polizisten unvereinbar. Den Foltervergleich hält der Innenexperte für absurd. Gewaltanwendung sei der Polizei gestattet, sonst könne sie nicht arbeiten. „Und Gewaltanwendung ist nicht sofort mit Folter vergleichbar“, sagte Bosbach. DANIEL SCHULZCHRISTIAN RATH
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