Comic von Tochter und Vater: Wo ein Vogel ist, ist auch ein Weg
Im Comic „Ahmadjan und der Wiedehopf“ siegt das Schöne über die Schrecken des Kriegs. Verharmlost wird es dafür aber nicht.
Der Band hat eine heitere Ausstrahlung. Das Titelbild zeigt eine Person in Schlaghosen, die ein Buch trägt, aus dem bunte Strahlen herauskommen, die wiederum in Köpfen von Vögeln münden. Die Figur wird von einem kleinen gelben Vogel verfolgt.
Dieses Motiv war eine gemeinsame Idee von Tochter Maren und Vater Ahmadjan Amini, und auch „Ahmadjan und der Wiedehopf“, also der Comic, dessen Cover es ziert, ist eine Koproduktion. Dass der kleine gelbe Vogel, der Wiedehopf, der Figur „Woodstock“ aus „The Peanuts“ ähnelt, habe sich unbewusst ergeben, sagt Maren Amini, die bekennender Charles M. Schulz-Fan ist.
Tochter und Vater Amini sind beide Künstler. Lange schon wollten sie etwas zusammen machen über seine Erlebnisse: Ahmadjan Amini kam 1972 als sehr junger Mann erstmals nach Hamburg, in einer Zeit, in der Twens aus Europa über den sogenannten „Hippie-Trail“ nach Asien aufbrachen und oft genug in Kabul hängen blieben.
Ahmadjan Amini wanderte dagegen jahrzehntelang zwischen den sich politisch wandelnden Welten. Seit 1980 lebt er in Hamburg. Auslöser des Gemeinschaftsprojekts war die erneute Machtübernahme der Taliban im August 2021. „Wir wollten nicht schweigend hinnehmen, wie die Taliban erneut die Kultur vernichten“, sagt Maren Amini.
Comic „Ahmadjan und der Wiedehopf“, Carlsen, Hamburg, 240 S., 26 Euro
Ausstellung Zentralbibliothek Hamburg, Hauptdeck, E 1, Vernissage am Freitag, 8.11., 16 Uhr
Das gute Afghanistan
Dass es ein Comic-Buch oder eine Graphic Novel werden würde, war nicht von Anfang an klar. Die Idee des Vaters, Fotos der schrecklichen Taten per Beamer auf einem Autodach in die Welt zu werfen, lehnte die Tochter ab: Zu negativ. Der Comic bedeutete mehr Spielraum für positive Aspekte: „Es wird wenig dafür getan, an das gute Afghanistan zu erinnern“, sagt Maren Amini.
Die Illustratorin hatte sich seit einiger Zeit näher mit ihren afghanischen Wurzeln befasst, ihr Vater seine aktuelle Arbeit als Maler einbringen wollte: Er hatte 1.000 Bilder von Vögeln angefertigt, passend zum mystischen Epos „Die Konferenz der Vögel“ des Dichters Fariduddin Attar aus dem 12. Jahrhundert.
In dem machen sich die Vögel der Welt auf den Weg, den obersten der Vögel, den Simurgh, zu treffen. Ihr Weg führt sie durch sieben Täler voller Gefahren. Genauso wandert auch Ahmadjan in der Graphic Novel durch die Erlebnisse, jeweils von einem anderen Vogel durch die Lebensphase geleitet. Der erste von ihnen ist der Wiedehopf, der ihn zum Aufbruch aus Heimat, Einsamkeit und Armut ermuntert.
Fariduddin Attars Dichtung ist im Anhang auf Deutsch wiedergegeben. Das macht diese zweite Ebene der Erzählung leichter zugänglich und erlaubt Maren Amini, mehr auf pointierte Bilder, als auf Text zu setzen. Ihre schwungvollen, reduzierten Zeichnungen stehen oft frei auf weißem Grund. Ihr Charme macht auch eigentlich Bitteres verständlich und erträglich: Das ist eine große Stärke.
Die Figuren sind mit wenigen Strichen und viel Humor gezeichnet. Den Protagonisten erkennen wir an seinem Wuschelschopf: Ahmadjans Geschichte beginnt mit einer von Entbehrungen bestimmten Kindheit. Weil er früh seine Mutter verliert, wächst er bei Verwandten auf, von denen er sich nie richtig angenommen fühlt. „Sein Magen knurrte sehr… und sein Herz auch,“ heißt es dort. Später im Buch wird der Schmerz dieser Zurückweisung durch eine winzige Sequenz wieder aufgegriffen, die klar macht, wie prägend er gewesen sein muss.
Farbe spielt eine große Rolle, sie wird symbolhaft, akzentuierend oder flächig eingesetzt. Maren Amini setzt auf „Farbbomben“ und die „Überraschung beim Umblättern“. Harte Bildränder gibt es nur auf den Seiten, auf denen sie einen neuen Vogel-Charakter einführt. Diese ganzseitigen Bilder sind mit Verzierungen im persischen Stil umgeben. Auf Abbildungs-Realismus verzichtet sie meist.
Bei einigen Orten und Ereignissen ist ihr dagegen die Wiedererkennbarkeit wichtig. Dazu zählen in Hamburg die markante Fassade des Musikclubs „Grünspan“, der RAF-Anschlag 1972 auf die Axel Springer-Zentrale oder die Besetzung der Häuser in der Ekhofstraße, wo Ahmadjan in einer WG wohnte.
In Afghanistan sehen wir – kommentarlos – die riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan, deren Gesichter die Taliban abgeschlagen haben, und begegnen mit Ahmadjan Personen der Zeitgeschichte wie Ahmad Shah Massoud: Der Anführer des Widerstands gegen die sowjetische Besatzung wurde kurz vor dem 11. September 2001 ermordet.
Er hatte vor dem islamistischen Extremismus gewarnt. Das alles bleibt ohne große Vorkenntnisse lesbar, im Zweifel hilft ein Glossar: „Ahmadjan und der Wiedehopf“ funktioniert auch wie ein Geschichtsbuch, nur halt viel schöner.
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