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Zurückweisung an der GrenzeDeutschland verurteilt wegen Abschiebung nach Griechenland

2018 war ein Syrer an der deutschen Grenze zurückgewiesen und ohne Asylprüfung abgeschoben worden. Die Richter sahen gleich mehrere Rechte verletzt.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Foto: Frederick Florin/picture alliance

Berlin taz | Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Dienstag einem Syrer recht gegeben, der 2018 an der deutschen Grenze zurückgewiesen worden war. Der damals 25-jährige war im September 2018 nahe Passau von der Bundespolizei aufgegriffen und innerhalb von 12 Stunden über München nach Athen abgeschoben worden.

Grundlage dafür war eines von zwei Abkommen, die Ex-Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) 2018 mit Griechenland und Spanien abgeschlossen hatte. Sie sahen vor, dass Asylsuchende, die zuvor in einem der beiden Länder behördlich registriert worden waren und über Österreich nach Deutschland einreisen wollten, ohne Asylprüfung direkt nach Spanien oder Griechenland abgeschoben werden konnten.

Seehofer hatte damals eine direkte Konfrontation mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gesucht. Er wollte eine Obergrenze für die Aufnahme Asylsuchender durchsetzen und dazu Ankommende an den deutschen Grenzen zurückweisen. Ju­ris­t:in­nen hatten dies für rechtswidrig gehalten. Seehofer versuchte die Kritik mit den beiden Abkommen zu entkräften. Zuletzt waren Forderungen nach der Ausweitung von Zurückweisungen an den deutschen Grenzen lauter geworden.

Die Richter sahen gleich mehrere Rechte des Syrers verletzt. Der heute 31-Jährige wollte zu seinem im Dortmund lebenden Bruder und in Deutschland Asyl beantragen. Die Bundespolizei verweigerte ihm die Einreise. Sie drohte ihm zunächst die Abschiebung nach Österreich an, um ihm schließlich auf dem Weg zum Münchner Flughafen ohne Arabisch-Übersetzer die Abschiebung nach Griechenland anzukündigen. In Leros war er rund zehn Wochen interniert worden und musste die weitere Abschiebung nach Syrien fürchten.

Überstürzte Abschiebung ohne Anwalt

In ihrem Urteil rügten die Straßburger Richter nicht nur die Internierungsbedingungen, sondern auch, dass Deutschland weder den Asylantrag noch die Folgen einer Abschiebung nach Griechenland geprüft hatte. Der Syrer sei „überstürzt, ohne Zugang zu einem Rechtsanwalt“ abgeschoben worden. Anwalt Carsten Gericke vom Berliner European Center for Constitutional and Human Rights hatte in dem Verfahren eine rechtliche Stellungnahme abgegeben. Er nannte das Urteil einen Beleg dafür, dass „übereilte Hauruck-Verfahren“, wie sie derzeit für die Zurückweisung an den deutschen Grenzen gefordert werden, rechtswidrig seien.

„Der Fall zeigt, dass solche Verfahren zwangsläufig zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen führen“, sagte Gericke. „Man kann keine Gründe vortragen, die einer Abschiebung entgegenstehen, die Lage im Zielland nicht prüfen.“ Ein Anspruch darauf sei aber in den Dublin-Regelungen so festgelegt. Seehofers Abkommen dienten dazu, diese Regeln zu umgehen. „Zuständig für eine solche Prüfung ist das Bamf und nicht die Bundespolizei.“

Die Union hatte jüngst angekündigt, das Sicherheitspaket von Innenministerin Nancy Fae­ser (SPD) abzulehnen, weil es keine Zurückweisungen an den Grenzen vorsehe. CDU-Chef Merz hatte das in seiner Rede auf dem CSU-Parteitag am Wochenende kritisiert. Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt machte sich in seiner Rede für konsequentere Zurückweisungen an den deutschen Grenzen stark. Ein Leitantrag auf dem Parteitag forderte Grenzkontrollen und Zurückweisungen und warf den Grünen vor, diese zu blockieren.

Faeser ist nicht gegen Zurückweisungen, will aber die EU-Rückführungsrichtlinie überarbeiten. Bei einem Treffen der EU-Innenminister forderte sie, für die Zurückweisungen Verträge mit Drittstaaten zu schließen. EU-Kommis­sions­präsidentin Ursula von der Leyen kündigte am Montagabend einen neuen Gesetzentwurf zur Abschiebung von Migranten an.

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1 Kommentar

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  • Zentrale Aussage des gesamten Verfahrens ist, dass die Verweigerung des Rechtswegs zum Asylverfahren entsprechend den Dublin-Regelungen nicht rechtens ist.



    Die Frage, ob das Asylrecht bei gleichem Regelwerk und bestehender Sachlage zu gewähren gewesen wäre, wird nicht beantwortet.