piwik no script img

Umfragen zum FachkräftemangelGesetz zur Einwanderung von Fachkräften hilft nicht

Deutschland braucht Fachkräfte. Zwei Umfragen zeigen aber immer noch Probleme bei der Anwerbung von Ar­beits­mi­gran­t:in­nen und der Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes.

Viele ausländische Fachkräfte verschreckt die Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt Foto: imago

Als „kranken Mann Europas“ bezeichnete jüngst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer Deutschland mit Blick auf die wirtschaftliche Lage. Das zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Trotz Rezession klagen deutsche Unternehmen noch immer über Fachkräftemangel. Die Bertelsmann Stiftung hat dazu am Dienstag Ergebnisse einer Umfrage unter Unternehmen präsentiert. Die Kern­erkenntnis: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) wirkt nicht, wie es soll.

Eingeführt wurde das FEG 2020 unter Merkel als Teil des sogenannten Migrationspakets. Es sollte die Arbeitsmigration aus EU- und nicht EU-Ländern erleichtern. Die Bundesregierung warb auf ihrer Website noch Ende Juli dieses Jahres: Das Gesetz sorge dafür, „dass Fachkräfte schneller und unbürokratischer in Deutschland arbeiten können“.

Doch dafür müssen laut Bertelsmann noch einige Hindernisse überwunden werden. 67,5 Prozent der befragten Unternehmen klagen über Fachkräfteengpässe, wenn auch je nach Branche und Region unterschiedlich ausgeprägt. Die Pflege etwa gehört zu den Branchen mit den größten Engpässen, aber auch mit dem größten Rückgang seit 2023. Hier vermutet die Stiftung einen Zusammenhang mit der „erfolgreichen Rekrutierungspraxis“ durch den Bund sowie privater Akteur:innen. Stark zurückgegangen ist der Bedarf in der Automobilbranche. 2023 gaben 60,9 Prozent der Unternehmen an, es mangle an Arbeitskräften. Dieses Jahr sind es 42,1 Prozent.

Generell ist die Erwartung von Unternehmen, im kommenden Jahr Fachkräfteengpässe zu haben, leicht rückläufig, wenn auch immer noch bei 66 Prozent. Auch das deute auf eine schrumpfende Wirtschaft hin.

Starke Wirtschaft, aber Diskriminierung

Die Unternehmen sind selbst allerdings zurückhaltend: Nur 18,4 Prozent rekrutieren Fachkräfte aus dem Ausland. Dasselbe gilt für die Anwerbung Auszubildender aus dem Ausland (5,6 Prozent). Ein Grund für mutmaßliche Vorbehalte ist die Sprachbarriere. Auch rechtliche und bürokratische Hürden würden trotz des FEG wieder deutlich zunehmen.

56 Prozent der befragten Arbeits­mi­gran­t:in­nen berichten von Diskriminierung

Das sei insofern bemerkenswert, als dass das Gesetz samt Erweiterung 2023 das Gegenteil erreichen sollte. 40,8 Prozent der befragten Unternehmen könnten zudem immer noch ausländische Qualifikationen nicht einschätzen. Angesichts der aktuell aufgebrachten Debatte gerate laut Bertelsmann aus dem Blick, dass Deutschland und Europa „auf internationale Arbeits- und Fachkräfte angewiesen sind“.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) veröffentlichte vergangene Woche einen Kurzbrief zur Arbeitsmarktintegration, für den Ar­beits­mi­gran­t:in­nen befragt wurden. Laut IAB, der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit, seien eine „starke Wirtschaft“ und „starke Institutionen“ Hauptgründe für mehr als die Hälfte der Befragten, nach Deutschland auszuwandern. Seit dem FEG kommen auch mehr Frauen und junge Menschen aus Nicht-EU-Staaten. 56 Prozent der Befragten berichten aber von Diskriminierung, etwa auf dem Wohnungsmarkt.

Laut Bertelsmann könnten Sprachförderung und Migrationsabkommen helfen, Unternehmen besser bei der Anwerbung zu unterstützen. Das FEG müsse durch mehr Ressourcen konsequenter durchgesetzt und Bleibeperspektiven ausgebaut werden. Das IAB fordert mehr Angebote für Familien und den Abbau von Informationsdefiziten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Ist Diskriminierung wirklich das Hauptproblem, welches ausländische Fachkräfte(!) von Deutschland fern hält? Ich glaube nicht. Diese wollen das gleiche, wie deutsche Bürger auch: eine funktionierende Infrastruktur, pünktlichen ÖPNV, gute Schulen für ihre Kinder, sichere Städte, niedrige Steuern, ein gutes Rentensystem, günstige Energie...



    Warum sollte jemand, der qualifiziert ist und es sich aussuchen kann, nach Deutschland wollen?

  • Die Politik lebt in einer seltsamen Blase.



    Man ist ernsthaft der Meinung, dass sich bei der Fachkräftewerbung irgendetwas tut. Die Realität: mein englischer Nachbar (spricht deutsch!) hat 12 Monate und einen Anwalt gebraucht, um eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Gerechnet ab dem Zeitpunkt, an dem alle notwendigen Unterlagen vollständig und korrekt dem Amt vorlagen UND ein Job auf ihn wartete.

    DAS ist die Realität in Deutschland! Die Verwaltung und Bürokratie töten jeden Fortschrittsversuch.

  • Interessante Zahlen.



    Was nicht direkt bei Wikipedia steht ist, dass das Fachkräfteeinwanderungsgesetz von Arbeitsminister Heil eingeführt wurde. Außerdem erweiterte er das Gesetz, in Zusammenarbeit mit der Bundesinnenministerin, 2023 um die Punkte, die in Zusammenarbeit mit der CDU nicht möglich waren.



    Die von Bertelsmann vorgeschlagenen Migrationsabkommen nehmen zu, derzeit sind es glaube ich 4 , ob das Abkommen mit Indien unter diesem Namen läuft, ist mir nicht bekannt.



    Ich finde, dass das schon eine ganz gute Arbeitsleistung ist und die Flankierung mit Weiterbildung und Sprachkursen, schon im Herkunftsland, sind eine gute Idee.



    Die Chancenkarte ergänzt die klare Ausrichtung zum Einwanderungsland.



    Ich begrüße es ausdrücklich, dass auf diese Weise auch für Nicht EuropäerInnen Arbeitsmigration auf legalem und gefahrlosem Weg möglich wird.

  • Bei VW werden jetzt tausende Fachkräfte frei. Da muss man ran.

  • Habe auch selbst schon mehrere Ingenieure aus Indien ohne dt. Sprachkenntnisse eingestellt, ist im Prinzip kein Problem, solange (!) im Betrieb hierzulande alles auf Englisch läuft: Dokumentation, emails, Besprechungen, ...

    Die Leute haben keine Zeit gut genug Deutsch zu lernen um damit arbeiten zu können. Da geht's um komplexe technische Diskussionen in Jobs ab 90.000EUR Jahresgehalt. Die würden ja mehrere Jahre im Sprachkurs sitzen bevor sie überhaupt anfangen könnten, kompletter Unsinn.

    • @Descartes:

      solange (!) im Betrieb hierzulande alles auf Englisch läuft

      Genau da liegt doch bei vielen Mangelberufen der Hase im Pfeffer.

      Sobald man mit dem "Endkunden" zu tun hat (z. B. in medizinischen oder Pflegeberufen) oder mit den Jüngern des Heiligen Bürokratius (z. B. bei fast allem, was Infrastruktur betrifft) ist diese Voraussetzung nicht mehr erfüllt. Manchmal reicht schon sogenanntes "untergesetzliches Regelwerk" - da kenne ich aus den letzten 5 Jahren zwei redaktionelle Überarbeitungen von EN-Normen, die dadurch ausgelöst wurden, dass deutsche/englische/französische Fassung in der Praxis unterschiedliche Auslegungen ermöglicht und erfahren haben. Richtig blöd wird das, wenn das innerhalb des gleichen Projekts passiert...