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Wölfe in DeutschlandSollen mehr Wölfe getötet werden?

Jost Maurin
Nick Reimer
Kommentar von Jost Maurin und Nick Reimer

Die EU will den Abschuss von Wölfen erleichtern, auch in Deutschland wird darüber diskutiert. Ist das eine gute Idee? Ein Pro und Contra.

Der Wolf tötet Nutztiere und gefährdet damit die Weidehaltung Foto: Christian Charisius/dpa

J a, denn dem Wolf geht es in Deutschland so gut, dass Jäger seinen Bestand jetzt regulieren sollten. Zurzeit leben hierzulande schätzungsweise 2.000 dieser Tiere, sie vermehren sich schnell weiter. Schließlich haben sie keine natürlichen Feinde. Doch mit der Zahl der Wölfe ist auch die Zahl der Nutztiere gestiegen, die sie getötet oder verletzt haben. Laut Behörden erreichte sie 2023 mit 5.727 einen neuen Rekord.

Aus Angst vor solchen Übergriffen investieren immer mehr Bauern und Schäfer in elektrische Zäune mit Untergrabschutz und manche auch in speziell ausgebildete Hunde, die Wölfe vertreiben sollen. All das macht die Haltung etwa von Schafen oder Rindern auf der Weide noch unattraktiver, als sie ohnehin schon aus ökonomischen Gründen ist. Denn die unteren Elektrodrähte der Zäune müssen ständig freigehalten werden von Grashalmen, damit der Strom fließt und die Raubtiere tatsächlich abgeschreckt werden. Viele Bauern haben keine Zeit dafür – und sie finden gerade in dünn besiedelten Regionen niemanden, der diese Arbeit erledigen könnte. Es ist zudem zu fragen, ob angesichts klammer Kassen der Staat zumindest einen Teil der zuletzt rund 21 Millionen Euro Subventionen pro Jahr für den Herdenschutz nicht für Wichtigeres ausgeben könnte.

Das Naturschutzprojekt Wolf setzt also die Weidehaltung zusätzlich unter Druck. Dabei ist sie genau die Art Tierhaltung, die Umwelt- und Tierschützer bevorzugen. Es tut Rindern gut, ihr Leben nicht nur im Stall zu fristen, sondern sich auf einer Weide frei bewegen zu können. Dieses Grünland bietet auch besonders vielen Tier- und Pflanzenarten Lebensräume. Außerdem speichert es deutlich mehr Kohlenstoff als Ackerland und trägt so zum Klimaschutz bei. Diese Vorteile sollten wir uns nicht durch zu viele Wölfe zerstören lassen.

Menschen haben Sorgen, dass die Raubtiere auch sie angreifen könnten. Das passiert weltweit selten, aber es kommt vor. Wölfe ähneln Hunden. Wir würden es auch nicht akzeptieren, dass tausende Hunde in Deutschland frei herumlaufen, schon gar nicht so große und starke wie Wölfe.

Die Lösung muss ein Mittelweg sein: Wölfe und Herdenschutz ja, aber in Maßen. Wenn sie sich Menschen genähert oder Haustiere angegriffen haben, sollten alle Wölfe geschossen werden, die in den Wochen danach an den betroffenen Orten auftauchen. Almen zum Beispiel lassen sich nur schwer durch wolfsichere Zäune schützen. In solchen Gebieten sollte jeder Wolf getötet werden. Falls dann noch nötig, sollten auch außerhalb dieser Gebiete einige unauffällige Tiere „entnommen“ werden. Denn weniger Wölfe bedeuten weniger Raubtiere, die Vieh fressen können. Diese Logik wird nicht dadurch widerlegt, dass in manchen Ländern nach einer Wolfsjagd die Zahl der Risse nicht gesunken ist. Das kann zum Beispiel auch daran gelegen haben, dass Bauern eben wegen der Wolfsjagd weniger für Zäune ausgegeben haben.

Das aktuelle Naturschutzrecht erschwert selbst die Jagd auf ­auffällige Wölfe zu stark, wie diverse Gerichtsentscheidungen zeigen, die „Entnahmen“ solcher Tiere verhindert haben. Deshalb muss der Schutzstatus der Art nun endlich gesenkt werden.

Jost Maurin

Nein, weil der Wolf für den Menschen und seine Nutztiere nicht so gefährlich wird, wie das so gern dargestellt wird. 999 von 1.000 Menschen werden hierzulande nie einen Wolf zu Gesicht bekommen. Vermutlich deshalb eignet er sich trefflich als Projektionsfläche: Der Wolf ist der Ausländer unter den Tieren, die in Deutschland leben. Immigriert aus Osteuropa, ist er gekommen, um zu bleiben. Natürlich haben wir nichts gegen Ausländer, also auch nicht gegen Wölfe. Es dürfen nur nicht zu viele werden …

Würden in Afrika die Schutzstandards für Tiger oder Löwen gesenkt, gäbe es hierzulande garantiert einen Aufschrei. Völlig zu Recht. Es muss auch hierzulande darum gehen, ein Zusammenleben mit dem Wolf zu organisieren, nicht ohne ihn. Abgesenkte Naturschutzstandards ändern nichts daran, dass der Wolf fester Bestandteil unseres Lebens geworden ist.

Die Deutschen sehnen sich gern und ausgiebig nach einem fantastischen Naturerlebnis. Aber als die Natur hierzulande dann wieder so weit intakt war, dass der Wolf zurück nach Deutschland kam, begann die Diskussion, wie man ihn am besten und schnellsten wieder loswird. Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich haben Wölfe nichts in Ortschaften, nichts in der Nähe des Menschen zu suchen. Auffällige Wölfe, sogenannte Problemtiere, zu schießen, ist gängige Praxis, dafür müssen keine Naturschutzstandards abgesenkt werden.

Aber Wölfe zu schießen, weil sie Weidetiere reißen? Da könnte man auch fordern, Katzen zu schießen, weil sie Vögel fressen. Wölfe töten einige tausend Weidetiere jedes Jahr in Deutschland. In der Regel werden Weidetiere Opfer, weil die Wolfszäune von den Haltern nicht fachgerecht aufgebaut werden oder schlichtweg fehlen. Kann man das aber dem Wolf vorwerfen? Wenn ein Bauer seinen Hühnerstall in der Nacht nicht zumacht, ist doch auch nicht der Fuchs schuld, wenn am nächsten Morgen ein Massaker zu beklagen ist.

Schafe oder Ziegen – natürlich sind die Herdentiere wichtig: Vielerorts gibt es keine andere Möglichkeit, die offene Kulturlandschaft zu pflegen und zu erhalten. Genau deshalb werden die mobilen Elektrozäune, die elektrifizierten Festzäune und Herdenschutzhunde inklusive Zubehör vom Staat gefördert: zu 100 Prozent in Bayern, zu 80 Prozent in Brandenburg. Das ist zu wenig, wenn wir den Wert unserer Kulturlandschaft zugrunde legen: Schäfer werden von der Gesellschaft nicht angemessen honoriert, und das bezieht sich nicht nur auf den Lohn ihrer Arbeit. Denn sie sind die zweite Berufsgruppe, die direkt von der Rückkehr der Wölfe betroffen ist.

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Die erste Berufsgruppe sind die Jäger. Wer ein Jagdrevier gepachtet hat und von der Jagd lebt, ist doof dran, wenn ein Wolf ins Revier eindringt, dann gibt es weniger zu schießen, weil der Wolf den Job des Jägers übernommen hat. Er reguliert den Tierbestand – und das sogar viel besser als der Jäger selbst. Studien haben ergeben, dass Ökosysteme vitaler werden, wenn es darin Wölfe gibt. Was Jägern freilich nicht schmeckt: Schließlich bezahlen sie Geld dafür, bestimmte Abschussquoten zu erzielen.

Nick Reimer

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
Nick Reimer
Seit 1998 bei der taz (mit Unterbrechungen), zunächst als Korrespondent in Dresden, dann als Wirtschaftsredakteur mit Schwerpunkt Energie, Klima und Landwirtschaft, heute Autor im Zukunftsressort.
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13 Kommentare

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  • Abgesehen von offenbar sensiblen Elektrozäunen könnte maus ja auf die Idee kommen Hunden einen glücklicheren Job zu verschaffen, als in Handtäschchen oder Lastenrädern transportiert zu werden.



    Nebenbei bemerkt, muß das Gras in naher Umgebung von Elekrozäunen deshalb kurz gehalten werden, damit k e i n Strom fließt.

  • Hier gibt es mal wieder jede Menge Vorurteile, und ich habe keine Lust, dagegen zu argumentieren. Ich beschränke mich auf die sachlichen Fehler, die in der Stellungnahme von Herrn Reimer vorhanden sind.



    >999 von 1.000 Menschen werden hierzulande nie einen Wolf zu Gesicht bekommen



    Das mag für die Stadt Berlin zutreffen, in Niedersachsen gibt es allerdings Gegenden, wo jeder mindestens täglich Wölfe sieht. Ich selbst habe bereits zwei Wölfen gegenüber gestanden, und das ist kein schönes Erlebnis, auch wenn Wölfe faszinierende Tiere sind.



  • Die Frage bleibt, wo wilde Tiere und Pflanzen überhaupt noch leben können, wenn der Mensch jeden Winkel für sich und seine Haus- und Nutztiere beansprucht. Selbst Nationalparks werden bekämpft, weil der Mensch sich in ihrer Nutzung zu sehr eingeschränkt fühlt.



    Sicher gibt es Probleme mit großen Beutegreifern, - hier bei uns aktuell aber auch immer mal wieder mit Hundehaltern, die nicht einsehen, dass sie ihre Tiere im Zweifelsfall auch außerhalb bestimmter Zeitkorridore anleinen müssen. Diese Gefahr für Rehe & Co. (aber auch für Schafherden) wird gern verniedlicht, - vermutlich weil man "Lumpis" Freiheitsdrang nicht unterdrücken will. Nicht domestizierten Mitgeschöpfen hingegen spricht man schnell komplett jedes Lebensrecht ab, oft schon vorauseilend.

    Dem Wolf wird es so ergehen, wie allem in der Natur, das sich des Menschen "Beherrschung" entzieht. (Geht schon los bei der radikalen Vernichtung jeder Pflanze, die sich eigenständig rund ums Haus ansiedelt.)

  • Ein Großteil der in Afrika lebenen Löwen wird ausschließlich zur Jagd gezüchtet.



    Tiger leben nicht in Afrika.



    Nick Reimer disqualifiziert sich mit seinem Beitrag wird nachdrücklich.



    Er hat keine Fakten, argumentiert mit Apfel-Birne Vergleichen, auf emotionaler Ebene und mit längst hinlänglich bekannt widerlegten Argumenten.



    Etwa von Berufsjägern. Die selbstredend eine Minderheit sind. Die allermeisten Jäger bezahlen für ihre Pacht und erledigen die anfallenden Arbeiten in ihrer Freizeit.



    Auch hat er völlig weltfremde Vorstellungen von der Arbeit der Land- und Waldwirte, die nur belegen, dass er wohl noch keinen Tag in diese Branche geblickt hat. Sonst wüsste er um die von seinem Contra sauber dargelegten Probleme mit Schutzzäunen.

  • Die Angst vor dem Wolf, vor allem der Kosten - mal mathematisch aufteilen auf die Millionen von Steuerzahlern -, ist doch ein Witz. Konsumenten oder Unternehmen aufgrund der Kosten, die sie verursachen, "keulen"?

  • Abgesehen von fehleranfälligen Elekrozäunen gäbe es ja die Möglichkeit Weidetiere durch Hunde zu schützen. Diese Hunde wären zudem glücklicher als die Exemplare welche die Städte zuexkrementieren.

    Das Gras um Elekrozäune herum muß übrigens kurzgehalten werden, damit k e i n Strom fließt.

  • Ich bin ebenfalls gegen einen erleichterten Abschuss von Wölfen. Gute Gründe für diese Haltung wurden im Artikel genannt. Mir wichtig sind vor allem, dass wir wieder lernen MIT der Natur zu leben und dass FAKTEN Grundlage von Entscheidungen sind: "Auffällige Wölfe zu schießen, ist gängige Praxis, dafür müssen keine Naturschutzstandards abgesenkt werden"! Zudem hat der Pro-Teil einige Makel: die Zahl der Wölfe im gesamten Bundesgebiet wird von Umweltschutzverbänden, die sehr viel mehr in Monitoring investieren als behördliche Stellen, auf 1.200 geschätzt, also deutlich unter 2.000. Die Risse sind nicht immer dem Wolf zuzuordnen, da auch Hunde Weidetiere reißen und DNA-Tests nicht immer eindeutig sind bzw. gar nicht erst gemacht werden. Und ja - auch Umweltschutz kostet, in diesem Fall für die Weidezäune, und dafür muss auch Geld da sein. Ich erinnere mich, dass Herr Maurin mal geschrieben hat, dass die Gefahr von einem Auto getötet zwar größer ist, aber jede vom Wolf ausgehende Gefahr Grund genug ist, die Art wieder auszurotten. Ich verabscheue diese Einstellung.

  • Herrn Maurin ist wenig hinzuzufügen.



    Wir leben in einer Welt, wo Neuanpflanzungen sinnvoller Bäume (also nicht Fichten) gegen Verbiss geschützt werden müssen, weil es viel zu viele Rehe gibt .



    Gepäppelt vom Jagdpächter - damit der was zum Knallen hat.



    Auf Schweineknallen hat der nämlich schon lang keine Lust mehr - viel zu anstrengend. Zu schlau für den Jäger längst, zu lernfähig.



    Mit Auto an den Hochsitz und warten wird das nix. Und vor der Treibjagd sind die längst woanders.



    Da, wo ich in Italien immer ins Gebirge fahre, gibt es ein Wolfsrudel (noch nie gesehen).



    Die Rinder sind frei und haben Hörner - denen geht man auch mit Hund besser aus dem Weg.



    Der Schäfer, den ich gut kenne, hat 6 Maremmen und Esel (die hört man kilometerweit). Jeden Abend treibt er die Tiere in einen umfriedeten Bereich.



    Auf den Wolf angesprochen: Der war schon vor mir da und er soll es auch bleiben. Ich verliere mal ein Tier - werde aber entschädigt - für Fleisch, das ich sonst gar nicht verkaufen könnte und für Wolle, die niemand mehr will. Nur der Käse geht.



    Der Unterschied: In den Marken ist der Wolf kein Ausländer - er war nie weg.

  • Allein in Deutschland töten Menschen 750 Millionen "Nutz"tiere jährlich. Für billiges Fleisch. Subventioniert vom Staat. Dazu kommen bis zu 7 Millionen Wildtiere im Rahmen der legalen oder illegalen Jagd. Wildunfälle nicht mit eingerechnet. Aber ja, lass uns mal den bösen Wolf abschiessen.

  • Gibt es auch Zahlen wie und durch was Weidetiere zu Schaden/Tode kommen, dass wäre ja ganz hilfreich für eine sachliche Einordnung.



    Man liest auf ab und an, dass Weidetiere* nicht betreut werden und dann zu Tode kommen oder getötet werden müssen, da käme wahrscheinlich nicht mal Peta auf die Idee die Besitzer zum Abschuss freizugeben.

    *) von Ställen gehaltenen Tieren ganz zu schweigen.

  • Die Diskussion darüber erübrigt sich: Der Mensch ist nicht in der Lage mit anderen Lebewesen zusammen zu leben. Das schafft der Mensch noch nicht mal mit seinem eingenen Wesen: dem Menschen.

    Der Wolf wird erschossen werden und wir werden diesen nicht mehr in Deutschland antreffen. Menschen töten alles, was nicht verstanden wird. Wenn man Angstgeschürt bekommt, wählt man am Ende die AfD und erschießt Wölfe. Menschen, nicht die Spitze der Evolution.

    • @Sanni:

      Selbst wenn die Tötung der Wölfe illegal ist werden sie ja trotzdem erschossen. Und die Täter werden in den meisten Fällen nie zur Rechenschaft gezogen. Und wenn doch mal einer erwischt wird sind die strafen lächerlich gering. Im Wallis ist die Behörde die Prädatoren schützen soll voll Leuten die illegal Luchse töten und das decken.