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„Es sah aus wie das blühende Matriarchat“

Die Schauspielerin Caroline Peters hat mit „Ein anderes Leben“ ihren ersten Roman veröffentlicht. Darin sucht die jüngste von drei Töchtern nach Spuren ihrer ungewöhnlichen verstorbenen Mutter

Seit diesem Jahr erneut Ensemble­mitglied am Wiener Burgtheater – und Autorin: Caroline Peters Foto: Fo­to:­ Mir­jam Knickriem/photoselection

Interview Shirin Sojitrawalla

literataz: Frau Peters, in Ihrem Roman zeichnen Sie das Bild einer ungewöhnlichen Frau. In einem Interview haben Sie gesagt, dass es Ihre Mutter sei, die Slawistin und Literaturwissenschaftlerin Johanne Peters, der Sie eine neue Biografie andichteten.

Caroline Peters: Es geht entlang der biografischen Daten meiner Mutter. Aber ich habe nicht wirklich ein Porträt meiner eigenen Mutter geschrieben, schon weil ich meine Geschwister nicht porträtieren wollte. Die Töchter im Roman sind alles Versionen von mir selbst. Mich hat aber vor allen Dingen meine Mutter interessiert. Es ist zwar nicht ihr Leben, aber schon sehr stark ihr Charakter.

literataz: Eine interessante Frau, auch weil sie mit Rollenerwartungen bricht, was sich etwa in ihrer mangelnden Fürsorge den eigenen Kindern gegenüber zeigt. Wiewohl mir beim Lesen Ihres Romans klar wurde, wie unbeaufsichtigt wir Kinder der 60er und 70er Jahre waren.

Peters: Das hat mich auch sehr beschäftigt. Wenn ich mit Gleichaltrigen rede, sagen alle, dass sie nicht besonders gut behütet wurden, sondern an der Grenze zur Verwahrlosung aufwuchsen, weil die Eltern oft abwesend waren. Wir durften sehr viel alleine machen. Das hat auch damit zu tun, wie die Eltern selbst groß geworden sind. Wer hat auf meine Mutter aufgepasst, als sie elf Jahre alt war?

literataz: Wie kam ’s dazu, dass Sie nach so vielen Jahren als Schauspielerin Ihren ersten Roman veröffentlichen?

Peters: Ich habe immer schon viel geschrieben, aber immer nur für mich. Dann kam die Pandemie, und mein Berufsleben war tatsächlich von einem Tag zum anderen zu hundert Prozent weg. Also nicht so ein bisschen weg, sondern es war einfach alles weg, und ich musste mich neu konfigurieren.

literataz: Klingt schwierig.

Peters: Ich bin seit 30 Jahren fest am Theater engagiert. Ich kenne keine Wochenenden oder Dienstage, an denen man einfach freihat. Ich musste das alles neu lernen. Für mich eine super Gelegenheit, mich durchs Schreiben zu strukturieren. Das hat dann natürlich alles viel länger gedauert, als ich gedacht habe, weil ich überhaupt keine Ahnung hatte.

literataz: Sie schreiben aus der Perspektive der jüngsten Tochter, die mitunter unter der Nichtbeachtung ihrer Mutter leidet, aber der Roman bewertet die Mutter nicht.

Peters: Es ist mein Versuch, aus alten Bewertungsmustern rauszukommen. Ja, meine Eltern haben das und das falsch gemacht und deswegen bin ich so und so geworden. Nein, meine Eltern haben getan, was sie konnten, und ich als Kind auch. Menschen machen Fehler. Es wäre schön, wenn man sich das in der Familie gegenseitig zugestehen würde und sagen könnte: „Ich konnte es nicht besser. Es tut mir leid.“ Ich fände es irgendwie netter, wenn man netter zu seinen eigenen Eltern wäre. Meine Mutter ist sehr früh gestorben, und jetzt, wo ich erwachsen bin, verstehe ich vieles, was ich vorher nicht gesehen habe.

literataz: Menschen machen Fehler. Der Satz fällt auch im Roman. Ihre Ich-Erzählerin macht eine Entwicklung durch, indem sie sich erinnert. Erzählanlass ist die Beerdigung des Vaters, der nach der Mutter stirbt. Von Adorno stammt der Satz „Das Ende der Familie lähmt die Gegenkräfte“. Wenn die Eltern sterben, scheint der Weg für Vergebung frei?

Peters: Ja, vielleicht. Es ist auch eine deutsche Tradition, sich immer abzuarbeiten und gegen die Eltern zu gehen, weil man alles Traditionelle ablehnt.

literataz: War für Sie gleich klar, dass Sie diese Geschichte in Ich-Form schreiben würden?

Peters: Ich wollte eigentlich gerne die Perspektive der Mutter einnehmen, aber das konnte ich nicht. Im Schauspiel sagt man: „Benutze die auftauchenden Widerstände, die haben eine Bedeutung und eine Bewandtnis.“ Ich bin nicht an den Punkt gekommen, die Perspektive der Mutter einzunehmen, ich bin immer bei mir stecken geblieben. Ich hatte mir das anders vorgestellt, aber dann ist der Weg hin zur Per­spektive der Mutter eben zur Dramaturgie des Romans geworden.

literataz: Bei drei Töchtern denkt man an Tschechows „Drei Schwestern“ oder an „König Lear“ und seine drei Töchter.

Peters: Mir ist das auch irgendwann aufgefallen. Die Inspiration kam aber tatsächlich von Jane Birkin und ihren drei Töchtern. Es gab so ein tolles Foto von ihr und ihren drei berühmten Töchtern von drei verschiedenen Vätern. Es sah aus wie das blühende Matriarchat.

literataz: Die Töchter in Ihrem Roman haben auch alle einen anderen Vater.

Peters: Bei mir ist jede Tochter in einem anderen Jahrzehnt geboren, sodass jede Tochter auch eine andere Erziehung genießt, je nachdem, ob sie in den 70er oder in den 80er Jahren eingeschult wurde. Ich habe mal den Satz gehört: „Kein Kind wird in dieselbe Familie geboren.“ Das finde ich einen total guten Satz.

literataz: Toller wahrer Satz!

Peters: Ich weiß leider nicht mehr, wo ich ihn herhabe, aber er hat bei mir viele Türen aufgemacht. Jedes Kind wird in eine andere Familie geboren. Das ist so wertfrei und so hilfreich und auch so gnädig, weil man sich nicht aneinander abarbeiten muss.

literataz: Die Schwestern im Roman geraten aneinander, weil sie sich wie alle Geschwister unterschiedlich erinnern.

Peters: Die Perspektive ist eben unterschiedlich. Und das Blöde ist, dass man eine gemeinsame Per­spektive haben will, um sich mit dieser Familie zu identifizieren.

literataz: Sie haben gerade schon erzählt, dass Sie auf Schauspiel­erfahrungen zurückgegriffen haben. Gab es sonst noch etwas aus Ihrem Beruf, das Ihnen beim Schrei­ben geholfen hat?

Caroline Peters

geboren 1971, ist eine der bekanntesten Schauspielerinnen Deutschlands. Seit mehr als 30 Jahren steht sie auf den wichtigsten Theaterbühnen, aktuell gehört sie dem Ensemble des Wiener Burgtheaters an. Mit der Fernsehserie „Mord mit Aussicht“ erreichte sie ein Millionenpublikum, selbiges gilt für Kino-Hits wie Sönke Wortmanns „Der Vorname“. 2016 und 2018 wurde Peters zur Schauspielerin des Jahres gekürt. Gerade ist ihr erster Roman „Ein anderes Leben“ erschienen.

Peters: Als Schauspielerin, vor allem am Theater, ist man sehr viel mit Sprache beschäftigt, und sehr viele verschiedene Sprachstile ­gehen, weil man die Texte auswendig lernt und spricht, buchstäblich durch einen durch. Ob man auf der Bühne Pollesch spricht oder Jelinek oder eine Shakespeare-Übersetzung oder Goethe oder Schiller, das macht was mit einem und auch mit dem sprachlichen Verständnis und mit der Frage nach dem Rhythmus. Ich glaube, dass das eine große Rolle gespielt hat für mich beim Schreiben.

literataz: Und für die Dramaturgie der Geschichte auch?

Peters: Ja. Nicht nur ein großer Bogen von der ersten bis zur ­letzten Seite, sondern 100 kleine Bögen, in denen man auch mal wieder eine Pause braucht zwischendurch oder einen zweiten Akt oder einen Aktschluss. Es gibt Schauspieler, die sich stärker als Performer ver­stehen, aber ich verstehe mich sehr stark als Erzählerin.

literataz: Wäre das in Ihren Augen auch die Erklärung für die vielen Romane schreibenden Theaterschauspieler und Theaterschauspielerinnen, also etwa Edgar Selge, Joachim Meyerhoff …

…oder Samuel Finzi! Valery Tscheplanowa! Ja, aus meiner Sicht hängt das wirklich damit zusammen. Es gibt eine bestimmte Art von Schauspielern, die sich auf der Bühne und im Film als Geschichtenerzähler verstehen. Und die können dann eben auch Romane schreiben, weil es das ist, was sie sowieso machen.

literataz: Edgar Selge hat mal vom „beneidenswerten Selbstkontakt“ gesprochen und davon, dass die Selbstanalyse zum Handwerkszeug des Schauspielers gehöre.

Peters: Das sehe ich genauso. Es wird ja oft so dargestellt, als sei der Schauspieler ein Gefäß, in das ein Regie-Zampano alles reinfülle. Das halte ich für ein Klischee. Ich habe noch nie einen Schauspieler oder eine Schauspielerin kennengelernt, der so ist. Ich kenne nur Leute, die von sich aus einen starken Charakter haben und dann mit starken Charakteren, die unten sitzen, in Kontakt treten.

Caroline Peters: „Ein anderes Leben“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 240 Seiten, 23 Euro

literataz: Sie gehen auf große Lesereise. Blicken Sie dem mit Vorfreude entgegen?

Peters: Ich habe gar keine Erfahrung damit und bin wahnsinnig aufgeregt. Ich habe keine Ahnung, wie das werden wird.

literataz: Können Sie denn schon absehen, ob Sie weiterschreiben werden?

Peters: Ich möchte es auf jeden Fall. Ich muss gucken, wie ich das hinkriege. Also, ich hoffe auf mehr.

literataz: Ich auch.

Peters: Das ist schon mal gut.

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