: Zur Sonne, nächste Runde
DAS SCHLAGLOCH von MATHIAS GREFFRATH
Ab sofort kein Wort mehr über den Charakter des Protagonisten, auf den, wie es aus der Fraktion verlautet, nur noch Bischof Huber Einfluss hat. Fragen wir uns zu dieser frühen Wahlkampfstunde: Wie steht es um die rot-grüne, also Gerechtigkeit und Ökologie verpflichtete Linke?
Eine Politikergeneration ist verbraucht. Gerhard Schröder wird von Hannover aus Vorträge halten, Fischer heiratet vielleicht noch einmal, und Schily darf endlich in die Toskana. Die gebrochene parlamentarische „Linke“ der SPD, in der vor der Wahl noch Austrittsdrohungen gemurmelt wurden, wird das Gesicht des Kanzlers wahren. Dafür erhalten sie einige „Präzisierungen“ und personelle Versprechen und denunzieren bis zum Herbst die CDU – deren wirtschaftspolitisches Spektrum von Friedrich Merz bis Heiner Geissler genau so breit ist wie das eigene – als Steigbügelhalter des Kasinokapitalismus. Gleichzeitig stimmen sie der Körperschaftsteuersenkung zu, reden ackermannkritisch und gleiten anschließend in den Vorruhestand.
Allenfalls das Team Lafontaine/Gysi, gut für sieben Prozent, könnte für Unruhe sorgen, eine große Koalition mit anderen Ministerlisten erzwingen, aber keiner grundlegend anderen Politik. Auch wenn die Alternative PDS/WASG sich mittelfristig stabilisiert – die Fortdauer neoliberaler Politik könnte dadurch begünstigt werden. Einen Richtungswechsel wird es ohne eine erneuerte SPD nicht geben.
Ohne Wehmut lesen wir also noch einmal jene „Megabotschaft“ aus dem Frühjahr l998, in dem Michael Müller, Wolfgang Thierse und Othmar Schreiner für einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ einen „Richtungswahlkampf“ forderten. Sie wandten sich gegen die „Repolitisierung der Politik“, die damals der CDU von den liberalkonservativen Ideologen Biedenkopf und Miegel verschrieben wurde. Unter der Parole „Ungleichheit wagen!“ forderten sie die weitere steuerliche Entlastung der Unternehmen, die weitere Deregulierung von Tarifverträgen, die weitere Privatisierung des Staates und die weitere „Spreizung“ der Einkommen. Und die Lösung des Arbeitslosenproblems sahen sie in der Schaffung einer neuen Klasse von Dienstboten.
Schröder, der in Niedersachsen mit der Parole gewonnen hatte, dass der „Staat nicht in Widerspruch zur Wirtschaftsorganisation steht“, enthauptete die Linke und setzte das CDU-Programm durch. Wolfgang Clement sekundierte, Wachstum sei nur um den Preis von Ungleichheit zu haben. Und erst kürzlich forderte Peter Hartz, nun endlich die steuerliche Absetzbarkeit von Haushaltshilfen einzuführen – das werde eine Million Stellen für Gärtner, Nannys und Köchinnen schaffen.
Und die Grünen? Sie hatten zwar die Koalitionsrundenkraft, den weichen Ausstieg aus der Atomkraft durchzusetzen, aber nicht die konzeptionelle Ausdauer, eine Energiewende einzuleiten, die hunderttausende von Arbeitsplätzen geschaffen hätte. Der Preis für diese Halbheit wurde an der Börse notiert: Der Energiekonzern Eon stieg um vier Prozent, Solarworld fiel um fast zwölf. Und über die Grundbausteine für eine globalisierungstaugliche Sozialdemokratie – eine zumindest europäische Finanz- und Steuerpolitik und die Umverteilung von Arbeit – wurde nach der Kaltstellung Oskar Lafontaines („Er hatte sachlich fast in allem Recht“, telefoniert Peter Glotz – heute – aus dem Schweizer Exil) und der Resignation der Gewerkschaften kaum mehr geredet.
Back to Zero also. Aber, wie gesagt, ohne Wehmut. Nach einem Wahlsieg der CDU/FDP erwartet uns nicht das ganz Andere. Und Aufklärung besteht darin, falsche Ideen vom Sockel zu stoßen und zu Unrecht gestürzte wieder draufzuheben.
Die Firma SPD bleibt auf dem Markt, auch wenn sie in den letzten Jahren so gewirtschaftet hat, dass ihr sechs Länder, tausende von Mandatsträgern, hunderttausende von Mitgliedern abhanden gekommen sind und die Nachwuchsförderung selbstmörderisch vernachlässigt wurde. In so einem Fall muss die Marke neu – und mit neuem Personal – positioniert werden. Etwa auf der Linie von Peter Bofingers durchaus nicht kapitalismuskritischem Zehn-Punkte-Programm „Wohlstand für alle“, das keine überfliegende Megabotschaft enthält, sondern eine Anleitung zum Bohren dicker Bretter: Koordinierung von Steuerpolitik und Sozialstandards in der EU; Senkung der Lohnnebenkosten bei gleichzeitiger Erhebung neuer Steuern auf Körperschaften, Einkommen, Vermögen; Einbeziehung von Selbstständigen und Beamten in die Sicherungssysteme; vor allem: forcierte und notfalls kreditfinanzierte staatliche Investitionen in Bildung, zukunftsfähige Infrastrukturen – alternative Energien, Verkehrssysteme und elektronische Netze – statt verpuffender Steuersenkungsprogramme; Subventionierung sozialversicherter Arbeitsplätze mit geringem Einkommen anstelle der Alimentierung von Arbeitslosen, sinnlosen „Fortbildungen“ und der Begünstigung von Tagelöhnerjobs. Schließlich: Lohnzuwächse nach der alten Formel „Produktivitätsentwicklung plus Inflationsrate“, damit der Binnenmarkt nicht weiter schrumpft. Und: Arbeitszeitverkürzung.
Eine derartige Wirtschaftspolitik verlangte von allen Beteiligten – der Exportindustrie, dem Mittelstand, den Arbeitnehmern – Einschränkungen. Sie würde Technologien aufbauen, die den Übergang zur postfossilen Welt vorbereiten. Sie setzte auf Zukunft, ohne auf eine langwierige Reform der Finanzmärkte und der Prinzipien der Welthandelsorganisation zu warten.
Ist das „links“? Es ist ein bürgerliches Programm. Denn „im 21. Jahrhundert wird es die Aufgabe demokratischer Politik sein, neu zu definieren, was wir fortan als Gesellschaft und Nation verstehen wollen“. Das schrieb vor einem Vierteljahrhundert US-Arbeitsminister Robert Reich. „Wie können ,wir‘ noch Bürger einer Gesellschaft sein“, fragte er, „wenn wir nicht mehr in derselben Wirtschaft arbeiten?“ Sondern die einen in der globalen Ökonomie, die zweistellige Profite erzielt; die „neue Mitte“ auf dem schrumpfenden Binnenmarkt, zunehmend unter Druck; und schließlich: das Drittel der Überflüssigen. „Die Frage ist, ob unsere Bürgertugenden stark genug sein werden, den zentrifugalen Kräften der globalen Wirtschaft zu widerstehen. Schließlich sind wir nicht nur ökonomische Akteure, sondern auch Bürger; wir mögen auf Märkten arbeiten, aber wir leben in Gesellschaften.“
Die Frage ist noch nicht entschieden, jedenfalls eine Weile noch, außer vielleicht in jener „Linken“, die dem Staat nichts mehr zutraut. Dass diese Frage inzwischen von zwei Dritteln der Bürger gestellt wird, ist das Verdienst von Attac und anderen. Und wer geglaubt hat, die Sache sei mit einer „Megabotschaft“ in einer Politikergeneration zu erledigen, der lese noch einmal in Robert Michels „Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie“ (1910): „Das Schauspiel, das die demokratischen Bewegungen bieten, enthält zugleich Elemente der Ermutigung und Verzweiflung. Des grausamen Spiels zwischen dem unheilbaren Idealismus der Jungen und der unheilbaren Herrschsucht der Alten ist kein Ende. Stets neue Wellen tosen gegen die stets gleiche Brandung. Das ist die tiefinnerste Signatur der Parteigeschichte.“
Fotohinweis: Mathias Greffrath ist Journalist in Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen