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Umweltbewusstsein in den USAWandel, wo man ihn nicht erwartet

Ausgerechnet im mittleren Westen der USA findet unsere Kolumnistin ein umweltbewusstes Amerika. Die Stadt Duluth wirkt politisch zerrissen.

Luisa Neubauer, 28, reist bis zur Präsidentschaftswahl am 5. November auf der Suche nach dem Aktivismus von morgen durch die USA Illustration: Eléonore Roedel

W ährend ich diesen Text schreibe, tanzen Dragqueens hinter mir durchs Café, Demi Lovato läuft auf Anschlag, auf dem Menü stehen vegane Sandwiches neben Mac and Cheese. Ausgerechnet im mittleren Westen der USA finde ich alles, was ich nicht erwartet habe.

Duluth, im Norden von Minnesota, ist eine Stadt, die ein Unfall groß gemacht hat: Eine Kontinentalverschiebung formte hier den größten Süßwassersee der Erde, etwas später lagerten sich drumherum reichhaltige Mineralien ab. Als diese abgebaut wurden, vor 100 Jahren etwa, da boomte es in der Region.

Die Stahl- und Zementwerke, die Eisenerzminen, die Landwirtschaft – Duluth und Minnesota ging es gut und der Hafen am Lake Superior war der meistbefahrene der USA. Bis in den 1950ern erst die Mineralien knapp wurden und später die Industrien dichtmachten. Während man im Brettspiel „Zug um Zug“ in Duluth noch Bahngleise verlegen kann, fährt hier in der Realität seit 1985 kein Zug mehr.

Ich bin hergekommen, um den Wahlkampf in einer Stadt zu erleben, die sich auf den ersten Blick liest wie ein Symbol des industriell-amerikanischen Abstiegs. In den Vorgärten wechseln sich Trump- und Harris-Schilder ab. Auf einer Wanderung durch die atemberaubenden Birkenwälder schildert mir eine Studentin ihre politische Zerrissenheit. Ihr Umweltbewusstsein spricht für Harris, ihr katholischer Glaube für die Republikaner, Donald Trump hält sie zwar für verrückt, aber „the economy“ ist für sie das Wichtigste. Trump sei nun mal ein „businessman“. Das ist eine Seite von Duluth.

Es ist ein Amerika, das ich so noch nicht kenne

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Es gibt aber auch eine andere, sie ist weniger offensichtlich. Ich finde sie im Gespräch mit Schülerinnen, die sieben Jahre dafür gekämpft haben, dass ihre Highschool Solaranlagen bekommt. Oder in einer Bar, wo eine indigene Lehrerin erzählt, wie sie das Naturverständnis von Native Americans in die Stadtgesellschaft trägt. Und ich finde sie im Science Café, wo zwei Dutzend Klimaengagierte an einem Holztisch zusammensitzen und ein Mitglied vom Stadtrat erklärt, wie er Gelder für die Umsetzung der Klimaziele auftreibt. 100 Prozent erneuerbarer Strom bis 2040 ist das Ziel.

Es ist ein Amerika, das ich so noch nicht kenne: herausgefordert und dennoch aktivistisch, fossil geprägt, auf dem Weg zur Nachhaltigkeit. Warum ausgerechnet hier?

Vielleicht liegt es an dem großen Gerichtsurteil aus den 1970ern, als der Staat erstmals gegen einen Minenbetreiber vorgehen konnte, der in Duluth jahrelang Gifte in den See geleitet hatte. Vielleicht liegt es auch am Naturtourismus, vielleicht an der urdemokratischen Überzeugung, dass sich öffentliche Investitionen auszahlen. Im Café wird mir erklärt, mit welcher Formel hier gearbeitet wird. Es geht um den Einsatz für praktikable Lösungen, die auf bestehende Infrastruktur aufbauen und die Wirtschaft stärken, statt zu polarisieren. Das heißt auch: Wandel dauert, aber er kommt.

Und Duluth ist für noch etwas bekannt: Dieser Ort gilt in den USA als eine der „sichersten“ Städte vor den Folgen der Klimakrise. Jedes Jahr kommen Klimamigranten aus Kalifornien und Texas hierher, weg von der Hitze und den Bränden. Ein unwahrscheinlicher Ort, von dem wir noch viel hören werden.

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4 Kommentare

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  • 'Dieser Ort gilt in den USA als eine der „sichersten“ Städte vor den Folgen der Klimakrise.'

    Das war Asheville bis vor 4 Wochen auch. 🙈

  • Ein Hafen wird nicht befahren, sondern angefahren.



    Ist Frau Neubauer, die ich eigentlich schätze, jetzt auch Vielfliegerin?

    • @Senza Parole:

      Die Reise ist ja für uns alle, wenn das CO2 auf die Leserschaft umgelegt wird sind das praktisch Peanuts.

  • "Donald Trump hält sie zwar für verrückt, aber „the economy“ ist für sie das Wichtigste. Trump sei nun mal ein „businessman“."

    Ich verstehe immer noch nicht, wie sich dieses Bild so festsetzen konnte. Es ist recht offensichtlich, dass er nicht wirklich ein guter Geschäftsmann ist. Die NYT hat das vor einer Weile auch sehr gut herausgearbeitet mit Blick auf das Imperium seines Vaters.



    Zudem sind ein Unternehmen und ein Staatshaushalt zwei verschiedene Dinge.