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Abschreckung und Nato-BeitrittSelenskyj stellt „Siegesplan“ im ukrainischen Parlament vor

Der ukrainische Präsident präsentiert dem Parlament in Kyjiw Teile seines Plans, um Russland zu bezwingen. Er setzt auf die Hilfe der Verbündeten.

Standing Ovations im ukrainischen Parlament für den „Siegesplan“ des Präsidenten Selenskyj Foto: Andrii Nesterenko/reuters

Kyjiw taz | Immer wieder war er angekündigt worden, der „Siegesplan“ des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Nachdem er den Staatschefs der USA, Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands und Italiens vorgelegt worden war, wurde er nun zum ersten Mal öffentlich präsentiert: im ukrainischen Parlament. Allerdings nicht alle Details des Plans. Drei Anhänge werden geheim bleiben, so Selenskyj. Russland müsse im Krieg gegen die Ukraine verlieren, so Selenskyj.

„Wir müssen den Siegesplan umsetzen, um Russland dazu zu bringen, auf dem Friedensgipfel zu sein und bereit zu sein, den Krieg zu beenden. Wir Ukrainer wollen souverän leben, wollen unsere Zukunft selbst gestalten und auf Augenhöhe mit anderen Ländern reden.“ Standing Ovations folgten für den Präsidenten, als er allen Soldaten an der Front für ihren Einsatz dankte. Es sei Aufgabe der Ukraine, auf die Umstände so einzuwirken, dass Russland zum Frieden gezwungen werde.

Der nun von Selenskyj vorgestellte „Siegesplan“ soll ein Ende des Krieges bis spätestens 2025 garantieren. Ob dieser Plan umgesetzt werde, hänge von den Partnern der Ukraine ab. Auf dem Spiel stehe nichts Geringeres als der Erhalt der Weltordnung. „Wenn wir uns nicht anstrengen, wird Putin dafür sorgen, dass es nie wieder Diplomatie geben wird.“ Selenskyj sprach sich klar gegen ein Einfrieren des Krieges aus. „Es wird keine Abtretung von Territorien geben!“, rief er in den Saal.

Einladung zum Nato-Beitritt noch während des Krieges

Als ersten und wichtigsten Punkt seines Siegesplans nannte Selenskyj eine Einladung der Nato an die Ukraine noch während des Krieges. Man sehe zwar, dass eine Mitgliedschaft in der Nato eine Sache ist, die noch weit weg ist. „Aber Putin muss sehen, dass sein geopolitisches Kalkül nicht aufgegangen ist. Die Russen müssen spüren, dass ihr Zar geopolitisch verloren hat.“

Zweitens, so Selenskyj, würden die Operationen auf russischem Gebiet fortgesetzt. Es dürfe keine Einschränkungen mehr für den Einsatz von Waffen auf russischem Territorium geben. Gemeinsam mit den Partnern müsse man die russische Luftwaffe zerstören. Außerdem brauche man Zugang zu den Aufklärungsdaten der internationalen Partner. Der Krieg müsse auf russisches Territorium zurückkehren, „damit die Russen spüren, was Krieg ist, und sie einen Hass Richtung Kreml entwickeln“.

Drittens sei die Abschreckung Russlands wichtig. In diesem Zusammenhang forderte Selenskyj die Stationierung von nicht­atomaren Waffensystemen in der Ukraine. Konkreteres dazu nannte er nicht öffentlich. Wichtig sei zudem die Unterstützung der ukrainischen Wirtschaft bei gleichzeitiger Verschärfung antirussischer Sanktionen. Schon jetzt, betonte der ukrainische Präsident, müsse man an die Nachkriegszeit denken.

In diesem Krieg habe die Ukraine viele militärische Erfahrungen gemacht. Diese Erfahrungen gebe man gerne an die Bünd­nispartner weiter. Und man könne nach dem Krieg einen Teil der in Europa stationierten US-Soldaten mit ukrainischen Soldaten ersetzen. Man müsse Russland für immer die Kontrolle über die Ukraine und auch den Wunsch danach nehmen. Das würde ganz Europa Ruhe garantieren.

Selenskyj wurde für seine Rede im Parlament gefeiert. Kritik gab es kaum. Lediglich der Abgeordnete der Poroschenko-Partei „Europäische Solidarität“, Oleksi Gontscharenko, äußerte sich skeptisch. Auch wenn Gontscharenko die in dem Plan vorgestellten Ziele unterstützte. 40 Mal sei in der Rede des Präsidenten das Wort „Partner“ gefallen, so der Politiker auf der Plattform Telegram. Am Ende stelle sich aber die Frage, wie der Sieg eigentlich errungen werden soll. „Die Partner werden das nicht für uns tun, bei all dem Respekt für sie.“

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9 Kommentare

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  • Vor dem Hintergrund dieses realitätsfernen Siegesplans, schätze ich die eher zurückhaltende Unterstützung durch Deutschland noch mehr.



    Von den Träumen eines schnellen Natobeitritts mal abgesehen, spricht z.B. die Vorstellung, das Ukrainische Militär könne mal die Position des US-Militärs zur Sicherung Europas übernehmen, für einen erheblichen Realitätsverlust.

    Ich sehe eher, dass es - etliche tausend Tote später - auf dem Verhandlungsweg zum Waffenstillstand und zur Abtretung der



    russisch besetzten Gebiete in Form einer Sonderzone kommt,



    deren endgültiges Schicksal in Ferner Zukunft geklärt werden kann.



    Anstelle eines schnellen Natobeitritts dann Sicherheitsgarantien, die verbindlich, auch mit dem Einsatz militärischer Mittel abgesichert werden.

    Die immer wieder von interessierten Kreisen verbreitete Befürchtung, dass Russland dann als nächstes umliegende Natomitglieder angreifen würde, teile ich nicht.



    Größer scheint mir das Risiko, das Deutschland durch eine von Herrn Selensky immer wieder eingeforderte Eskalation des jetzigen Krieges irgendwann Kriegspartei wird.

  • Ich finde Selensky Plan sehr vernünftig und zielführend: Nicht Russland "bezwingen", wie etwas irreführend in der Überschrift, sondern "zum Frieden zwingen".



    Der Punkt mit der raschen formellen Einladung zur NATO (Selensky spricht nicht von sofortiger Mitgliedschaft) wird vermutlich an der Feigheit oder auch Korrumpiertheit einzelner NATO-Mitglieder scheitern. De facto ist die Ukraine ja schon sehr weit. Zum Nachlesen:



    www.defense.gov/Ne...s-nato-membership/



    Die Tatsache der zukünftigen ukrainischen NATO-Mitgliedschaft juristisch zu fixieren und es den russischen Eliten Schwarz auf weiß zu geben, dass Putins Kriegsziel Nr. 1 schon jetzt unerreichbar ist, wäre trotzdem ein wichtiges Signal.



    Interessant finde ich die klare Ankündigung, Putins Zermürbungstaktik im Donbass weiterhin nicht zu spiegeln, sondern den Krieg nach Russland zu tragen. Dass das geht, zeigt die Kursker Operation. Politischer Druck auf Russland lässt sich mit derartigen Operationen aufbauen, nicht mit der verlustreichen Rückeroberung zerstörter ukrainischer Siedlungen.

  • Ich kann besonders die zentrale Forderung von Selenski nach einem jetzigen Nato Beitritt aus seiner Perspektive nachvollziehen.



    Kritisch möchte ich aber anmerken, dass das vollkommen unrealistisch ist. Einige entscheidende Mitglieder haben kein Interesse daran gegen Russland Krieg zu führen.



    Ich würde mir anstatt einem Siegesplan von Selenski einen Friedensplan mit mehr Bezug zu Realität wünschen..

    • @Alexander Schulz:

      Ich denke, der Friedensplan wird kommen. Aber nicht aus Kiew, sondern aus Washington (egal wer das Weiße Haus übernimmt).

      Gewünscht hätte ich mir zwar, dass er aus Berlin und Paris kommt. Aber wir zerstreiten uns mit den Franzosen ja schon über Schutzzölle. Kein Wunder, dass die Russen und Amerikaner uns nicht ernst nehmen.

  • Die Entwicklung geht aber klar in eine andere Richtung. Einige Einschätzungen der letzten Tage:

    Ein Waffenstillstand mit temporären, nicht anerkannten Gebietsabtretungen wird kommen. Neue Situation schon zu Bidens Amtübergabe (Christian Mölling, Bertelsmann, Stern).

    Russischer Truppenrückzug nur als Folge einer politischen Vereinbarung, militärisch aber nicht zu erreichen. (Carlos Masala, FR).

    Friedensverhandlungen in den kommenden Wochen sind der einzige Weg, weitere Gebietsverluste zu verhindern. Kiew kann seine Ziele militärisch nicht erreichen. (Oleksij Arestowitsch, wiedergegeben in Berliner Zeitung).

    Scheint so, dass Realismus einzieht. Leider viele tausend Tote zu spät. John Mearsheimer hat es schon vor über einem Jahr so gesehen.

    • @Kohlrabi:

      "Scheint so, dass Realismus einzieht. Leider viele tausend Tote zu spät."

      Ich stimme Ihnen zu. Das Problem ist jedoch, dass es einfach Zeit braucht unangenehme Realitäten zu aktzeptieren.



      Hinzu kommt auch noch, dass viele "Realisten" verteufelt wurden als "Helfer Putins".



      Wenn man sich eingesteht, dass die (berichtigen) Maximalförderungen von Selenski nicht umsetzbar sind, bedeutet dieses auch das man den "bösen Realisten" Recht geben muss und eventuell viel Leid zu verhindern gewesen wäre, auch wenn man nur die besten Intentionen hatte und sich klar gegen Russlan positionierte . Es handelt sich also um ein sehr schwerwiegende Erkenntniss.

  • Das Problem und waren immer die zögerlichen Partner im Westen, vor allem der EU, welche die Gefahr vor der eigenen Haustür nicht erkennen. Da die meisten Punkte dieses Siegesplans auf eben jenen Partnern fussen, weiß ich nicht wie realistisch das Ganze ist. Ich vermute, dass es eher ein Rohrkrepierer werden könnte, wenn der Westen sich nicht stark bewegt.

  • Inzwischen haben wir ja lernen müssen, dass in Zeiten des Krieges sich Ereignisse überstürzen können.



    Aber eigentlich ist es guter Brauch, keine Mitglieder in die Nato aufzunehmen, die mit anderen Staaten im Krieg stehen.



    (Die bei Aufnahme der Länder Türkei und Griechenland ungeklärten Grenzfragen waren eine Ausnahme, wegen Bosporus/Südostflanke im Kalt. Krieg. Mutmaßlich haben die Nato-Mitgliedschaft und hier der Einfluss der USA bisher schlimmeres verhindert.)



    Zum anderen: Ist es vorstellbar, dass Soldaten der Ukraine auf Nato-Gebiet US-Soldaten ersetzen 😳? Davon wäre vor allem Deutschland betroffen. Irgendwie eine unschöne Vorstellung.



    Nach den Erfahrungen mit mittel- und südosteuropäischen Ländern als Neumitglieder der EU muss man davon ausgehen, dass die Ukraine im weiteren Verlauf ihrer demokratischen Entwicklung noch manche Überraschung parat haben wird (also dort per Wahl Leute an die Macht kommen, die prorussisch sind). Und dann deren Soldaten in entscheidender Position hier im Land?

    • @Vigoleis:

      Ich denke die Gefahr, dass die Ukrainer innen eine prorussische Regierung in den nächsten Jahrzehnten wählen werden, können Sie getrost vernachlässigen. Blutschuld wird über Jahrhunderte abgezahlt. Auch heute noch werden Deutsche teils aufgrund der Nazi-Vergangenheit mit starken Vorbehalten empfangen. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es in der Ukraine anders sein wird.

      Was auch ein Grund ist warum Russland diesen Krieg schon lange verloren hat, auch wenn es temporär einige ukrainische Gebiete besitzen mag