Israels Angriff auf Begegnungszentrum: Trauer im Haus des Friedens
Israelische Raketen haben das deutsch-libanesische Begegnungszentrum „Haus des Friedens“ im Libanon zerstört. Sechs Schutzsuchende starben.
Ein Vortrag über den Kampf von Feminist*innen im Libanon, Diskussionen im Gruppenraum und Gespräche über das politische System im Libanon beim Essen auf der Terrasse, im Garten entspannen die Gäste und vor den Balkonen geht die Sonne in leuchtenden Farben unter. So etwa sah ein gewöhnlicher Tag im Dar Assalam im Libanon aus. Nun ist das „Haus des Friedens“ zum Haus des Schreckens geworden.
Am Mittwochmittag kochten die Frauen gerade, während die Kinder spielten und die Männer im Hof oder im Haus waren. Gegen 12 Uhr durchstießen zwei israelische Raketen das Dach, eine explodierte, die zweite fanden die Hausbewohner*innen später im Keller. Die oberste Ebene des einen Hauptgebäudes brach ein. Sechs Menschen starben bei dem Angriff. Mindestens 10 wurden verletzt.
Zuvor hatten rund 90 Zivilist*innen in dem Haus Schutz vor dem Krieg gesucht. Sie waren Freunde oder Bekannte der Betreiber des Hauses. Unter den Getöteten sind eine Mutter und ihr 20-jähriger Sohn. Sie waren zuvor aus einem palästinensischen Geflüchtetenlager in der Stadt Tyre geflohen, weil das israelische Militär gedroht hatte, dieses anzugreifen. Der Vater und Mann der beiden überlebte. Er ist Sozialarbeiter und ein alter Freund von Said Arnaout.
Die Begegnungsstätte ist das Lebenswerk der Deutsch-Libanes*innen Said Arnaout und Latife Abdul Aziz. Die beiden waren gerade in Tübingen, als sie übers Telefon von dem Anschlag erfuhren. Unter den Opfern ist auch ein befreundetes Ehepaar, der Mann arbeitete als Schuldirektor und war ein ehemaliger Kollege von Arnaout. Außerdem starben ein Vater und sein 20-jähriger Sohn.„Wir feiern dieses Jahr dreißigjähriges Jubiläum – oder wollten es feiern. Das ist noch so eine besondere Tragik“, sagt Friederike Weltzien.
Kultur statt nur Probleme
Sie ist im Libanon aufgewachsen, hat dort als evangelische Pfarrerin gearbeitet und hat das Friedensprojekt mit aufgebaut. „Said Arnaout hatte die Idee, das Zentrum aufzubauen, um Deutschen den Libanon nahezubringen: nicht als Problemland, sondern die reiche Kultur, Landschaft und Geschichte. Dieses Anliegen hat auch mein Herz getroffen, weil es mir genauso ging, als jemand, die dort aufgewachsen ist und durch den Bürgerkrieg rausmusste. Ich habe immer getrauert um das Land, aber auch um die Rezeption, wie über den Libanon berichtet wird.“ Das Dar Assalam baute Brücken zwischen Deutschland und Libanon. Deutsche kamen, um Arabisch zu lernen, die libanesische Kultur und soziopolitischen Verhältnisse im Land besser zu verstehen. Auch taz-Reisende übernachteten und diskutierten in dem Haus, zuletzt im September 2023.
Gemeinsam organisierten sie Fortbildungen für libanesische und palästinensische Erzieherinnen, Sozialarbeiter*innen und Psychotherapeut*innen. Dabei ging es auch um den Umgang mit traumatisierten Geflüchteten. „Es waren immer sehr bewegende Gespräche“, sagt Weltzien. Das Dar Assalam war ein Ort für Begegnungen zwischen verschiedenen Bevölkerungsschichten im Libanon und für gegenseitiges Verstehen. Weltzien erzählt, wie sich Frauen der Mittelschicht mit palästinensischen Geflüchteten trafen.
Das Projekt ermöglichte ehemaligen Insass*innen des israelischen Gefängnisses Khiam, eigene Geschäfte zu eröffnen. Das Haus bot auch Frauen Schutz und Unterkunft, die vor häuslicher Gewalt geflohen waren. Traumaverarbeitung spielte eine große Rolle, erklärt Weltzien. „Ein sicherer Ort ist in der Traumatherapie so wichtig, damit sich etwas entspannen kann und überhaupt eine Heilung ansetzen kann. Dass dieser sichere Ort zerstört wurde, ist ein Riesenschock.“
Das Haus war ein Ort des zivilgesellschaftlichen Austauschs. Angriffe auf die Zivilbevölkerung sind Kriegsverbrechen. Auf die taz-Anfrage, wie das Auswärtige Amt den israelischen Raketenangriff auf das Dar Assalam in Bezug auf das humanitäre Völkerrecht bewertet, antwortete die Pressestelle des Auswärtigen Amtes nicht. Die Deutsche Botschaft in Beirut verwies auf das Auswärtige Amt. Dieses wiederum verwies auf einen Post auf X. Darin heißt es: „Das von deutschen Organisationen unterstützte Begegnungszentrum Dar al-Salam im Libanon wurde von einem Luftangriff getroffen. Dabei wurden 6 Menschen getötet. Wir stehen dazu mit der israelischen Regierung in Kontakt und erwarten vollständige Aufklärung.“ In dem Post wird weder Israel als Akteur benannt noch eine unabhängige Aufklärung des Verbrechens gefordert. Am Donnerstag, also einen Tag nach dem israelischen Angriff auf das deutsch-libanesische Friedensprojekt, kündigte Bundeskanzler Olaf Scholz weitere Waffenlieferungen nach Israel an.
Leser*innenkommentare
Klabauta
Ein anderer Tag wird kommen, ein weiblicher
Mit singendem Zeichen, azurblauem Gruß und Wort
Weiblich wird alles sein, fernab des Vergangenen
Das Wasser wird fließen aus dem Euter des Steins
Staublos ohne Dürre und Verlust
Und die Tauben werden ihren Mittagsschlaf in einem
verlassenen Panzer halten
Wenn sie kein kleines Nest
im Bett der Liebenden gefunden haben…
Mahmud Darwish
Möge die Logik von Hass und Vergeltung niemals siegen, sondern aus den Ruinen des Traums von Said Arnaout und Latife Abdul Aziz ein neues Haus des Friedens entstehen, eines Tages...
Ardaga
Was kann eine faschistoide, von einem Gangster angeführte, Regierung noch alles anstellen, bis es bei Regierungen, die sich für Weltanwälte der Menschenrechte halten, zum „Jetzt reicht’s!“ führt? Wenn es um Hamas-Terrorismus geht, ist Klartext angesagt. Bezüglich der Taten des Netanjahu-Staates... Scheinheiligkeit über alles.
tomás zerolo
Haarsträubend.
Es wäre unsere Pflicht, nur noch defensive Waffen an Israel zu liefern.
vieldenker
Es würde sicher keine Antwort von der israelischen Regierung erwartet, wenn die deutsche Regierung nicht dort den Absender die Verantwortlichen für die Rakete sehen würden. Insofern zielt die zusätzliche polemische Spitze der Autorin (bewusst?) ins Leere.
Lichtenhofer
@vieldenker Das war keine "polemische Spitze" der Autorin, sondern Klarstellung des diplomatischen Prozederes: Die offensichtlichen Verursacher als solche in einer diplomtischen Anfrage nicht benennen, bedeutet offiziell maximal höfliche Zurückhaltung. Und die ist in diesem Fall gänzlich unangebracht. Israel hat eine mit deutscher Hilfe betriebene Einrichtung zur friedlichen Versöhnung offensichtlich gezielt attackiert - mit mehreren zivilen Todesopfern. Das ist Terror, wie auch die provokativen Attacken gegen Unifil-Einrichtungen und die Aufforderung, die internationale Friedensmission abzuziehen und z.B. die Erklärung des UN-Generalsekretärs zur "unerwünschten Person".
Die deutsche offizielle Stellungnahme im konkreten Fall ist lau und absolut unzureichend. Seitens Frankreich z.B. wäre in einem vergleichbaren Fall mindestens der israelische Botschafter einbestellt worden.
Momo Bar
"Wir erwarten eine vollständige Aufklärung"- ich weiß nicht wie oft ich das in diesem Krieg, nicht nur von der deutschen Regierung gehört habe, sondern auch von zahlreichen anderen westlichen. Dabei rum kommen tut aber eigentlich fast nie etwas. Eventuell wird mal jemand bei den israelischen Streitkräften degradiert, suspendiert oder, in Fällen die viel Aufmerksamkeit erhalten, auch mal aus dem Dienst entlassen. Eine strafrechtliche Verfolgung findet sehr selten statt. Das ist ja ein Grund warum zum Beispiel die Palestinenser den Römischen Statuten beitreten wollten und sich somit der Gerichtsbarkeit des ICC unterstellen. Etwas das die deutsche Regierung im übrigen aktiv verhindern wollte. Auch zahlreiche Menschenrechtsorganisationen wie die isr. B´Tselem fordern seit Jahren unabhängige Untersuchungen und kritisieren das in vielen Fällen gar nicht erst Untersuchungen (Armee und Polizei) stattfinden. Und ich verstehe nicht wieso man eine Untersuchung nur der Angreiferseite überlässt. Man kann genauso eine Untersuchung vom Libanon starten, man hat ja die Geschosse die sich zurückverfolgen lassen sollten und dann konfrontiert man Israel mit den Ergebnissen.
mwinkl02
Nochmals: Solange Israel keine Urteile des internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anerkennt, sollten keinerlei Waffen mehr geliefert werden.
Martin Rees
@mwinkl02 In einem Rundfunkbeitrag des ÖR war vor diesem Hintergrund die Frage der Beihilfe aufgeworfen worden. Offensichtlich gibt es keinen Plan zur proaktiv wirksamen Deeskalation, von der Vision Frieden ist alles Lichtjahre entfernt.
www.deutschlandfun...etzung-zu-100.html
Harmo-Nie
Ein gezielter punktgenauer Angriff auf Terroristen von der moralischsten Armee der Welt der besten Demokratie der Welt.