Theaterstück „Il Trionfo dei Giganti 2“: Demokratie auf einmal cool
Für das Stück „Il Trionfo dei Giganti 2“ verwandelt das Staatstheater Braunschweig die Bühne in eine Agora. Die ist lustiger als das antike Vorbild.
Direkt degradiert: Zur Braunschweiger Uraufführung von „Il Trionfo dei Giganti 2“ wird das Publikum gleich im Foyer von der panisch engagierten Deborah (Mariam Avaliani) auf den Boden der Tatsachen geholt. Das führt ihm die eigene Rolle klar vor Augen: Jeder Besucher bekommt einen Statisten-Ausweis umgehängt. Im Theater geht’s halt nicht ohne die Zuschauerstatisten, die an den richtigen Stellen zu lachen, zu weinen und am Ende begeistert zu klatschen haben. Und in der parlamentarischen Demokratie, so viel Überbau muss am Staatstheater sein, sind die meisten Bürger auch nur Statisten – statt aktiv gesamtgesellschaftliche Angelegenheiten auszuhandeln.
Einerseits fehlen reale Orte der politischen Kommunikation. Andererseits hat sich die Utopie von interkulturellen Diskursräumen und Beteiligungsmöglichkeiten im Digitalen zur hassgetränkten Dystopie entwickelt. Überzeugungen erwachsen scheinbar nur noch im geistigen Gefängnis der eigenen Filterblase. Diesem Lamento setzt das Staatstheater Braunschweig etwas entgegen, indem es die Experimentierbühne Aquarium für sechs Premieren und eine Gesprächsreihe als Agora herrichtet.
Das antike Vorbild ist legendär. In Athen war die Agora das Zentrum des Gemeinwesens. Der Marktplatz diente der Polis zur Meinungsbildung, zu direktdemokratischen Entscheidungen sowie der Volksjustiz. Außerdem war er Handelsplatz, ein Ort zum Essen, Trinken, Feiern und für den Götterdienst. Da kann das Braunschweiger Theater natürlich nicht mithalten.
Seine Agora ist eher schlicht gestaltet: ein mit Plastikplanen abgehängter, weiß grundierten Raum mit zwei Stuhlreihen im Halbrund vor einer kleinen Bühne. Über allem glüht eine Sonnenstrahleninstallation. Regisseur Fynn Malte Schmidt nutzt das Bühnenbild als Filmset. Sequels von Sandalenfilmen sollen gedreht und als aktuell verkauft werden: „Einfache Geschichten, starke Parabeln, der Kampf Gut gegen Böse, Demokraten gegen Autokraten“.
Aus dem Stücktext von Fynn Malte Schmidt
Wir Statisten tasten uns erst mal im Licht ausgehändigter Taschenlampen durchs unbeleuchtete Szenario. Der Auftrag ist, einen Apfel zu finden, um einen Waschbär anzulocken. Der knabbere die Kabel an. Daher die gegenwärtige Dunkelheit.
Bald schon ist das gesuchte Obst aus einer Amphore gefischt. Aber viel immersiver wird es nicht. Vier Besuchende dürfen noch ein Handtuch als Toga umbinden und alle zusammen mal schnell entscheiden, wer „Cut“ beim Dreh rufen darf, ansonsten bleibt das Volk halt vor allem stummer Zuschauer.
Wirklich in den Austausch kommen nur die Filmleute. Sie zitieren das Gryphius-Sonett „Es ist alles eitel“, räumen zu Jazzmusik endlos Requisiten hin und her, singen mal ein Lied und versuchen eine desillusionierte, genervte Gesellschaft im Leerlauf darzustellen, in der „Beschweren in selbstauferlegter Unmündigkeit zur einzigen politischen Praxis“ erhoben wurde. Was ist zu tun? Ein pädagogisch wertvoller Wandel der Figuren ist herbeizuzaubern – uns allen zum Vorbild.
Schon entdeckt sich Pamela (Amy Lombardi) als Homo politicus und hält einen Impulsvortrag zur Neuorganisation der Arbeit. „Wacht auf, Verdammte dieser Erde“ erklingt. Auch wenn es Unsicherheit bedeutet – ab sofort heißt die Losung: „Freiheit – endlich heraustreten aus den Schatten der Schein-Verantwortung und Teil einer legitimen, demokratischen Form der Entscheidungsfindung werden.“
Das Schauspielquintett arrangiert sich in „revolutionärer Pose“ wie auf dem Gemälde „La Liberté guidant le peuple“ von Eugène Delacroix. Dann dreht es den pathetischen Historienquatsch, für den es engagiert wurde, einfach mal selbstbestimmt in trashiger Manier. Mitten in die Euphorie kommt die Ansage: „Die Betriebsratssitzung im Ben-Hur-Zimmer beginnt in fünf Minuten. Bis gleich.“
Theater Il Trionfo dei Giganti 2, Staatstheater Braunschweig, Aquarium wieder am 11., 26. und 27. 10., jeweils 20 Uhr
Sonst ging dort niemand hin, jetzt werden wohl alle erstmals dabei sein. Ja, dies ist ein Muntermacherstück, Verantwortung zu übernehmen, Solidarität einzuüben. Ein Lehrstück wie von der Gewerkschaft Ver.di oder dem Ensemble Netzwerk verfasst. Aber Ensemble und Regisseur haben es nicht in ihrem Auftrag, sondern aus sich selbst heraus geschrieben. So startet die große Agora-Idee einer demokratischen Streitkultur mit einer kleinen Werbeveranstaltung für betriebliche Mitbestimmung.
Der lässig ironische Umgang mit Rollenklischees des Textes sowie die entspannte Verspieltheit, mit der das politische wie auch mentale Befinden unserer Republik karikiert wird, lassen den Abend zu einem vergnüglichen werden.
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