Auf Streife

Agroforst-Systeme kombinieren Felder mit Baumstreifen. Sie versprechen Schutz vor Wind und Erosion, mehr Wasser für die Pflanzen und zusätzliche Erträge durch das Holz. Warum gibt es nur so wenige davon?

Durch den Abstand der Baumreihen können Agroforst-Äcker mit herkömmlichen Maschinen bewirtschaftet werden Foto: Patrick Pleul/dpa/picture alliance

Aus dem Löwenberger Land Yannik Achternbosch

Fällt der Blick nur auf die Feldfrüchte, erscheint der Acker im Löwenberger Land in Brandenburg völlig unspektakulär. Auf der Fläche 25 Kilometer nördlich von Oranienburg stand 2022 Raps, 2023 Futtergerste und in diesem Jahr wurden Futtererbsen ausgesät. Spannender aber ist das, was sich zwischen den Pflanzen befindet. Schma­le Baumreihen trennen die Ackerflächen. In kleinen Gruppen stehen neben niedrigen Büschen jeweils drei Bäume als Gruppe zusammen. Ihr Stamm ist noch immer dünn, man kann ihn mit zwei Händen umfassen. Die größten sind vielleicht drei Meter. Junge Bäume, noch längst nicht ausgewachsen. „Das sieht nicht spektakulär aus und ist doch eine kleine Revolution“, sagt Tobias Cremer. Er ist Professor am Fachbereich für Wald und Umwelt der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Agroforst nennt sich diese Co-Kultur, die Land- und Forstwirtschaft kombiniert. Noch wird sie von wenigen Land­wir­t:in­nen genutzt, dabei sprechen Ex­per­t:in­nen ihr viele Vorteile zu.

Mit festen Schuhen und Jeans läuft Cremer über einen der Pflanzstreifen. Er kennt seine Wege auf dem Acker. Seit sieben Jahren ist er immer wieder da, um das Agroforst-System zu erforschen. Er möchte wissen, welchen Einfluss es auf verschiedene Faktoren hat, etwa den Boden, die Pflanzen und den Ertrag.

Für die Untersuchungen ist der Acker im Löwenberger Land ein Paradebeispiel. Die Böden in Brandenburg sind relativ sandig und anfällig für starke Winde. In den vergangenen Jahren war der Nordosten Deutschlands besonders von Dürre betroffen. Der Landwirtschaft beschert das große Probleme. Eine Lösung könnte der Agroforst bieten. Die genauen Effekte der Anbaumethode können die Forschenden auf dem Brandenburger Acker selbst allerdings noch nicht bemessen. Dafür ist der Agroforst zu jung. Dennoch: „Erste Tendenzen können wir schon sehen, aber für einen richtigen Zusammenhang müssen wir noch ein paar Jahre warten“, sagt Cremer.

Auf dem Versuchsacker in Brandenburg arbeitet die Hochschule mit einem Landwirt aus der benachbarten Gemeinde Großmutz zusammen. Der Acker soll ein Vorzeigeprojekt werden, eine Art Werbefläche für die Agroforst-Idee. Von der ist Cremer überzeugt. In der Planung wurden die Baumstreifen so angelegt, dass der Landwirt seine bisherigen Maschinen auch dort einsetzen kann. Der Aufwand sollte für ihn so gering wie möglich sein. Entscheidend sei immer wieder die Frage der Akzeptanz für das System, sagt der Forscher. Die Land­wir­t:in­nen sollen sich so wenig wie möglich umstellen müssen.

Am Tag unseres Besuchs ist es windig, bei jedem Windstoß rascheln die Blätter an Bäumen und Büschen. Der starke Wind kann zu schneller trocknende Böden und zur sogenannten Winderosion führen. Dabei trägt er langsam den Boden und damit fruchtbare Schichten ab. Die Auswirkungen können weit über das Feld hinausgehen, wie bei einem Unfall auf der A 19 in Mecklenburg-Vorpommern 2011. Dort führte ein Sandsturm zu einer Massenkarambolage, bei der acht Menschen starben. Riesige weite Ackerflächen, über die der Wind ungebremst schrappt, können zu solchen Sandverwehungen führen. Studien zu Agroforst-Systemen zeigen, dass die regelmäßig verteilten Baumreihen den Wind deutlich aufhalten können.

Der Klimawandel sorgt außerdem dafür, dass Niederschlag häufiger in kurzer Zeit als Starkregen fällt. Der Ackerboden ist dann oft nicht in der Lage, den gesamten Niederschlag aufzunehmen. Im schlimmsten Fall schießen die Wassermassen über leicht abschüssige Äcker und zerstören die Pflanzen. Ähnlich wie beim Wind können Baumstreifen auch hier bremsend wirken. Zusätzlich kann durch die Streifen mehr Wasser im Feldboden versickern.

Trotzdem wirkt es auf den ersten Blick nicht unbedingt intuitiv, mehr Pflanzen auf der Ackerfläche einzubringen, die selbst auch um Wasser konkurrieren. Könnte das in Zeiten der Trockenheit nicht zum Problem werden? Diese Sorgen kann Christopher Morhart, der an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg zu Agroforst-Systemen forscht, ausräumen. „Die Bäume sorgen dafür, dass mehr Wasser in den Kronen hängen bleibt. Ein Teil davon verdunstet, der Rest tropft später auf den Boden, der es dann verzögert aufnehmen kann.“ Zudem konkurrieren die Wurzeln der Bäume gar nicht um dieselben Wasservorräte der Ackerpflanzen. Solange der Acker mit einem Pflug bestellt wird, kappt dieser regelmäßig alle Wurzeln, die über den Baumstreifen hinausragen.

Baum und Helfer

Entgegen der Annahme können Bäume die Wasserversorgung sogar unterstützen und als eine Art Wasserpumpe dienen. Diesen Effekt nennt man Hydraulic Lift. Bäume mit tieferen Wurzeln befördern dabei Grundwasser im Boden nach oben. Davon profitieren auch Pflanzen mit Wurzeln in den oberen Bodenschichten. Die haben dann teilweise mehr Wasser zur Verfügung als die in herkömmlichen Anbausystemen.

Daraus folgen betriebswirtschaftliche Überlegungen. Kurzfristig verlieren die Land­wir­t:in­nen zwar Ackerfläche an die Baumstreifen, auf denen sonst etwa Mais wachsen würde. Durch den Verkauf des Holzes der gepflanzten Bäume sollen die Land­wir­t:in­nen ihre Verluste jedoch mittelfristig ausgleichen. Pflanzt man auf den Baumstreifen beispielsweise schnell wachsende Pappeln, kann man diese bereits nach wenigen Jahren „ernten“. Die Baumstreifen wachsen dann zwar nur auf eine Höhe von bis zu 8 Metern. Wissenschaftliche Studien zeigen aber, dass Baumstreifen auch bei niedrigeren Baumreihen etwa den Einfluss des Windes deutlich reduzieren können.

Wichtig gegen die Vorbehalte sei es, das System als Ganzes zu betrachten. Wer schon mal ein Maisfeld neben einer Allee gesehen hat, der kennt die „Wuchsdepression“ im Schattenbereich, wie Morhart sie nennt. Die Pflanzen dort bekommen weniger Licht, deswegen sind sie kleiner als ihre Kollegen auf dem Rest des Felds. Auf Agroforst-Äckern verhält es sich ähnlich. „Das schreckt viele Landwirte natürlich erst einmal ab“, sagt Morhart. Weitet man den Blick, erkennt man aber, dass die Baumstreifen insgesamt eine positive Auswirkung auf den Acker haben. „Wenn man etwas weiter von den Bäumen entfernt schaut, haben wir mehr Ertrag als auf der Freifläche ohne Gehölzstreifen“, sagt Morhart.

Für ihn sind Agroforst-Systeme ein „Win, win, win“, zumindest aus wissenschaftlicher Sicht. In der Praxis gibt es oft Hindernisse. Deshalb engagiert sich Morhart in dem relativ jungen deutschen Fachverband für Agroforstwirtschaft (DEFAF), der inzwischen auf etwa 300 Mitglieder kommt. Mit Infoveranstaltungen, Flyern und Beratung will der Verband Land­wir­t:in­nen den Einstieg in Agroforst-Systeme erleichtern.

Soll ein Acker auf ein Agroforst-System umgestellt werden, muss sehr langfristig geplant werden. In zeitlich begrenzten Pachtverträgen fehlt dazu die Sicherheit

Aber was macht die Umsetzung eigentlich so schwer? Zum einen geht es um Besitzverhältnisse bei Ackerflächen in Deutschland. Im Jahr 2020 waren 68 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen in Ostdeutschland Pachtflächen, in Westdeutschland waren es 56 Prozent. Die entsprechenden Pachtverträge sind oft zeitlich begrenzt. Will man allerdings Bäume pflanzen und die positiven Effekte des Agroforst-Systems wirklich nutzen, kann das Jahrzehnte dauern. Dagegen rechnen viele in der Landwirtschaft in Jahreszyklen. Weizen säen, warten, ernten – alles in einem Jahr. Wenn man einen Acker auf ein Agroforst-System umstellen will, muss man sehr langfristig planen. In zeitlich begrenzten Modellen fehlt dazu teilweise die Sicherheit. Für viele Landwirte lohnt es sich dann nicht, in ein solches System zu investieren. Wer weiß, ob sie davon überhaupt noch nennenswert profitieren oder woanders von vorne anfangen müssen.

Die zweite große Hürde ist die Finanzierung. Die Bäume müssen zunächst gekauft werden. Politisch wird das bisher kaum gefördert. Der Forscher Tobias Cremer sagt, dass die Subventionen nicht annähernd die Investitionskosten decken. Wie bei Agrarsubventionen üblich, hängt die Förderhöhe für die Baumstreifen von der Hektarfläche ab. Doch genau darin liegt das Problem. Denn das Kriterium bezieht sich nicht auf die gesamte Fläche des Ackers, der umgewandelt werden soll, sondern lediglich auf die der Baumstreifen. Selbst bei großen Äckern mit regelmäßigen Streifen ist die vergleichsweise klein. Es muss ja immer nur ein Baum draufpassen. Solche Subventionen anders zu verteilen liegt in der Hand der Bundesregierung.

Eine Förderung wäre zuletzt auch ein Gewinn für die Umwelt. Für Insekten und größere Tiere bieten herkömmliche Äcker kaum Rückzugsräume. Auf Agroforst-Flächen ändert sich das, die Baumstreifen unterbrechen die großen Flächen und können so Insekten und andere Tiere beherbergen.

Auf dem Brandenburger Acker erzählt Tobias Cremer: „Hier haben Studierende sogar schon mal eine Kröte aus dem benachbarten Tümpel entdeckt.“ Für ihn ist es das erste, glitschige Anzeichen einer „kleinen Revolution“.