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Selenskyj wirbt um weitere HilfenPutin verschärft Nuklearrhetorik

Der ukrainische Präsident Selenskyj wirbt in den USA um Hilfen für sein Land im Krieg. Im Oktober soll ein Spitzentreffen in Deutschland stattfinden.

Wolodymyr Selenskyj vor seiner Rede bei der 79. Sitzung der Generalversammlung der UN

Berlin taz | Der russische Präsident Wladimir Putin hat seine Rhetorik um den Einsatz von Atomwaffen erneut verschärft. Eine Aggression gegen Russland durch einen nicht nuklearen Staat, aber mit der Beteiligung oder Unterstützung eines nuklearen Staates, werde als gemeinsamer Angriff auf Russland betrachtet, so Putin während einer Sitzung des russischen Sicherheitsrates am Mittwoch. Er kündigte dort eine Änderung der russischen Nukleardoktrin an und warnte die westlichen Verbündeten der Ukraine davor, Raketenangriffe gegen Russland zu unterstützen.

Putin reagierte damit auf die Entwicklungen der letzten Wochen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Unterstützer, insbesondere die USA und Großbritannien wiederholt um Erlaubnis gebeten, Langstreckenraketen zum Angriff auf Ziele in Russland einzusetzen. In der vergangenen Woche appellierte er an US-Präsident Joe Biden, sich „seinen Platz in der Geschichte zu verdienen, indem er die Ukraine stärkt“, bevor Bidens Amtszeit endet.

Während Großbritannien, angeführt von Premierminister Keir Starmer, den Einsatz von Storm-Shadow-Raketen durch die Ukraine auf russischem Territorium unterstützt, bleiben die Amerikaner zögerlich. Laut New York Times erwägt Biden aber, den Antrag der Ukraine zu unterstützen – solange die Waffen nicht aus US-amerikanischer Produktion stammen. Nun will Starmer während eines Besuchs in den USA Druck auf das Weiße Haus ausüben, damit es grünes Licht für Langstreckenraketen in ukrainischer Hand gibt.

Druck macht auch Selenskyj. Am Mittwoch sprach der ukrainische Präsident vor der UN-Generalversammlung in New York. Er betonte dort erneut, dass Moskau versuche, sein Land von der Stromversorgung abzuschneiden und plane, die Ukrainer „in diesem Winter in Kälte und Dunkelheit“ zu lassen und sie zu zwingen, „zu leiden und sich zu ergeben“. Und er prangerte die aus seiner Sicht „halbherzigen Pläne“ zur Beilegung des Konflikts an. „Dies ignoriert nicht nur das Leid der Ukrainer – es gibt Putin den politischen Spielraum, um den Krieg fortzusetzen“, sagte er.

Ukraine fordert gerechten Frieden

Selenskyj forderte die Weltgemeinschaft auf, sich zusammenzuschließen und Russland zu zwingen, an den Verhandlungstisch zu kommen, um einen „gerechten Frieden“ zu erreichen. Er kritisierte zudem scharf den UN-Sicherheitsrat, in dem Moskau als ständiges Mitglied ein Vetorecht hat.

Die Ukraine hat außerdem einen sogenannten „Siegesplan“ ausgearbeitet, der am Donnerstag US-Präsident Biden vorgelegt werden sollte. Dabei soll es sich um einen Vorschlag zum Kriegsende zu den Bedingungen der Ukraine handeln. Und um mehr militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung durch die USA und andere Verbündete. Am Donnerstag kündigte die US-Regierung bereits vor dem Treffen weitere Militärhilfen für die Ukraine in Höhe von 8 Milliarden US-Dollar sowie Sanktionen gegen Russland an.

Ein Zeichen für die Solidarität mit der Ukraine soll auch ein hochrangiges Treffen von 50 Verbündeten in Deutschland setzen. Bereits im Oktober soll die Konferenz – offenbar im Rahmen des Ramstein-Formats der Ukraine-Kontaktgruppe – stattfinden. Selenskyj läuft die Zeit davon. Sollte Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen im November gewinnen, würde sein Sieg die Ukraine in Zukunft vor ein großes Problem stellen.

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19 Kommentare

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  • Die Änderung der russischen Nukleardoktrin ist vor allem an seine hiesigen Propagandisten gerichtet, die damit wieder ein "Argument" haben, um die Ukraine nicht zu unterstützen. Praktisch hat sie keine Auswirkungen, so rational ist Putin doch noch, dass er die Mechanismen der Abschreckung kennt.

    Aber nach fast einem Vierteljahrhundert Erfahrung mit Putin und seiner Gewaltherrschaft sollte man doch allmählich wissen, mit wem man es zu tun hat. Mit seinem Regime wird es in Europa zu keinem verlässlichen Frieden kommt. Putin bricht Verträge und unterminiert systematisch Verhandlungsergebnisse, wann immer es ihm passt, wie ja auch Minsk I und II gezeigt hat.

    Es wäre zu hoffen, dass auch die US-Regierung die daraus nötigen Konsequenzen zieht; mit den Scholzens dieser Welt ist das ja nicht möglich. Frieden wird es erst geben, wenn Putin die Aussichtslosigkeit seines Krieges klar ist.

  • Wie will man friedlich ko-exisiteren mit einem Land das nuklear Waffen in einem imperialistischen Eroberungskrieg einsetzt? Unmöglich.

    Vorallem wenn man die Angst vor einem Atomkrieg als Argument sieht, wieviel von Europa will man Putin dam im Zweifelsfall geben?

    • @Machiavelli:

      Natürlich wird man mittelfristig und langfristig auch in Europa wieder friedlich mit Russland zusammenleben können. Das mag momentan schwierig vorzustellen zu sein, aber wir verherrlichen im Nachhinein vielfach die " Stabilität" der UDSSR. Ich möchte nochmal daran erinnern, dass wir zb im Prager Frühling nicht die Menschen unterstützt haben. Es gab zwar Überlegungen bei uns im Westen, aber letztendlich hat sich die Erkenntnis breit gemacht, dass Breschnew auch bereit wäre zu eskalieren. Mittelfristig wird kein Weg daran vorbei führen zu aktzeptieren, dass Großmächte nachwievor in Einflusssphären denken. Letztendlich muss es vor allen Dingen darum gehen den Schaden und das Leid für die Ukraine klein zu halten.

      • @Alexander Schulz:

        "Natürlich wird man mittelfristig und langfristig auch in Europa wieder friedlich mit Russland zusammenleben können."



        Das wird genau dann der Fall sein, wenn Russland nicht mehr von Menschen regiert wird, die ihr Land irrtümlicherweise für eine Großmacht halten.

        • @Barbara Falk:

          Ja, ich würde mir auch andere Menschen in der Regierung wünschen. Aber Russland ist nun einmal eine militärische Großmacht, egal ob es uns gefällt oder nicht. Man sollte hier zwischen Wunschdenken und der der Realität differenzieren.



          Man könnte auf Grund der nuklearen Kapazitäten sogar darüber streiten, ob es nicht eine Supermacht ist.

          • @Alexander Schulz:

            Man könnte auf Grund der nuklearen Kapazitäten sogar darüber streiten, ob es nicht eine Supermacht ist.

            Die nuklearen Kapazitäten sind eher der Grund, warum Russland ggfs. als militärische Großmacht zu betrachten ist. Eine Supermacht ist es nicht. Dafür sind Russlands Fähigkeiten, global militärische Macht zu projezieren, einfach zu gering. Nüchtern betrachtet sind nur die USA derzeit als militärische Supermacht einzuordnen. Die haben grundsätzlich die Fähigkeit, an jedem Ort der Erde auch mit einer relevanten Menge Bodentruppen wirksam zu werden, und das in größeren Stil. Die Fähigkeit sehe ich bei Russland nicht. (Bei China übrigens auch nicht, nur als Kontext, weswegen ich die USA derzeit als einzige militärische Supermacht bezeichnen würde.)

    • @Machiavelli:

      Nun, die Idee nachträglich ehem SU-Republiken die Unabhägigkeit zu entziehen ist ja schon vor 2 Jahren in den Raum geworfen worden.



      Nach russischem Verständnis kann Moskau dies, da Russland ja Rechntsnachfolger der SU ist.



      Also könnte den baltischen Staaten die "Genehmigung" der Eigenstaatlichkeit wieder entzogen werden.



      Demnach wäre ihr Territorium rückwirkend umstritten und sie würden aus der NATO fallen und wären Teil der russischen Föderation.



      Damit wäre eine Durchfahrt nach Kaliningrad möglich.

      • @Waagschale:

        Inkonsistent selbst an der extremistisch-russischen Sichtweise ist dabei, daß die Staaten des Baltikums ja selbst in der UdSSR nicht Teil der russischen SSR waren, sondern eigene Sowjetrepubliken. Der Rückgriff geht daher eigentlich noch viel weiter zurück, nämlich in Richtung des Zarenreiches, zu dessen Zeit das Baltikum einverleibtes Territorium war.

  • "Putin verschärft Nuklearerotik."

    Nun, Putin ist es gewohnt wenn ihm die Umstände nicht passen durch Gesetzsänderungen die Umstände zu ändern?



    Opposition? Alles ausländische Agenten

    Begrenzte Amtszeit? Ungehen und dann Verfassung ändern

    In diesem Fall möchte er quasi per Gesetz fest legen dass man sich nicht gegen Russland wehren darf.



    Wäre ja auch unfair wenn man das dürfte.

  • Jetzt hab ich doch glatt gelesen: "Putin verschärft Nuklearerotik."



    Obwohl - passt auch wie Arsch auf Eimer.

  • Putin verschärft Nuklearrhetorik

    So what, das zeigt nur das der Westen auf dem richtigen Weg ist. Je mehr heiße Luft vom Rumpelstilzchen aus dem Kreml kommt ums besser.

  • Ich wünsche allen Lesern einen schönen Petrow-Tag

    • @H. Wolfgang B.:

      Danke



      so ein Tag sollte echt eingeführt werden.



      Es würde das Bewusstsein schärfen, dass es schneller knallen kann als man denkt. Es braucht nicht immer einen Aggressor.

  • Ich hoffe, dass die Biden-Regierung bei ihrer bisherigen, insgesamt besonnenen Unterstützung der Ukraine bleibt und sich nicht zu Abenteuern hinreißen lässt. Die Unterstützung der Ukraine ist im Grundsatz richtig, doch gerade werden am laufenden Band Grenzen eingerissen, von denen jede einzelne im schlimmsten Fall die letzte sein kann. Einen "Sieg" der Ukraine wird es nicht geben, Ziel muss doch das Überleben einer souveränen, unabhängigen und sicheren Ukraine sein, nicht der Erhalt jedes Quadratkilometers an Territorium.

    • @Agarack:

      In diesem Fall gehe ich sogar davon aus, dass die US-Linie gesetzt bleibt. Auch Personalentscheidungen zeigen das an. So hat V. Nuland schon vor Monaten ihren Posten geräumt. Eine wichtige Akteurin, die die US-Taktik in Bezug auf die Ukraine seit Jahren mitgestaltet hat.



      Die Rhetorik aus Moskau war eindeutig - und auch die Rhetorik aus Washington, sogar gegenüber London, war hart und eindeutig. Man kann es natürlich nie wissen, aber es gibt starke Anzeichen dafür, dass dies die US-Haltelinie ist (Waffen hoher Reichweite f. den Einsatz in Russland aus US Produktion) - weil es die russische Haltelinie ist.



      Denn hinter aller Heldenrhetorik, sind sich vor allem die Akteure in Washington und im Pentagon sehr bewusst wie die Lage ist und welche Möglichkeiten man unter den gegebenen Umständen hat - und welche man nicht hat.

      • @Einfach-Jemand:

        "Denn hinter aller Heldenrhetorik, sind sich vor allem die Akteure in Washington und im Pentagon sehr bewusst wie die Lage ist und welche Möglichkeiten man unter den gegebenen Umständen hat - und welche man nicht hat."

        Davon gehe ich auch aus und vieles spricht für diese These!

      • @Einfach-Jemand:

        Westliche Waffen mit hoher Reichweite sind für Putin die Haltelinie, aber ukrainische Waffen mit hoher Reichweite sind für Putin okay? Warum?

        • @Barbara Falk:

          Weil der Ukraine-Krieg nach meiner Auffassung (im Grunde) kein Krieg ist, der um Territorien geführt wird, sondern einer, bei dem es um einen geopolitischen Konflikt geht. Dieser Konflikt ist einer zwischen einer sehr großen und einer großen militärischen Macht (USA - Russland) und hat sich an der Frage ob die Ukraine NATO-Mitglied werden kann, entzündet. Daher ist es (im Grunde) ein Konflikt zwischen USA/NATO und Russland um Einflusszonen (R. betrachtet die NATO-Erweiterung um die Ukr als existenziell gefährdend für sich selbst - als zu große Erweit. der Einflusszone v.a. des US-Militärs). Und da weder die USA noch R. einen Krieg gegeneinander führen möchten (Stichwort Atomwaffen), gibt es für beide Seiten "Haltelinien". R. akzeptiert nur eine gewisse Einmischung in den Krieg, ohne dies als direkte Kriegsbeteiligung zu werten und weitere Eskalationsstufen zu nehmen. Diese "Grenze" respektiert Washington. Deshalb ist es für Moskau etwas anderes, wenn Raketen, die in R. einschlagen nicht aus der Ukr, sondern aus den USA stammen - und das verstehen beide Seiten. Kommuniziert wird freilich etwas anderes. Aber wenn man genau hin sieht, erkennt man genau das. Meiner Ansicht nach.

        • @Barbara Falk:

          Mit ihren eigenen Waffen kann die Ukraine zwar symbolische Schläge durchführen, aber nicht eine Wendung im Krieg herbeiführen.



          Mittel- und langfristig wird es der Ukraine unter Umständen auch erlaubt werden vereinzelt westliche Waffen einsetzen zu dürfen, wenn das notwendig ist um eine Niederlage abzuwenden. Vorher würde man aber wahrscheinlich eine sehr sorgfältige Risikoabwägung betreiben.