: Eine proletarische Lokalheldin
Eine kurze Zeit lang war Minna Faßhauer 1918/19 in der Sozialistischen Republik Braunschweig Ministerin. Ein Film erinnert an sie – und zeigt, wie eine kleine Gruppe von in die Jahre gekommenen Linken sich um das Andenken der ArbeiterInnenkämpferin bemüht
Von Wilfried Hippen
Wer war die erste Ministerin Deutschlands? Das ist eine Quizfrage, die wohl nur politisch interessierte BraunschweigerInnen beantworten können. Im November 1918 wurde die Arbeiterin Minna Faßhauer von der Sozialistischen Republik Braunschweig als Ministerin für Volksbildung in den Rat der Volkskommissare berufen. Im März 1919 musste sie schon wieder abdanken, und ein paar Wochen später wurde in Braunschweig mit der Waffengewalt von Freikorpstruppen die sozialistische Regierung abgesetzt.
Aber Minna Faßhauer wird in Braunschweig in Gewerkschaftskreisen und von Frauenrechtlerinnen als lokale proletarische Heldin gefeiert. Heute, an ihrem 145. Geburtstag, feiert im Braunschweiger Kino Universum ein Dokumentarfilm über Faßhauer Premiere, in dem der Braunschweiger Filmemacher Michael Ewen zeigt, wie eine kleine Gruppe von schon in die Jahre gekommenen Linken sich um das Andenken der Arbeiterkämpferin bemüht.
So hat der Designer Peter Frank sein Büro nach ihr benannt und von ihrem Foto ein Poster im Stil der Ikonen von Andy Warhol entworfen. Heide Janicki hat ein langes Referat über das Leben und Wirken von Minna Faßhauer gehalten, von dem lange Passagen in Film gelandet sind – oft mit passenden historischen Fotos, Plakaten oder Zeitungsberichten auf der durch die Split-Screen-Technik geteilten Leinwand. Und Elisabeth Lieberknecht macht Stadtspaziergänge, auf denen sie die Orte in Braunschweig besucht, die einen Bezug zu Minna Faßhauer haben.
Hierbei war auch Michael Ewen mit seiner manchmal etwas unscharf eingestellten Digitalkamera dabei. Vor allen diese beiden Frauen erzählen und analysieren viel. Denn filmisch lässt sich kaum etwas anderes aus der Geschichte herausholen, es gibt nur wenige historische Dokumente über die 1949 gestorbene Minna Faßhauer. Nur ein einziges Porträtfoto existiert von ihr, das im Film dann auch immer wieder einmontiert wird.
In den frühen 1920er-Jahren war Faßhauer Mitglied der Kommunistischen Arbeiterpartei und wurde darum fälschlich als Mittäterin bei einem Sprengstoffanschlag angeklagt und für kurze Zeit inhaftiert. Doch danach gab es lange nichts über sie zu erzählen. Die einzigen Dokumente über die Aktivitäten der Arbeiterkämpferin in den späteren 1920er- und 1930er-Jahren sind die Untersuchungs- und Verhörprotokolle der Gestapo, die Minna Faßhauer 1935 verhaftete und für einige Monate im KZ Moringen inhaftierte.
So zeigt der Film vor allem eine Handvoll von Braunschweiger BürgerInnen, die versuchen, sich an Minna Faßhauer zu erinnern. Dadurch bekommt der Film eine so vom Regisseur vielleicht gar nicht intendierte zweite Ebene, auf der er zeigt, wie leidenschaftlich sich diese kleine Gruppe von Menschen, von denen die meisten schon im Rentenalter sind, für diese historische Arbeiterkämpferin für das Proletariat engagiert.
Anrührende Begeisterung
So redet sich etwa Elisabeth Lieberknecht auf den Straßen von Braunschweig manchmal so in einer Begeisterung hinein, dass diese Filmsequenzen überraschend anrührend wirken. In einer anderen Szene wird der Stolperstein, der zu Ehren von Minna Faßhauer in Braunschweig eingesetzt wurde, liebevoll mit einer Zahnbürste geputzt. Während die eigentliche Protagonistin immer distanziert bleibt, denn sie wird von den Vortragenden und so auch im Film nur über ihre politischen Aktivitäten definiert, kommt man ihren heutigen Anhänger*innen auch dadurch nah, dass Michael Ewen erst gar nicht versucht, sie zu inszenieren, sodass sie sehr unmittelbar und authentisch wirken.
Aber was sie und der DGB-Vorsitzende der Region Süd-Ost-Niedersachsen, Peter Frank, in die Kamera referieren, ist dann doch oft sehr trocken. Zur Auflockerung hat Michael Ewen ein paar unterhaltsamere Filmsequenzen montiert, die allerdings eher unvermittelt und willkürlich wirken. So beginnt er den Film etwa mit einer Autobahnfahrt, zu der rockige Gitarrenmusik eingemischt wurde. Aber warum diese Ausfahrt in Faßhauers Geburtsort Egeln in Sachsen-Anhalt im Stil von „Easy Rider“ inszeniert wird, bleibt das Geheimnis von Ewen. Die Zeit der kapitalistischen Weimarer Republik wird durch eine Montage von Werbegrafiken (von Sekt bis Fußpuder) präsentiert. Das ist amüsant anzusehen, hat aber stilistisch und inhaltlich wenig mit dem Rest des Films gemeinsam.
Aber Ewen hatte offensichtlich gar nicht den Anspruch, hier ein Werk mit ästhetischem Mehrwert zu produzieren. So bleibt „Minna Faßhauer – Arbeiterin, Gewerkschafterin, Ministerin“ mehr Dokument als Film. Er wird nach der Premiere wohl kaum in weiteren Kinos, sondern eher in Seminarräumen gezeigt werden, und als ein gefilmtes Denkmal von Minna Faßhauer erfüllt er seinen Zweck. Und dies macht der Stadtführer Peter Matuschak am Ende des Films deutlich wenn er sagt: „Es muss etwas bleiben von ihr … für jedermann sichtbar.“
„Minna Faßhauer – Arbeiterin, Gewerkschafterin, Ministerin“, Regie Michael Ewen, Braunschweig 2024, 80 Minuten
Der Film hat heute um 19 Uhr im Kino Universum in Braunschweig Premiere
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