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Antisemitismus in Sachsen-AnhaltStolpersteine in Zeitz gestohlen

Unbekannte haben am Jahrestag des Hamas-Massakers die zehn Gedenksteine herausgerissen, die in Zeitz an NS-Opfer erinnern. Der Staatsschutz ermittelt.

„Wir werden so schnell wie möglich neue Steine machen“, sagt Gunter Demnig, hier bei der Verlegung von Stolpertsteinen in Rom Foto: Matteo Nardone/Pacific Press Agency/imago

Leipzig taz | Unbekannte haben die zehn Stolpersteine in der Stadt Zeitz herausgerissen und mitgenommen. Die Steine erinnerten an jüdische Opfer der deutschen NS-Diktatur. Ihr Fehlen wurde in der Stadt im Süden Sachsen-Anhalts am Montag entdeckt, also am 7. Oktober, genau ein Jahr nach dem Massenmord der Hamas in Israel. Be­ob­ach­te­r:in­nen vermuten einen Zusammenhang.

Die Initiative Stolpersteine Zeitz und die Zeitzer Bürgermeisterin Kathrin Weber haben Strafanzeige erstattet. Laut Polizei ist bislang allerdings unklar, wann die Steine genau verschwanden. Weil es sich offenbar um ein politisches Motiv handle, ermittelt nun der Staatsschutz.

Der Vorsitzende des Landesverbandes jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt, Max Privorozki, klingt ernüchtert. „Es ist ein weiteres Beispiel, dass Antisemitismus keine Grenzen kennt.“ Der 7. Oktober sei seit dem Pogrom in Israel im vergangenen Jahr ein wichtiges Datum im Judentum. Übergriffe und Anschläge seien an solchen Daten „leider nichts Neues“, sagt er.

Ein anderes Beispiel jährt sich in Halle (Saale) am Mittwoch zum fünften Mal: Der Terroranschlag auf die Synagoge am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Ein Rechtsextremist versuchte damals, die Synagoge zu stürmen, als in ihr mehr als fünfzig Personen einen Gottesdienst feierten. Nachdem der Täter an der Tür gescheitert war, erschoss er zwei Pas­san­t:in­nen und verletzte weitere schwer. Max Privorozki war 2019 mit in der Synagoge und organisiert die Gedenkveranstaltungen am Mittwoch mit.

Stolpersteine schnell ersetzen

In Zeitz steht das Wahlkreisbüro des Landtagsabgeordneten Sebastian Striegel (Grüne). Er hat eine Belohnung von 1.000 Euro für Hinweise versprochen, die zur Ergreifung der Tä­te­r:in­nen führen. „Das braucht ja Zeit, die Steine aus dem Boden zu holen“, sagt er, deswegen hofft er auf Zeug:innen. Außerdem wolle er nicht nur fassungslos verharren. Die Tat zeige laut Striegel: „Antisemitismus grassiert in unserer Gesellschaft. Und weder lebende noch tote Jüdinnen und Juden sind vor ihm sicher.“

Gunter Demnig, der das Stolperstein-Projekt ins Leben gerufen hat, fährt gerade nach Bobingen, als die taz ihn telefonisch erreicht. Dort will er eine Gedenkschwelle für die Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen der Bahnmeisterei in der NS-Diktatur verlegen. Von den herausgerissenen Steinen in Zeitz hat er schon gehört. „Wir werden so schnell wie möglich neue Steine machen“, sagt er knapp.

Das Projekt der Stolpersteine begann der Künstler 1992 mit einem Prototyp in Köln. Mittlerweile erinnern in 32 europäischen Länder insgesamt rund 112.000 Stolpersteine an die Opfer des Nationalsozialismus. Das sei zwar nur ein Bruchteil der Toten und Verfolgten, räumt Demnig ein, aber immerhin symbolisch etwas. Auch nach mehr als 30 Jahren sei das Verlegen für ihn noch etwas Besonderes, denn hinter jedem Stein stehe immer ein einzelnes Schicksal, „da gibt es keine Routine“, sagt Demnig.

Antisemitischer Hintergrund sei klar

Angehörige freue besonders, dass mit den Steinen die Namen der NS-Opfer wieder auftauchen. Das bewahre die Erinnerung. „Die meisten haben ja noch nicht mal einen Grabstein.“ Anfangs habe Demnig gedacht, dass das Interesse sinke irgendwann. „Aber es ist umgekehrt. Immer mehr Angehörige erfahren von unserem Projekt und fragen an“, berichtet er. Auf der Website heißt es, Termine für neue Verlegungen gebe es erst 2025 wieder.

Angriffe auf die Steine gibt es immer wieder. Bislang seien etwa 900 gezielt herausgerissen worden, schätzt der Künstler, vielleicht auch etwas mehr. In Greifswald wurden etwa 2012 in der Nacht vom 8. auf den 9. November – dem Gedenktag an die antisemitische Reichspogromnacht von 1938 – alle elf Steine entfernt. Fast genau, wie nun in Zeitz. Auch dieses Mal sei wegen des Datums ein antisemitischer Hintergrund klar, so Gunter Demnig.

In Zeitz sammeln die Stadt und die Initiative Stolpersteine nun Spenden, um die entwendeten Steine schnell zu erneuern. Ähnlich war es auch in Greifswald. Allerdings wurden die Steine ein Jahr später nicht nur ersetzt. Es kamen genug Spenden zusammen, um weitere Stolpersteine zu verlegen.

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7 Kommentare

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  • Bitte bei den neuen Steinen Funkempfänger einlegen, denn die Faschisten werden nicht damit aufhören. Nur wenn die Steine bekannterweise mit Funk überwacht sind, werden sie auch zukünftig sicher sein vor Diebstahl. Gleichfalls kann im Falle des Bewegungsstatus umgehend die Polizei gerufen werden, ohne das die Diebe dies bemerken. Den Rest erledigt GPS.

    • @Sonnenhaus:

      So ein Mechanismus müsste entweder verkabelt oder mit einer Batterie ausgestattet sein. Beides halte ich für schwer umzusetzen, da es sich ja einfach um "Pflastersteine" handelt.

    • @Sonnenhaus:

      Faschisten und/oder Hamas-Anhänger. Was für eine unheilige Allianz, vereint im Judenhass. Ich finde inzwischen den Begriff "Islamofaschisten" sehr passend.

  • Feiges Pack.

  • Diese in immer größer werdende Teile, einer kaputten kranken Gesellschaft, die verkommt immer mehr. Mehr kann man dazu wirklich nicht schreiben.

  • Da der Link zur Pressemitteilung im letzten Absatz zumindest bei mir nicht funktioniert, hier einmal die URL zur Kategorie "Pressemitteilungen" der Stadt Zeitz ( www.zeitz.de/Ratha...ressemitteilungen/ ), sowie ein Auszug aus der PM mit den Daten des Spendenkontos:

    Landrat Götz Ulrich hat deshalb kurzerhand ein Spendenkonto eingerichtet und bittet zusammen mit der Stadt Zeitz und der Initiative Stolpersteine Zeitz um spenden.

    Spendenkonto

    Sparkasse Burgenlandkreis



    IBAN: DE18 8005 3000 1131 0704 41

    Die eingehenden Spenden werden in Abstimmung mit der Stadt Zeitz und der Initiative Stolpersteine genutzt, um die Stolpersteine alsbald zu ersetzten. Nicht benötigte Spenden werden dem Simon-Rau-Zentrum in Weißenfels zur Verfügung gestellt, um die Erinnerungsarbeit an die ehemaligen jüdischen Gemeinden im Burgenlandkreis zu

    • David Muschenich , Autor des Artikels, Korrespondent
      @HaMei:

      Vielen Dank, wir haben den Link im Absatz auch getauscht. Warum der nicht funktioniert, kann ich leider nicht erklären.