SPD-Politiker über seine Partei: „Wir haben jetzt die Rolle der FDP“

In Thüringen verlor sogar Matthias Hey sein Direktmandat. Er sagt, mancherorts sei die SPD nicht mehr vorhanden. Doch die Partei abschreiben? Nein.

Die sechs SPD-Mitglieder stehen auf einer Treppe und werden von einem Fotografen fotografiert

Da waren es nur noch sechs: Die SPD-Fraktion in Erfurt – Matthias Hey (hinten rechts) will die Partei trotzdem nicht abschreiben Foto: Martin Schutt/dpa

taz: Herr Hey, in Thüringen haben bei der Landtagswahl gerade noch 6,1 Prozent der Wählenden ihr Kreuz bei der SPD gemacht. Der Abwärtstrend hält schon seit Jahren an. Lässt sich der noch aufhalten?

Matthias Hey, 54, seit 15 Jahren für die SPD im Thüringer Landtag. In der DDR arbeitete er als Drucker, nach der Wende machte er eine Weiterbildung zum Steuerbeamten in seiner Heimat Gotha. 1996 trat er in die SPD ein. Bei der Landtagswahl verlor er in Gotha knapp sein Direktmandat an AfD-Mann Stephan Steinbrück, zog aber über die SPD-Landesliste wieder ins Parlament ein.

Matthias Hey: Tja, als ich 2009 in den Landtag kam, da hatten wir noch 18 Prozent. 2014 sind wir runter auf 12 Prozent, fünf Jahre später waren es noch 8 und jetzt 6 Prozent. Das ist schon beängstigend. Wir reden von der ältesten mitteleuropäischen Partei, die in meiner Stadt Gotha 1875 laufen gelernt hat. Jetzt haben wir die Rolle der FDP, sage ich mal so, als kleinste Fraktion im Thüringer Landtag. Und das kann für eine solch stolze Partei nicht der Anspruch sein.

taz: Wie lässt sich das ändern?

Hey: Das hängt von vielen Dingen ab. Zum Beispiel von pragmatischer Landespolitik. Wir haben in der jetzigen Situation gemerkt, dass die Lage der Ampel im Bund, also der Koalitionsstreit, auf uns niedergeregnet ist.

taz: Hat die Bundesspitze der SPD hat schon begriffen, wie schwer gerade die Situation in Sachsen und in Thüringen ist?

Hey: Na ja. Völlig ohne Not – und wie ich finde, inhaltlich falsch – hat vor wenigen Wochen das Präsidium der SPD einen Beschluss gefasst, wie dufte das ist, in zwei Jahren wieder Mittelstreckenwaffen auf deutschem Boden zu stationieren, die Richtung Moskau zeigen. Dass die das ernsthaft vor zwei entscheidenden Landtagswahlen im Osten tut, wo die Leute das Wettrüsten satthaben, das ist fatal. Und es lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder man hat im Willy-Brandt-Haus nicht so richtig begriffen, wie der Osten tickt. Oder man kalkuliert das ein und der Osten ist einem dann egal. Beide Begründungen gefallen mir nicht.

taz: Warum ist die SPD in Thüringen, wo sie doch in Gotha das Laufen lernte, so schwach?

Hey: Also in Gotha ist sie sehr stark. Wir sind am Wahlabend mit 34,6 Prozent nur um 27 Stimmen am Direktmandat vorbeigeschrammt. Und das, obwohl eine schmutzige Kampagne fälschlich behauptete, ich läge schon im Hospiz und ein Kreuz bei mir mache keinen Sinn. Auch in einzelnen Städten, Erfurt, Jena, Eisenach, können wir noch punkten. Aber insgesamt gilt schon, was Sie sagen. Es gibt Regionen in Thüringen, da ist die SPD de facto nicht mehr vorhanden. Zumindest nicht als eine Partei, die Ortsvereine besitzt, die Jusos hat. Es gibt Teilstriche, da leben noch 10 Genossen, die sind alle über 70 und haben alle schlechte Laune. Wir haben das flache Land verloren. Und solche Strukturen zurückzuerobern, ist unglaublich schwierig, da die Räume längst neu besetzt sind.

taz: Unglaublich schwierig oder unmöglich?

Hey: Nein, unmöglich ist das nicht. Man darf die SPD nie abschreiben. Aber sie muss bundesweit an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, damit die Leute sagen: Diese drei Buchstaben sind der Anwalt meiner Interessen. Denn aktuell stelle ich fest, dass beispielsweise das Arbeitermilieu längst die SPD als Partner im Parlament abgeschrieben hat und AfD wählt.

taz: Wie wollen Sie es schaffen, dass es wieder mehr als 10 Genossen werden?

Hey: Wir müssen unsere Sichtbarkeit wieder herstellen. Vielleicht sollten wir, ich spinne jetzt mal, eine Art Kasse gründen, in die jeder Mandats- und Funktionsträger der SPD jeden Monat etwas einzahlt, damit wir im ländlichen Raum zum Beispiel ein SPD-Büro haben, wo sich Jusos abends treffen und Leute hingehen können, um sich meinetwegen zu beschweren. Es ist wichtig, dass wir auf dem Land überhaupt da sind.

taz: Und dann treten die Leute wieder in die SPD ein?

Hey: Nicht einfach so. Wir erleben im ländlichen Raum eine Entpolitisierung. Es gibt Gemeinderäte, da gibt es gar keine Parteien mehr. Die Leute glauben, insbesondere im Osten, dass dieses Zusammenwirken von bestimmten Funktionären und einer Partei nicht gut ist. Das rührt aus der Vergangenheit her, denn die Partei war schlechthin die SED. Damit wollte man nichts zu tun haben. Jetzt gerieren sich Leute, die sich Freie Wähler nennen oder die parteilos sind, als die Besseren. Das ist ein großes Problem, nicht nur für die SPD. Krankenversicherung, Rentensystem, Straßen, Schulen – das alles haben Parteien gemacht. Wir müssen den Leuten begreifbar machen, dass es nichts Übelriechendes ist, wenn du Mitglied einer Partei bist. Ich rede ja gar nicht davon, dass alle in die SPD müssen. Wir brauchen auch eine starke CDU oder etwa die Grünen.

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