Antisemitismus in Berlin: Notfalls bis zum Schulverweis
Ein SPD-Abgeordneter fordert ein ganzes Maßnahmenbündel zur verstärkten Bekämpfung von Antisemitismus. Er macht sich damit nicht nur Freunde.
Berlin taz | Beleidigungen, Bedrohungen, Gewalt: Seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober vor einem Jahr und dem anschließenden Krieg in Nahost hat sich die Sicherheitslage für Jüdinnen und Juden in Berlin massiv verschlechtert. So erfasste die Polizei im 1. Halbjahr 2024 insgesamt mehr als viermal so viele antisemitische Delikte wie im Vergleichszeitraum des Vorjahres – im Schnitt vier pro Tag.
Der SPD-Politiker Alexander Freier-Winterwerb will es nicht mehr bei wohlfeilen Worten der Entrüstung über einzelne Übergriffe belassen. Seine Forderung: Das Land Berlin müsse nicht nur mehr Geld zum Schutz jüdischer Einrichtungen in die Hand nehmen, sondern insbesondere auch im Schul- und Jugendbereich wesentlich intensiver den Kampf gegen Antisemitismus aufnehmen.
Der jugendpolitische Sprecher der SPD-Fraktion hat in der Sommerpause einen entsprechenden Antrag für das Abgeordnetenhaus mit einem ganzen Bündel an Maßnahmen erarbeitet. Das Papier liegt der taz vor. Geht es nach dem Willen Freier-Winterwerbs, soll es bei der nächsten Plenarsitzung in zwei Wochen ins Landesparlament eingebracht werden.
„Die Zunahme der Straftaten gegen Jüdinnen und Juden wie die vielen Leute auf der Straße bei antisemitischen Demonstrationen machen mir Angst“, sagt Freier-Winterwerb zur taz. Er ist überzeugt, „dass sich der Zustand unserer Gesellschaft an der Lebenswirklichkeit von Jüdinnen und Juden ablesen lässt“. Und wenn er höre, dass sich immer mehr Jüdinnen und Juden darüber Gedanken machten, Deutschland zu verlassen, sei das in höchstem Maße erschreckend.
Mehr Fortbildungen für Lehrer:innen
Konkret fordert der SPD-Abgeordnete in dem Antrag unter anderem verstärkte Fortbildungen für Lehrer:innen „zum professionellen Umgang mit Israelfeindlichkeit und allen Erscheinungsformen des Antisemitismus im schulischen Kontext“. Auch Mitarbeiter:innen von Jugendfreizeiteinrichtungen müssten regelmäßig Schulungen zum Thema Antisemitismus erhalten.
Eine Demonstration mit jubelnden Teilnehmern nach dem Raketenangriff Irans auf Israel hat scharfe Kritik von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) ausgelöst. „Ich bin entsetzt über die Bilder der vergangenen Nacht aus Kreuzberg und Wedding. Wer in unserer Stadt Angriffe von Terror-Organisationen und Terror-Staaten bejubelt, wird eine deutliche Antwort des Rechtsstaats spüren“, teilte Wegner mit. „Berlin ist die Stadt der Freiheit und der Vielfalt. Hass, Hetze und Antisemitismus gehören nicht zu Berlin und nicht nach Berlin. Dabei wird es auch in Zukunft bleiben“, schrieb Wegner weiter. Nach dem Raketenangriff Irans und kurz vor dem Jahrestag des Überfalls der islamistischen Hamas auf Israel war es am Dienstagabend bei zwei Demonstrationen in Wedding und Kreuzberg erneut zu Straftaten und Tumulten gekommen. (dpa)
Darüber hinaus macht sich Freier-Winterwerb für schärfere Sanktionen gegen Schüler:innen stark, die wiederholt für antisemitische Vorfälle an den Schulen verantwortlich sind, dazu gehöre auch das Mittel des Schulverweises.
Zugleich sollten Berliner Schüler:innen in ihrer Schulzeit neben Orten jüdischen Lebens auch mindestens einmal eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Anstehende Sparrunden der schwarz-roten Koalition hin oder her: Das Land Berlin müsse hierfür ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen.
Nun ist das mit dem Geld so eine Sache. So sind im aktuellen Doppelhaushalt für den Kampf gegen Antisemitismus und die Unterstützung der jüdischen Gemeinde zusammen zwar 20 Millionen Euro zusätzlich eingestellt. Nur wurden die Mittel bislang kaum in Anspruch genommen. Anfang August waren erst 300.000 Euro verausgabt. Zur Begründung wurden Verwaltungsprobleme genannt.
Inzwischen, so Freier-Winterwerb, seien „die Mittel für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ immerhin teilweise ausgegeben. Doch auch hier sei man noch „weit weg von den 10 Millionen“, die genau dafür zur Verfügung gestellt wurden. Das gehe so nicht an. In seinem Antrag fordert er dann auch, dass die Mittel für Projekte gegen Antisemitismus zum einen verstetigt und zum anderen „vollständig verausgabt werden sollen“.
Antrag, Resolution – oder beides
Nach taz-Informationen begegnet der Koalitionspartner CDU dem Vorstoß durchaus mit Sympathie. Offiziell äußern will sich aber niemand aus der Fraktion. Der Antrag liege schließlich noch bei der SPD. Nur eben hier hakt es wohl auch.
Denn dem Vernehmen nach wollen Teile der SPD-Fraktion bei der nächsten Abgeordnetenhaussitzung statt eines gemeinsamen Maßnahmenkatalogs mit der CDU lieber eine eher unverbindliche Resolution gegen Antisemitismus verabschieden, hinter der sich auch Grüne und Linke versammeln können. Dagegen wiederum sträuben sich maßgebliche CDU-Abgeordnete, nicht zuletzt wegen des Einschlusses der Linken.
Alexander Freier-Winterwerb will sich auch einer Resolution nicht verschließen – zusätzlich zu seinem Antrag. „Es wird gerade noch um den richtigen Weg gerungen“, übt sich der SPD-Politiker in Diplomatie. Aber aktuell liege gar kein Resolutionstext vor. „Und ich weiß auch nicht, ob da noch ein entsprechender Vorschlag kommt“, sagt der SPD-Politiker.
Intern regt sich indes Unmut. Er sei generell „für alle Optionen offen“, sagt etwa Orkan Özdemir, der Sprecher für Antidiskriminierung der SPD-Fraktion, zur taz. Aber Freier-Winterwerbs Antrag sei noch in keinem Gremium diskutiert worden. Und, so Özdemir: „Ich finde es grundsätzlich falsch, konkrete Antragsentwürfe über die Medien zu spielen, ohne das vorher in der Fraktion besprochen zu haben.“ Spätestens auf der Fraktionssitzung am Dienstag in einer Woche soll das weitere Vorgehen beraten werden.
Leser*innenkommentare
David Palme
Erstens ist es schon mal grundsätzlich falsch nur eine Religionsgruppe zu schützen, auch dann wenn diese historisch und aktuell besonders vielen Anfeindungen ausgesetzt ist. Was wir brauchen ist mehr Universalismus, nicht mehr Identitäre Politik.
Zweitens, Schulverweise sind absolut hilflos bei schulpflichtigen Schülern. Man muss die Erziehungsberechtigten in die Pflicht nehmen und das bedeutet Bussgelder. Wenn ein 16jähriger sich wiederholt volksverhetzens in der Schulöffentlichkeit äussert muss dass richtig Kohle kosten, egal ob es ein biodeutscher Fascho oder ein kroatenhassender Serbe oder ein antisemitischer Moslem oder ein hutuhassender Tutsi ist oder ob es sich um homophobe Kommentare oder sonstwas han
Drittens, was wir brauchen ist nicht einfach nur mehr Reaktion denn mit Strafen wird das Problem nicht in den Griff zu kriegen sein. Wir brauchen Prävention Prävention Prävention.
Dazu gehören stärkere Investitionen in Bildung, Kultur und Jugendarbeit.
Und dazu gehört auch eine stärkere soziogeographische Durchmischung z.B. durch sozialen Wohnungsbau um endlich diese fortschreitende Segregation in diesem Land zu bekämpfen
Sanni
Die Grundlage des Antrgas ist schon falsch. Der Antrag bezieht sich nur auf den jüdischen Glauben. Das ist falsch, da es aus den rechten Löchern heißen wird, dass Juden eine Sonderbehandlung bekommen. Das schürrt den Hass zusätzlich an. Ein besserer Weg wäre es im Allgemeinen Religionsglauben zu schützen Auch mir den selben Forderungen. Das sondert weder die jüdischen Menschen aus, noch kann irgendwer behaupten, es ginge hier wieder nur um das Judentum. Der Besuch einer Muschee, eines buddhisdischen Tempel, einer Synagoge, einer katholische, einer evangelische Kirche schadet niemanden. Es könnte bilden....
Generell verstehe ich aber nicht wie man gegen etwas sein kann, was irgendjemand glaubt. Die wenigsten haben sich ausgiebig mit der Religion beschäftigt, die sie vemeindlich hassen.
Sonntagssegler
@Sanni Die meisten hassen auch keine Juden, sondern das imperialistisch auftretende Israel.
Daran, das sich das mittlerweile gegen alle Juden richtet, hat die isrealische Regierung einigen Anteil. Selbige hat mit der Jerusalemer Antiseimitismusdefinition dafür gesorgt, das man kaum noch Kritik an Israel äußern kann, ohne als Antisemit behandelt zu werden. Das klappte bisher auch ganz gut.
Bereits die Anwendung dieser Definition stellt übrigens bereits eine Sonderbehandlung dar.
Ich bezweifle daher, das alle "antisemitischen" Vorfälle im Kern auch solche sind.
Carcano
@Sanni > Generell verstehe ich aber nicht wie man gegen etwas sein kann, was irgendjemand glaubt.
Es geht um die Bekämpfung von Straftaten.
TeeTS
Es ist eines Rechtsstaates unwürdig, wenn man Sanktionen für Straftaten an den Gerichten vorbei beschließt.
Wenn antisemitische Straftaten begangen werden, gehören die angezeigt und vor einem ordentlichen Gericht verhandelt.
Einfach Kinder von der Schule werfen, ohne Prozess, das klingt eher nach politischer Bestrafung bestimmter Bevölkerungsteile und Repression.
Erwin Schiebulski
Na, da bildet sich doch direkt Widerstand in der SPD gegen diesen Antrag. das ist doch auch nicht überraschend, sympathisieren doch manche Sozis mit Antisemitismus., natürlich intellektuell verbrämt als Kolonialismus- und Kaptialismuskritik. Der Antrag wird mit formalen Mittel, wie berichtet,. bekämpft, damit nicht klar wird, um was es wirklich geht.
Fran Zose
Ein guter Antrag und es wäre zu wünschen, wenn dieser umgesetzt wird. Allein mir fehlt der Glaube. Der arabisch-musmimische Antisemitismus der jetzt so virulent zu Tage tritt ist nicht neu und letztlich war er auch nicht unbekannt. Nur hat man dieses Thema lieber ignoriert als sich mit unangenehmen Wahrheiten auseinanderzusetzen, welche besonders im linken Spektrum auch noch dem liebgewonnen. Bild dieser Gruppe als Opfer deutschen Rassismusses aber keinesfalls als Träger problematischer Weltbilder zuwiderlaufen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn in Zukunft harte Sanktionen eingeführt würden um den Hetzer deutlich aufzuzeigen, dass ihr Hass nicht mehr stillschweigend ignoriert wird sondern Konsequenzen hat. Ob er aber mit zusätzlichen Programmen abgestellt werden kann wage ich zu bezweifeln, solange diese Schüler zu Hause und im Netz weiterhin mit diesen antisemitischen, hochproblematischen Weltbildern aufwachsen. Hier sollte die Erwartungshaltung an die Schulen nicht zu hoch sein. Aber mit spürbaren Sanktionen wäre in jedem Fall schon viel gewonnen.
Günter Picart
@Fran Zose Die Lage der deutschen Palästinenser ist schrecklich, dafür bräuchte es viel mehr Verständnis. Ihre Verwandten sterben, sie dürfen weder nach Gaza reisen, um zu helfen, noch Familien rausbringen, umd sie zu retten, und hier werden sie auch noch diskriminiert und mit Antisemitismus in Verbindung gebracht. Eine effektive Bekämpfung des Antisemitismus, gerade in diesem Milieu, kann nur überzeugen, wenn sie diese Realitäten zur Kenntnis nimmt und einbezieht, sonst ist wirkt das nur ignorant und einseitig.
www.fr.de/politik/...land-93337073.html
Keine Sonne
@Fran Zose Ist es nicht, es diskriminiert andere Glaubensausrichtungen.
Besser wäre es alle mit zu nehmen.
Erni
Da gibt es Mittel von 10 Millionen für "Gesellschaftlichen Zusammenhalt", die den realen Bedarf für die Umsetzung von Maßnahmen offensichtlich weit übersteigen und gleichzeitig will diese Koalitionsregierung die Subventionen für die Berliner Kultur empfindlich kürzen und wird damit wahrscheinlich die Theater kaputt sparen. Gibt es einen deutlicheren Beleg für die Unzurechnungsfähigkeit dieser berliner Regierungskoalition?
Magnus_15
@Erni Na ja, wenn das Geld nicht abgerufen wird, bleibt es ja im Haushalt. Es geht ja nicht verloren.