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Labours Probleme in GroßbritannienKeir Starmers tiefer Fall

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Der „Partygate“-Skandal brachte Johnson zu Fall. Nun hat es nicht einmal 100 Tage gedauert, und schon produziert Labour selbst Partygate-Skandale.

Eigentlich haben sie nichts mehr zu lachen: Premier Starmer und seine Stellvertreterin Rayner auf dem Labour-Parteitag Foto: dpa

D er Jahresparteitag der britischen Labour-Partei diese Woche sollte eigentlich eine fröhliche Siegesfeier werden. Vor 80 Tagen erst gewann Labour die Wahlen mit einer gigantischen Mehrheit im Parlament. Doch die Stimmung ist heute im Eimer, und die Umfragewerte sind im Keller. Weniger als 30 Prozent der Wähler würden noch Labour wählen, die Sympathiewerte für Keir Starmer sind seit dem Wahlsieg von +19 auf –26 gefallen.

Der Grund: endlose Enthüllungen über Vorteilsnahme. Neue Brille für den Premierminister? Neue Kleider für die First Lady? Tickets für Taylor Swift? VIP-Lounges im Fußballstadion? Kein Problem, schwerreiche Labour-Gönner zahlen. Und jeder Tag bringt neue Enthüllungen.

Bildungsministerin Bridget Phillipson bestätigte am Sonntag, eine Spende in fünfstelliger Höhe für eine Party zu ihrem 40. Geburtstag mit Journalisten und Lobbyisten angenommen zu haben. „Das war zu Arbeitszwecken“, sagt sie dazu im Fernsehen und grinst.

Labour wollte eigentlich Anstand und Würde zurückbringen

Hat die Labour-Partei schon vergessen, warum sie überhaupt an der Macht ist? Vor gut zwei Jahren wurde Boris Johnson zum Rücktritt als Premier gezwungen, unter anderem weil unter seiner Ägide während der Coronalockdowns illegale Partys in 10 ­Downing Street stattfanden. Als Johnson die Events zu „Arbeitstreffen“ erklärte, wurde er ausgelacht.

Der „Partygate“-Skandal brachte Johnson zu Fall und die Konservativen um ihre Glaubwürdigkeit. Labours Sieg basierte auf dem Versprechen, wieder ordentlich zu regieren. Es ging nicht bloß um Coronaregeln, es ging um Würde und Anstand. Eine „Regierung, die dient“, versprach Starmer, als er Premierminister wurde.

Nun hat es nicht einmal 100 Tage gedauert, und schon produziert Labour selbst Partygate-Skandale. Die Labour-Partei hätte eigentlich nach ihrem historischen Wahlsieg die historische Chance, in Großbritannien zu zeigen, wie man den Vormarsch der radikalen Rechten in Europa stoppt. Sie ist aus lächerlichem Eigennutz dabei, diese Chance zu verspielen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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8 Kommentare

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  • Aristokraten bedienen sich und lassen sich bedienen !

    Solange liberale Ideologen die Deutungshoheit behalten und 'Wählen einer Elite' als 'egalitäre Mitbestimmung' verkaufen können, wird sich daran auch nichts ändern. Es muss immer nur genug von ihrem gedeckten Tisch abfallen, für die gefühlte Konsumfreiheit einer ausreichend breiten Mitte.

    'Wahl durch Los entspricht der Natur der Demokratie, Wahl durch Abstimmung der Natur der Aristokratie.'



    Montesquieu: Vom Geist der Gesetze (1748)

  • Die haben es ja eilig gehabt, den Karren in die Grütze zu fahren. Nicht dass die Briten nicht auch andere Probleme als korrupte Politiker hätten.

  • Früher gab es den Spruch (von Robert Gernhardt, wenn ich mich nicht irre): "Die schärfsten Kritiker de Elche,



    waren früher selber welche."

    Heute muss es eher heißen:



    "Die schärfsten Kritiker der Elche,



    werden später selber welche."

  • Labour ist nicht gleich Labour. Stramer ist der rechte flügel von labour und somit eher spd als linke oder grüne.



    und die englische spd ist noch ungefähr zehn mal neoliberaler als die deutsche.



    und die deutsche ist ausreichend - stark neoliberal.



    So wie in fast allen zwei-parteien systemen, ist die neoliberale bzw imperialistische übermacht erheblich!

  • Genauso ist es. Der Wahlsieg war kein Votum für Labour sondern gegen die Tories. Labour hat die Chance die sie bekommen haben, bisher nicht genutzt.

  • Die Vergangenheit kann man nicht reparieren, jetzt muss klar werden, dass diese Praktiken der "politischen Landschaftspflege", wie das in Deutschland mal hieß, vorbei sind.

  • Zum „angeblich historischen Wahlsieg“: Labour hat kaum mehr Stimmen geholt als bei der Wahl zuvor. Die erdrutschartige Zugewinn an Parlamentssitzen ist ein Artefakt des Mehrheitswahlrechts. Die Rechtsextremen haben den Tories so viele Stimmen abgenommen, dass Labour als stärkste Kraft übrig blieb.

    • @Wonko the Sane:

      Ja, das ist ein Punkt. Tatsächlich zeigt sich in den Ländern der EU und auch in den USA die schwächen der antiquierten Wahlsysteme.