piwik no script img

Diskriminierung bei KlimaprotestAbleismus der Klimakrise

Eine Ende-Gelände-Aktivistin, die im Rollstuhl sitzt, berichtet von diskriminierender Behandlung durch die Polizei.

Diskriminierung gegenüber Menschen im Rollstuhl sind allgegegenwärtig – auch bei Protesten Foto: Jörg Sarbach/dpa

HAMBURG taz | Wie räumt man eine Person in einem 250 Kilo schweren Elektro-Rollstuhl aus einer Schienenblockade? Mit diesem Problem sah sich die Gelsenkirchener Polizei im April konfrontiert.

Am 6. April hatten rund 70 Ak­ti­vis­t*in­nen von Ende Gelände die Gleise vor dem Steinkohlekraftwerk Scholven blockiert. 30 weitere waren auf das Gelände des Kraftwerks gelangt. Sie wollten mit der Aktion auf das Leid aufmerksam machen, das die Förderung von Steinkohle in Kolumbien verursacht, wo Gemeinden und Ökosysteme für den Bergbau zerstört und Menschen vertrieben und ermordet werden.

Als die Polizei alle anderen Teil­neh­me­r*in­nen geräumt hatte, widmete sie sich der Rollstuhlfahrerin, die sich Ariel nennt, und ihre beiden Begleiter*innen, die in der Aktion für ihre Assistenz zuständig waren. Die Be­am­t*in­nen seien völlig überfordert gewesen, berichtet Ariel. „Sie bedrängten mich, zu verraten, wie ich über den Schotter dorthin gekommen war“, sagt die Aktivistin. Doch als sie es ihnen verraten habe – mithilfe von Brettern –, hätten die Be­am­t*in­nen das zu gefährlich gefunden und riefen stattdessen ein Auto-Abschleppunternehmen.

Das weigerte sich, den Rollstuhl samt Fahrerin aus dem Gleisbett und die Böschung hochzuziehen – viel zu gefährlich. Die beiden Be­glei­te­r*in­nen wurden geräumt, ebenso entfernte die Polizei Ariels Strohhalm, ohne den sie nicht trinken kann. Auch auf Toilette gehen konnte sie ohne Assistenz nicht. „Ich musste mir ableistische Fragen und Kommentare anhören“, sagt Ariel. So hätten die Be­am­t*in­nen sie gefragt, ob sie lesen könne und wüsste, was auf dem Plakat stünde, das an ihrem Rolli befestigt war. „Sie äußerten mehrfach die Vermutung, dass ich in einer Einrichtung lebe und es jemanden geben müsse, der ein Aufenthaltsbestimmungsrecht für mich hat. Dass ich selbstbestimmt lebe, schienen sie nicht zu verstehen.“

Polizei und Feuerwehr wirkten überfordert

Die Polizei Gelsenkirchen bestätigt die Situation grundsätzlich, bestreitet aber, sich diskriminierend verhalten zu haben. „Die Sicherheit und die Wertschätzung aller Menschen hat für die Polizei Priorität“, sagte eine Sprecherin. Daher sei eine ungefährliche Bergung der betroffenen Person ein Schwerpunkt des Einsatzes gewesen. Kräfte der Feuerwehr und der Polizei hätten die Person schließlich geborgen.

Ariel schildert es anders: Ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr sei zu ihr auf die Schienen gefahren, allerdings hätte die Transportfläche eine Höhe von etwa einem halben Meter gehabt, aber keine Rampe. Unter Fluchen hätten die Be­am­t*in­nen sie im Rollstuhl hochgehievt. Das sei alles andere als sicher gewesen. „E-Rollis sind für so etwas nicht gemacht, es gibt auch keine Sicherung für solche Situationen“, sagt Ariel.

Ableistische Dimension der Klimakrise

Während die anderen Ak­ti­vis­t*in­nen längst mit Platzverweisen entlassen worden seien, sei Ariel weiter festgehalten worden, ein Amtsarzt sollte sie begutachten. „Da wurde es richtig schlimm“, sagt die Aktivistin. „Er hat mir gedroht, mich in eine Psychiatrie einzuliefern.“ Für den Transport dorthin sollte erneut ein Abschleppdienst für den Rollstuhl kommen. Ein Polizist habe zu einem Kollegen mit Blick auf den Rollstuhl gesagt: „Den will ich auf jeden Fall am Haken sehen.“ Erst nach über zwei Stunden sei sie freigelassen worden.

Der Stress habe ihren Körper noch Tage später mitgenommen, sagt Ariel, habe Schmerz und Schlaflosigkeit verursacht. Trotzdem sei es ihr wichtig, weiter auf die ableistische Dimension der Klimakrise hinzuweisen. „In der Klimakrise sind behinderte Menschen die ersten, die sterben“, sagt sie. Bei der Ahrtal-Flut waren zwölf Menschen mit Behinderung in einem Wohnheim ertrunken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen