Grünen-Niederlage im Osten: Es kann besser werden

In Sachsen und Thüringen haben die Grünen einiges richtig gemacht und trotzdem katastrophal verloren. Aus dem Ergebnis lassen sich aber Lehren ziehen.

Fast nichts zu feiern: Parteichefin Ricarda Lang am Sonntag auf der Wahlparty der sächsischen Grünen in Dresden Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Als Ricarda Lang und der Grünen-Vorstand in der vergangenen Woche zum Wahlkampf nach Dresden kamen, machten sie eine seltsame Begegnung. Die Grünen hatten Gratis-Eis dabei, damit wollten sie Pas­san­t*in­nen locken und in Gespräche verwickeln. Das klappte auch in vielen Fällen, es sind ja nicht alle schlecht in Sachsen, aber zumindest ein Herr erfüllte dann doch das Klischee.

Am Rande des grünen Eiswagens schrie er sich in Rage: Er arbeite und zahle Steuern und wenn er ein Eis essen wolle, dann bezahle er mit seinem eigenen Geld dafür. Ricarda Lang könne ihm mit ihrem Gratis-Eis gestohlen bleiben, das Gratis-Eis sei ein mieser Trick, das Gratis-Eis, das esse er nicht – pfui!

Das passt zu den Wahlergebnissen, die die Grünen am Sonntag in Sachsen und in Thüringen eingefahren haben: Es scheint fast, als könnte die Partei machen, was sie will – am Ende steht sie doch mies da. So schlecht war eigentlich nicht, was sie den Wäh­le­r*in­nen in beiden Bundesländern angeboten hat. Viele Fehler, die man Grünen bei anderen Gelegenheiten vorwerfen kann, haben sie hier vermieden.

Eine West-Partei? Das Spitzenpersonal kam vorwiegend aus dem Osten. Eine Großstadt-Partei? Leute wie die sächsische Fraktionschefin Franziska Schubert sind der personifizierte ländliche Raum. Politik nur für Gutverdienende? Der thüringische Umweltminister Bernhard Stengele erzählte im Wahlkampf bei jeder Gelegenheit von seinem Windkraftbeteiligungsgesetz, dank dem alle an Windrädern verdienen können und nicht nur die Windradbetreiber. „Die soziale Komponente ist hier viel wichtiger“, sagte er im taz-Interview über die Energiewende in Thüringen.

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Und trotzdem ist das Wahlergebnis ein Desaster. In Sachsen sind die Grünen gerade noch so mit sieben Leuten im Landtag, in Thüringen sind sie mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1999 raus. Die traditionelle Schwäche der Partei im Osten traf auf die miese Ampel-Performance im Bund und den neuartigen Drang aller möglichen Akteure, die Öko-Partei für alles Mögliche verantwortlich zu machen. Viel mehr war da für sie gar nicht zu holen. Und doch gibt es ein paar Umfragedaten vom Wahltag, aus denen die Grünen Lehren ableiten könnten.

1. Demokratie retten funktioniert nicht

Demokratie retten, AfD bekämpfen: Die Bundespartei machte das schon in ihrer Kampagne zur Europawahl zum zentralen Thema. Das floppte zwar, trotzdem versuchten die Landesverbände in Sachsen und Thüringen das Gleiche noch mal. Verständlich, denn erstens ist die Demokratie wirklich in Gefahr und zweitens funktioniert das Motiv bei der Anwerbung und Mobilisierung von Mitgliedern ausgezeichnet. Warum klappt es nur bei Wahlen nicht?

Unter anderem, weil das Alleinstellungsmerkmal fehlt. Wer die Demokratie verteidigen wollte, konnte auch SPD und Linke wählen – oder sogar die CDU. Die Union selbst warb bei progressiven Wäh­le­r*in­nen darum, taktisch zu wählen, für stabile Verhältnisse zu sorgen und die Konservativen zumindest in Sachsen vor die AfD zu schieben. Damit hatte sie offenbar Erfolg: In beiden Ländern verloren die Grünen laut Daten von Infratest Dimap am stärksten an die Union und in beiden sagte eine Mehrheit der CDU-Wähler*innen, es sei ihnen nur darum gegangen, dass die AfD nicht zu viel Einfluss erhält. Vielleicht hat das Thema „Demokratie retten“ für die Grünen zu gut funktioniert. Ihre Wäh­le­r*in­nen sind zur Wahl gegangen, haben aber nicht grün gewählt.

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2. Das Klima hat es schwerer

Eine stärkere Rolle als bei der Europawahl spielte in beiden Kampagnen der Grünen das Klima. Das Problem: Ansonsten kam es im Wahlkampf kaum vor. In der Spitzenrunde des MDR für Thüringen fehlten Fragen zum Thema. Grüne in beiden Ländern berichteten, dass es bei vielen Podiumsdiskussionen ähnlich lief. Wäre es anders gewesen, wäre zwar auch das für die Grünen-Kandidat*innen kein Vergnügen gewesen. Von allen Seiten wäre ihnen einmal mehr Robert Habecks Heizungsgesetz vorgehalten worden, ein rotes Tuch gerade im Osten, wo viele unvermögende Ei­gen­heim­be­sit­ze­r*in­nen leben. Aber gar nicht für das eigene Kernthema argumentieren zu dürfen – das macht es auch nicht besser.

Die mediale Setzung korrespondiert mit dem Bedeutungsverlust, den das Thema seit der letzten Wahl in der Bevölkerung hingelegt hat. 2019 brachte Fridays for Future Millionen auf die Straßen, heute steckt die Klimabewegung selbst in der Krise. Infratest Dimap fragte damals und zu dieser Wahl, wie vielen Menschen in Thüringen der Klimawandel große Sorgen bereitet – der Wert sank um 11 Prozentpunkte. Immerhin: Er liegt immer noch bei 54. Er beschäftigt viele immer noch. Es haben sich aber neue Sorgen davor geschoben.

3. Ausländer, Islam und Sicherheit

Drei der vier größten Ängste der Befragten: Dass zu viele Fremde nach Deutschland kämen, der Islam zu viel Einfluss bekomme (mit einem Plus von 21 Prozentpunkten) und die Kriminalität zunehme. Das sind heftige Rahmenbedingungen für eine Mitte-Links-Partei, bei der Antirassismus gerade für viele jüngere Mitglieder identitätsstiftend ist.

Auf den ersten Blick liefern die Zahlen Argumente für diejenigen Grünen, die auch der eigenen Partei eine härtere Migrationspolitik aufdrücken wollen. Robert Habeck zum Beispiel, der in der Koalition als Reaktion auf den Anschlag von Solingen zustimmte, Dublin-Flüchtlingen das Geld zu streichen. Die Entscheidung drei Tage vor den Wahlen hat den Grünen in Thüringen und Sachsen nicht sichtbar geschadet: Anders als noch bei der Europawahl deuten keine Zahlen darauf hin, dass sich viele linke Grünen-Wähler*innen abgewendet haben.

Allerdings: In den vergangenen 12 Monaten haben die Grünen wiederholt Asylrechtsverschärfungen mitgetragen. Die Rufe von rechts nach weiteren Verschärfungen hörten trotzdem nicht auf und die Wäh­le­r*in­nen in Sachsen und Thüringen schreiben den Grünen weiterhin keine Kompetenz in der Flüchtlingspolitik zu (Infratest Dimap zufolge sogar noch weniger als 2019). Zu gewinnen hat die Partei hier nicht viel.

4. Mal wieder ein bisschen Frieden

Vor die Klima-Sorge haben sich der Umfrage zufolge zwei weitere Ängste geschoben, die die Grünen stattdessen angehen könnten – und die weniger Potenzial haben, die Partei zu spalten. 77 Prozent der Thü­rin­ge­r*in­nen treibt demnach um, dass Deutschland in den Ukraine-Krieg hineingezogen werden könnte. Die Grünen waren in Thüringen und Sachsen die einzige Partei, die eindeutig zu ihrer Ukraine-Solidarität stand. Ihre Wahl­kämp­fe­r*in­nen wurden dafür besonders häufig angefeindet. Am Sonntag verloren die Grünen nicht massiv, aber doch zählbar, an das russlandfreundliche BSW.

Ein inhaltlicher Kurswechsel ist von den Grünen in der Frage nicht zu erwarten. Bei aller Flexibilität in anderen Themenfeldern – hier stehen sie felsenfest. Sie dringen aber einfach nicht mit ihrer Argumentation durch, dass nur massive Waffenlieferungen am Ende zu einem echten Frieden führen könnten.

Vielleicht würde es der Glaubwürdigkeit dienen, wenn die Grünen dafür in anderen Bereichen, jenseits der Ukraine, mal wieder genuin friedenspolitisch auftreten. Die Frage der US-Mittelstreckenraketen für Deutschland zum Beispiel bewegt gerade im Osten viele Menschen. In Fachkreisen wird sie ebenfalls kontrovers diskutiert. Mit Aufrüstungsdynamiken und Abrüstungsgesprächen kannten sich die Grünen einmal aus – in der aktuellen Debatte könnten sie die Kompetenzen mal wieder auspacken.

5. Wie sozial muss es sein?

Und dann sind da noch diese Zahlen: In Thüringen zählt zu den größten Sorgen auch, den eigenen Lebensstandard nicht halten zu können (ein Plus von 26 Prozentpunkten). In Sachsen wurde am häufigsten die soziale Sicherheit als wahlentscheidendes Thema genannt (20 Prozent). Bei der Frage, welcher Partei die Leute dabei am meisten zutrauen, tauchen die Grünen noch nicht mal auf. Und verloren haben sie am Sonntag auch signifikant an die SPD.

Linke Grüne verweisen wie schon nach der Europawahl am liebsten auf solche Daten, wenn es um Konsequenzen aus den Wahlniederlagen geht. Das ist einerseits schlüssig. Andererseits: Es war der Erfolg des linken Flügels, in der Partei eine Sozialpolitik im Sinne höherer Transferleistungen an die Ärmsten durchzusetzen. Kindergrundsicherung und Bürgergeld sind nicht zuletzt grüne Ampel-Projekte – und verschaffen der Partei doch viel weniger sozialpolitische Glaubwürdigkeit als erhofft. Das Verhetzungspotenzial beider Reformen wurde unterschätzt.

Auch dieses Problem zeigt sich im Osten verstärkt: Überdurchschnittlich viele Menschen arbeiten dort für geringe Löhne. Bekommen Menschen ohne Arbeit plötzlich ein bisschen mehr Geld, sorgt das für Reibung. In einer perfekten Welt ließe sich dem entgegenwirken: Dort könnten auch der Mindestlohn steigen und die Mittel für die soziale Infrastruktur (Jugendzentren, Krankenhäuser, Wohnungen …) erhöht werden. Vielleicht wäre danach sogar noch etwas für das Klimageld übrig. Eine Koalition, in der der Wille und die Finanzen für all das reichen, ist für die Grünen aber nicht in Sicht. Es läuft auf ein Entweder-Oder hinaus.

In den nächsten Monaten müssen die Grünen ihr Wahlprogramm für den Bundestagswahlkampf schreiben. Auch die Diskussion darüber, für welche Sozialpolitik sie dann stehen wollen, könnte hart werden – das zeichnet sich jetzt schon ab. Aber das ist nicht die schlechteste Aussicht: Es hieße zumindest, dass sie für eine Sozialpolitik stehen wollen.

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