Christopher Street Day in Leipzig: Faschisten auf dem Abstellgleis
Zum CSD in Leipzig kamen mehr als die ursprünglich angemeldeten 18.000 Teilnehmer:innen. Der Neonazi-Gegenprotest fiel dafür komplett aus.
Nach ihrer Ankunft wurden rund 400 in Schwarz gekleidete Neonazis von der Polizei abgefangen und im Bahnhof gekesselt. Die Polizei unterzog sie einzeln Identitätsfeststellungen und suchte nach Vermummungsgegenständen oder Waffen. Das dauerte mehrere Stunden. Dabei mussten sich die Neonazis antifaschistische Sprüche vom Nebengleis anhören, wo das linke Bündnis „Leipzig nimmt Platz“ einen Gegenprotest angemeldet hatte.
Etwa 500 Meter entfernt sammelten sich währenddessen am frühen Nachmittag immer mehr Menschen auf dem Augustusplatz für den CSD. Die Polizei sprach am Ende von rund 19.000 Teilnehmer:innen, die Veranstalter:innen von mehr als 20.000. Viele trugen Regenbogenfahnen oder Fahnen für Bisexualität, Asexualität oder die Inclusive-Pride-Flag. Von einer Bühne berichteten queere Organisationen von ihrer Arbeit oder präsentierten diese an Info-Ständen.
Beinahe pünktlich, um kurz nach 13 Uhr, lief dann die CSD-Parade los. Laut den Veranstalter:innen nahmen mehr als 23 Gruppen oder Parteien teil. Zu basslastiger Musik von den Ladeflächen großer Lkw tanzten die Teilnehmer:innen, sangen bei Lady Gaga oder Nemo mit und schwenkten ihre Fahnen. Präsenz zeigen, darum ging es vielen Teilnehmer:innen, etwa auch Nadine aus der Kleinstadt Borna südlich von Leipzig. Der CSD am Samstag war ihr erster überhaupt. „Es gibt doch mehr queere Menschen, als man ansonsten sieht. Man ist nicht alleine, das ist schön“, sagt die 21-Jährige. Sie trägt eine orange-pinke Flagge um die Schultern, die für lesbische Personen steht.
Empfohlener externer Inhalt
Was der CSD politisch fordert
Ein bisschen kritischer sieht Teilnehmer:in Fay den CSD. In Leipzig laufen mehrere große Firmen mit, etwa Rewe, Pÿur oder die DHL, und auf der Website wird Werbung eingeblendet – das sei ziemlich kommerziell, sagt Fay. „Aber man hört hier immer wieder antifaschistische, politische Botschaften. Das ist eigentlich, was ich an CSDs gut finde.“
Allerdings: Die Organisator:innen des CSD hatten vorab 29 Forderungen veröffentlicht, für die der CSD in Leipzig demonstriere. Darunter etwa, dass an intergeschlechtlichen Kindern nicht mehr unnötig operiert wird, dass Deutschland sich mehr für den internationalen Schutz queerer Menschen einsetzt und die sexuelle Orientierung mit in die Verfassung aufgenommen wird. Auch wer nicht hetero liebt, soll Schutz vom Staat bekommen.
Das forderte schon der erste CSD in Leipzig vor mehr als 30 Jahren. Am 28. Juni 1992 versammelten sich etwa 100 Menschen nahe der Universität vor der Moritzbastei. Wie Fotos zeigen, stand damals auf einem roten Banner: „Lesben und Schwule in die Verfassung“.
In den vergangenen Jahren gründeten sich in vielen kleineren Städten CSDs. Dass es dabei zu nennenswerten Gegenprotesten gegen die fröhlichen Paraden kommt, ist neu. Dieses Jahr versuchten im Mai mehrere Dutzend junger Neonazis, den CSD in Dresden zu stören. Dann brachte der AfD-nahe Oberbürgermeister Tim Lochner in Pirna die Regenbogenflagge mit der Hakenkreuzflagge in Verbindung. Und vor einer Woche kam Bautzen dazu.
Zum zweiten CSD der Kreisstadt im Osten Sachsens kamen in diesem Jahr etwa 1.000 Menschen. Doch bedenkenlos laufen konnten sie in Bautzen nicht. Eine Veranstaltung nach dem CSD sagten die Organisator:innen zur Sicherheit ab.
Neonaziprotest in Bautzen
Parallel zur CSD-Demo protestierten in Bautzen rund 700 Neonazis. Viele junge Männer mit gescheitelter Frisur und in Schwarz gekleidete liefen straff organisiert durch die Stadt und skandierten etwa „Nazi-Kiez“. Szenekundige Beobachter:innen kritisierten im Nachhinein das Polizeiaufgebot als zu gering. Hätten die Neonazis es darauf angelegt, wären demnach an mehreren Stellen Durchbrüche bis zur queeren Demo möglich gewesen.
Die Polizei sagte hingegen, der CSD in Bautzen sei „friedlich und störungsfrei“ verlaufen. Die Beamten hätten 16 Platzverweise ausgesprochen, 14 Strafverfahren und 7 Ordnungswidrigkeiten eingeleitet. Unter anderem nannte die Polizei verstärkte Handschuhe, Volksverhetzung und eine Körperverletzung.
In Leipzig kündigte die Polizeidirektion vorab ein Großaufgebot an. „Dieser Tag hat sich mit den Ereignissen am vergangenen Wochenende im Hinblick auf die Gefahrenlage und seine politische Dimension stark verändert.“ Unterstützt werde die Leipziger Polizei unter anderem durch Einsatzkräfte aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Brandenburg, Hessen und Mecklenburg-Vorpommern.
Wie das Sicherheitskonzept aussehen sollte, das zeigte sich am Morgen. Schon um etwa halb elf protestierten vor dem Leipziger Hauptbahnhof etwa 800 Menschen gegen rechts. Die Polizei sperrte einen Autofahrstreifen auf der Straße, damit die antifaschistische Menge genug Platz hatte. Trotzdem war es eng.
Den antifaschistischen Protest vor dem Bahnhof hatte Jürgen Kasek mitorganisiert. Er schien zufrieden damit und sagt der taz: „Die Bilder aus Bautzen haben für Empörung gesorgt. Gut, dass jetzt schon vor dem CSD so viele gegen die Nazis protestieren. Aber das ist Leipzig. Entscheidend wird auf lange Sicht, wie es in den kleineren Städten aussieht.“
Währenddessen hallte über die Gleise des Hauptbahnhofs: „Ost-, Ost-, Ostdeutschland!“ Die von der Polizei festgesetzten Neonazis machten lautstark auf sich aufmerksam. Dort, wo früher mal Gleis 1 war, stand der rechte Aufzug: eingegittert, schwarz gekleidet, mit Reichsfahnen und Bundesfahnen, skandierten sie ihre üblichen Sprüche.
Die Polizei zog nach und nach einzeln die Personen aus dem kleinen Kessel, um die Identitäten zu prüfen und nach Waffen oder Verfassungsfeindlichem zu suchen. Erst danach hätten die Neonazis auf ihre Kundgebungsfläche gedurft. Aber es kam anders.
Mehrere Stunden waren vergangen, als die Polizei um kurz vor 13 Uhr mitteilte, der Versammlungsleiter habe seine rechtsextreme Kundgebung abgesagt. Doch weil es im Kessel zu Straftaten kam, habe die Polizei beschlossen, keine Ersatzveranstaltungen in der Stadt zu genehmigen und ausnahmslos alle Identitäten der festgesetzten Rechtsextremen zu prüfen.
Mit den Identitätsfeststellungen war die Polizei noch nicht fertig, als die CSD-Parade um 16 Uhr wieder auf dem Augustusplatz ankam. Dort feierten die bunten Teilnehmer:innen zum Bühnenprogramm wie geplant und ungestört weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autobranche in der Krise
Kaum einer will die E-Autos
Abschiebung von Pflegekräften
Grenzenlose Dummheit
Ungelöstes Problem der Erneuerbaren
Ein November voller Dunkelflauten
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Trumps Personalentscheidungen
Kabinett ohne Erwachsene