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Veränderung beim Hamburger Turbo-AbiZehnte-Klasse-Prüfungen fallen weg

Hamburgs Schulsenatorin schafft Zentralprüfungen in den 10. Klassen am Gymnasium ab. Die Initiative gegen das Turbo-Abi sieht das als Eingeständnis.

Stress im Klassenzimmer: In Zukunft gibt es für Hamburgs Zehntklässler an den Gymnasien ein paar Prüfnungen weniger Foto: Christoph Schmidt/dpa

Hamburg taz | Mit einem überraschenden Vorstoß meldet sich Hamburgs Schulsenatorin Ksenija Bekeris (SPD) aus den Ferien zurück: Die vor 20 Jahren eingeführten zentralen Abschlussprüfungen in den 10. Klassen am Gymnasium in Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache fallen weg. „Wir möchten, dass die Klasse 10, in der es am Gymnasium eine besondere Verdichtung gibt, entzerrt wird“, sagte sie dem Hamburger Abendblatt.

Damit versucht die Senatorin, der Volksinitiative „G9 Hamburg – Mehr Zeit zum Lernen“ den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die aus Eltern bestehende Initiative möchte, dass Hamburgs Gymnasien vom achtjährigen Turbo-Abitur zum neunjährigen Gymnasium (G9) zurückkehren. Sie steht in den Startlöchern für ein Volksbegehren, dem zweiten Schritt auf dem Weg zu einem Volksentscheid: Am 10. September beginnt die dreiwöchige Sammelphase für die nötigen 66.000 Unterschriften. Damit rückt das Thema, und das besorgt die Senatorin, in das letzte Halbjahr vor der Hamburg-Wahl, das „von parteipolitischer Profilierung geprägt“ sei.

Eine Rückkehr zu G9 an Hamburgs Gymnasien, so die Befürchtung, würde die Stadtteilschulen schwächen, die bereits das neunjährige Abitur anbieten, und zugleich Schulform für alle Kinder und Abschlüsse sind. Deswegen einigten sich 2019 SPD, Grüne, CDU und FDP im „Schulfrieden“ auf den Erhalt des achtjährigen Gymnasiums (G8).

Doch verstärkt durch die Ausnahmesituation in der Coronapandemie und durch inzwischen verdichtete Bildungspläne erhöhte sich bei Eltern eine Unzufriedenheit mit diesem Schulsystem, die zur Gründung der Volksinitiative führte. Dass es ein Problem gibt, räumt nun auch die Schulsenatorin ein. Die Erfahrungen während und nach der Pandemie wiesen darauf hin, „dass Hamburgs Schülerinnen und Schüler stark belastet sind“, teilte ihre Behörde in einer Pressemitteilung mit.

Enges Netz an Lernstandserhebungen

Die Initiative begrüßt die Bekeris-Ankündigung. Die Aussetzung der Prüfungen sei jedoch nur einer von vielen nötigen Schritten, um Hamburgs Gymnasien zu entlasten und „Chancengleichheit mit den anderen Bundesländern“ herzustellen, die bereits zum G9 zurückgekehrt sind.

„Die Schulsenatorin gibt mit diesem Schritt mittelbar zu, dass Dichte und Qualität der Stoffvermittlung im G8-System eben nicht übereinkommen können“, sagt Initiativen-Sprecherin Sammar Rath. Die Schüler litten zugleich unter zu großer Stoffverdichtung in der Mittelstufe, ergänzt ihre Mitstreiterin Iris Wenderholm. Und Gunnar Matschenus, ebenfalls Mitstreiter, sieht hier ein Eingeständnis, dass G8 die Jugendlichen unverantwortlichem Stress aussetzt.

Sprich: Bekeris Vorstoß hält die Initiative nicht vom Sammeln ab. Das hätte im Februar, als die Initiative gerade die für die erste Stufe nötigen 10.000 Unterschriften beisammen hatte und im Parlament ihr Anliegen vortrug, vielleicht noch anders ausgesehen. Üblich war einmal, dass die regierenden Parteien mit Volksinitiativen verhandeln, ob ein Kompromiss möglich ist. Doch das lehnten SPD, Grüne und die Senatorin hier kategorisch ab.

Bekeris sagt auch, die Prüfungen seien verzichtbar, weil Hamburg inzwischen ein so enges Netz an Lernstandserhebungen über mehrere Klassenstufen hinweg habe, dass man die Entwicklung jedes Schülers auch so beurteilen könne. Besagte Tests gibt es allerdings schon seit zwölf Jahren. Warum also reifte Bekeris Erkenntnis in der Schulbehörde nicht schon früher? Vermutlich, weil ihr Vorgänger Ties Rabe (SPD) sich zu gern als Hardliner profilierte, was Bekeris offenbar nicht ist.

Der Raum für Verhandlungen ist damit vielleicht wieder vorhanden. Besser wäre es für alle – will man die polarisierte Auseinandersetzung noch vermeiden.

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3 Kommentare

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  • Diese Eltern werden sich über kurz oder lang damit durchsetzen, die 13. Klasse für die Gymnasien einzuführen.

    Und die Eltern der Kinder, die auf Stadtteilschulen sind, werden sich dagegen kaum wehren können.

    Dass das Gymnasien eventuell eine Schulform ist, die Kinder richtig stresst, wo es Aussortieren und abstrakten Leistungsstress gibt, das alles interessiert diese Eltern nicht, sie suchen danach, die Startchancen ihrer Kinder in der Bildung zu verbessern.

    Soweit auch in Ordnung, leider bilden diese Eltern auch eine Haltung ab, die eben die Nachteile der Bildung mehr und mehr auf eine einzige Schulform schiebt, nämlich die Stadtteilschule.



    Die hat, wenn überhaupt noch, in der Oberstufe einen guten Anreiz, es doch mal zu probieren. Der würde dann bei der 13. Kl Gym entfallen, damit wäre die Stadtteilschule wieder benachteiligt, bis zu zwei Jahre Lernen beträgt jetzt schon die Differenz zwischen einzelnen Gymnasien und Stadtteilschulen. Es könnten dann irgendwann drei bis vier Jahre werden.

    Ich glaube, wir benötigen eine echte Debatte über gute Schulbildung und langfristige Perspektiven für Schüler - unabhängig von deren Eltern.

  • Was man nicht vergessen darf ist, wenn es mit dem Abi nicht klappt, dass man dann überhaupt keinen Schulabschluss hat.

    • @Stoffel:

      Das ist falsch. In Hamburg hat man den MSA erreicht, wenn man entweder die MSA-Prüfung bestanden hat oder wenn das Zeugnis der 10. Klasse den Übergang in die Studienstufe bescheinigt. In anderen Bundesländern mag das anders geregelt sein, in Hamburg hat man mit erfolgreichem Abschluss von Klasse 10 am Gymnasium den MSA und wenn man nach Klasse 11 abgeht (logischerweise auch nach Klasse 12), dann hat man den theoretischen Teil der fachgebundenen Hochschulreife, den praktischen Teil und somit die vollständige fachgebundene Hochschulreife/Fachabitur bekommt man, wenn man mindestens ein Jahr eine betriebliche Ausbildung oder z.B. ein FSJ macht. Bitte erst informieren und dann schreiben.