Schlafstörungen: Wütend auf den eigenen Schädel

Was macht man, wenn man nachts im Bett liegt und einfach nicht einschlafen kann? Unsere Kolumnistin hat schon alles probiert – vergeblich.

„Ich stehe auf, akzeptiere mein Schicksal, und versuche, mich mit etwas zu beschäftigen.“ Foto: Elmar Gubisch/imago

Wut steigt in mir auf. Dann weiß ich, dass es zu spät ist und ich nicht genug Schlaf bekomme. Denn ich bin eine von 6 Millionen Deutschen, die unter Schlafstörungen leiden.

Auf die Wut auf meinen eigenen Schädel, warum nicht endlich das Licht ausgeht, folgt Resignation. Ich stehe auf, akzeptiere mein Schicksal, wenn auch selbstmitleidig, und versuche, mich mit etwas zu beschäftigen, das im Idealfall keinen Bildschirm involviert. Ich räume auf, lese, ende dann letztlich doch auf Netflix und schaue mir zum x-ten Mal dieselbe Sendung an. Bis ich dann, zwei oder drei Stunden bevor der Wecker klingelt, in einen Zustand komme, den man wohl Schlaf nennen könnte.

So sieht eine schlechte Nacht aus. In guten Nächten brauche ich etwa eine Stunde, die ich tagsüber schon vorausplane. Wenn tagsüber etwas Denkwürdiges passiert, merke ich mir die Szene fürs abendliche Prä-Schlaf-Kino vor, spiele die Szene mental nach, verändere das Set, passe den Dialog an und schneide sie neu. Und weil ich weiß, dass ich diese Stunde brauche, freue ich mich darauf, den Tag nicht etwa im Traum, sondern vorsorglich schon davor Revue passieren zu lassen, wo ich selbst Regie führen darf.

So war das nicht immer. Besonders das Gefühl von Eifersucht suchte mich im Bett heim, wenn jemand neben mir einschlief. Etwa mit einem Buch in der Hand einnickend, ohne sich überhaupt darüber Gedanken machen zu müssen, wie man heute Abend dieses Einschlafen erledigen solle. Es provozierte mich, wenn es jemand wagte, in meiner Anwesenheit innerhalb weniger Minuten einzuschlafen. Wie kann diese Person mir das antun? Unsinn – aber derartig perfide Tricks spielt einem ein von Insomnie geplagtes Hirn.

Meine Schlafstörung gehört mir

Sämtliche Einschlafmethoden, Meditationen und Routinen habe ich probiert. Ich weigere mich, mich weiter damit auseinanderzusetzen, weil die angebliche Lösung meist involviert, seine Daten oder sein Geld abzugeben: diese eine Einschlaf-App, ein ganz besonderes Kissen, jenes Nahrungsergänzungsmittel. Meine Schlafstörung gehört mir, und ich werde sie nicht auch noch kommerzialisieren lassen.

Meine einzige Waffe ist ein Schlaftee, der natürlich nicht wirkt. Oder ein Pod­cast, moderiert von monotonen Männerstimmen: Geschichten aus der Geschichte. Eine Folge, von der ich mir wegen der Überschrift „Der erste Mensch im All“ besonders erfolgreiche Einschlafhilfe erhoffte, sollte mir kürzlich durch eine wache Nacht helfen. Ich rechnete mit atmosphärischen Bildern, Ruhe, Planeten, Sternen und bekam stattdessen Beschreibungen von gequälten Tieren, die im Namen der Wissenschaft ins All geschossen wurden. Beschreibungen, die so furchtbar waren, dass ich fast lachen musste, hatte ich die Folge doch eigentlich ausgewählt, weil sie mich betäuben sollte.

Vor allem die Geschichte von Ham, dem ersten Schimpansen, den die Amerikaner in den Weltraum sendeten, ließ mich mit weit aufgerissenen Augen an die Decke starren. Weil beim Flug etwas schiefgelaufen war, musste seine Kapsel von der Rakete abgesprengt werden und katapultierte den Affen höher, als geplant war. „Auf diesen kleinen Schimpansen wirken massive Kräfte“, sagt der Moderator und spricht von einem 16-minütigen Höllenflug. Ham schießt jetzt auch durch meinen Schädel und prallt wie in einem Flipperautomaten immer wieder an den Wänden ab. Ich bin so wach wie nie zuvor.

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Redakteurin bei taz zwei, dem Ressort für Gesellschaft und Medien. Schreibt über Drogen, Soziales und Internetspaß. Studierte Philosophie und Französisch in Berlin. Seit 2023 bei der taz.

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