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US-DemokratenAus Hoffnung kann Zauber werden

Barbara Junge
Kommentar von Barbara Junge

Niemand kann vorhersagen, ob es wirklich klappt mit Kamala Harris als erster US-Präsidentin. Doch der Verzicht von Joe Biden hat Energien freigesetzt.

Harris bei einer Wahlkampfveranstaltung am 20. August in Milwaukee, Wisconsin Foto: Marco Bello/reuters

W er sich festlegen will, ob Kamala Harris oder Donald Trump am 5. November die US-Wahl gewinnen wird: „Be my guest“, würden US-Amerikaner.innen sagen. Mit einem skeptischen „Wenn du meinst, nur zu“ ließe sich das sinngemäß übersetzen. Denn eine Jubelwoche macht noch keine Siegerin und eine unfallfreie Rede der Gekürten noch keine Präsidentin. Doch der Kamala-Rausch, in den sich die Demokraten in der abgelaufenen Woche auf ihrem Parteitag in Chicago hineingejubelt haben, birgt trotzdem eine gute Botschaft, eine, die über die USA hinausweist.

Die ehemalige First Lady Michelle Obama formulierte es so: „Etwas wundervoll Magisches liegt in der Luft, ein vertrautes Gefühl, das viel zu tief viel zu lang begraben war. Ihr wisst, wovon ich spreche. Es ist die ansteckende Kraft der Hoffnung, wieder einmal an der Schwelle eines helleren Tages zu stehen. Amerika, Hoffnung hat ein Comeback.“ US-Pathos, natürlich – nur hat diese ansteckende Hoffnung mit dem Phänomen Kamala Harris sogar den Sprung über den Atlantik geschafft. Seit US-Präsident Joe Biden nach innigem Bitten und flehentlichem Betteln seinen Rückzug von einer erneuten Kandidatur bekannt gegeben und Harris gleich noch als seine Nachfolgerin positioniert hat, scheint aller Zweifel vergessen.

Die erste Erleichterung über den Rückzug von Biden hat nicht einer Ernüchterung, sondern vielmehr einer Begeisterung Platz gemacht. Vergessen scheint, dass Harris nicht die Wunschkandidatin der gesamten Partei war, vergessen, dass der Vizepräsidentin Schwächen zur Last gelegt werden: fehlendes politisches Gespür, dürftiges thematisches Profil, mangelnde Bühnentauglichkeit. Sogar das Menetekel eines Trump-Siegs ist – für den Moment – in den Hintergrund gerückt. Doch warum all das?

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Menschen wollen Hoffnung, nicht Unheil. Es gibt diesen großen Teil der Gesellschaft, der gerade jetzt auf Hoffnung wartet. Und wenn die Konstellation stimmt, werden solche starken Kräfte frei. Bis vor wenigen Wochen schien kein Weg an einer zweiten Trump-Präsidentschaft vorbeizuführen. Diverse Gruppen arbeiten längst an Plänen für den Ernstfall, bereiten sich auf das vor, was unter Trump aus Zivilgesellschaft und progressivem US-Amerika werden könnte. Aber Hoffnung mobilisiert. Für den Moment hat Harris in der Wähler.innengunst aufgeholt, wo Joe Biden unterzugehen drohte. Frauen und junge Menschen insbesondere wenden sich Harris zu, auch Schwarze, Latinas und Latinos.

Menschen wollen Hoffnung, nicht Unheil. Es gibt diesen großen Teil der Gesellschaft, der gerade jetzt auf Hoffnung wartet

Das sind Momentaufnahmen, wird dem entgegnet, der Trend ist wendig, und statistische Ungenauigkeiten wiegen einen Vorsprung von drei oder vier Prozentpunkten locker auf. Kein Widerspruch. Aber Hoffnung mobilisiert – und kann die politische Wirklichkeit verändern. Denn, so unglaublich es scheint, eine Chance zumindest besteht jetzt, dass der nächste US-Präsident eine Präsidentin ist. Mit einer Kandidatin, die nicht der Liebling aller führenden Demokraten und Demokratinnen war und bestimmt nicht als zündend galt, kann nun tatsächlich eine Wende eingeleitet werden. Vielleicht war Kamala Harris da einfach nur zur rechten Zeit am richtigen Ort.

Starkes Echo aus Deutschland

Nicht nur den Vereinigten Staaten dräuen noch immer weniger helle Tage. Auch unsere Gesellschaft droht von innen ausgehöhlt zu werden und zu verrohen. Auch die politischen Entwicklungen, auf die wir hier zuvörderst blicken, wecken nicht gerade das, was man als Hoffnung bezeichnen würde: der Krieg in der Ukraine, das unmenschliche Drama in Gaza. Die Europawahl ist – mit mehr Zittern als Zuversicht – nicht zugunsten der rechten Kräfte ausgegangen, und was am kommenden Wochenende bei den Wahlen in Thüringen und Sachsen recht sicher passieren wird, gibt viel Anlass, hoffnungslos zu werden.

Der Klimawandel führt dabei sogar eher ein Schattendasein. Es gibt ihn aber auch hier, diesen großen Teil der Gesellschaft, der gerade jetzt auf Hoffnung wartet. Deshalb ist es vielleicht keine Überraschung, dass die Euphorie für die Kandidatur von Kamala Harris hier, in Deutschland, in Europa, ein so starkes Echo erzeugt hat. Natürlich.

Nur können die progressiven Teile der Gesellschaft daraus überhaupt irgendetwas ableiten? Konstellationen formen sich nun mal in politischen und historischen Umständen.

Man stelle sich einfach vor, Joe Biden wäre der Kandidat geblieben. Die Demokraten hätten nicht die Kraft und den Mut gehabt, ihn zum Rückzug zu bewegen. Es ist ein angsteinflößendes Szenario. Und es sagt vor allem eines: Festhalten am Bekannten, nur weil man Angst hat, das Neue könne schlechter sein, bringt ganz gewiss keine Hoffnung. Mut zur Disruption braucht es schon.

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Barbara Junge
Chefredakteurin
taz-Chefredakteurin, Initiatorin der taz-Klima-Offensive und des taz Klimahubs. Ehemals US-Korrespondentin des Tagesspiegel in Washington.
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15 Kommentare

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  • Warum haben wir in Deutschland nicht einen Politiker, der Reden halten kann wie die Obamas?

  • Hoffnung jetzt nur von dem Parteitag abhängig zu machen ist mehr ein Wunschgedanke. Wer war denn auf dem Parteitag? Delegierte, Medienvertreter und geladene Gäste, meist irgendwelche Promis. Der normale Bürger/ Wähler hatte keinen Zugang, dafür standen tausende von ihnen draußen und haben demonstriert und von ihrer Partei besseres verlangt als sie bisher abgeliefert haben.



    Und meine persönliche Meinung: Die Demokraten machen den gleichen Fehler wie bei Clinton vs. Trump- ignorieren einen beträchtlichen Teil ihrer Basis aber auch die Independence von denen sie etliche Stimmen brauchen werden. Und klar würde sich Europa freuen über Harris, siehe NATO und Ukraine- Unterstützung. Und ne Menge Megareicher Demokraten/ Parteispender freuen sich sicherlich auch über den neuen Wind und eine besssere Chance auf den Sieg. Aber was ich in jedem Artikel vermisse ist die Meinung der amerikanischen Wähler/ aktuelle Themen was sie interessiert. Die Main Stream Medien in the USA haben auch Clinton bereits als Siegerin gesehen, wobei unabhängige Medien bereits Monate vorher Alarm geschlagen haben. Hochmut kommt immer vor dem Fall und für mich zeigen die Demokraten wieder das: Hochmut

    • @Momo Bar:

      Die Stimmung auf dem Parteitag hat schon etwas zu sagen, zumal es währenddessen und davor zahlreiche Wahlveranstaltungen gab, die große lauf hatten. Die meisten Megareichen unterstützen Trump; die großen Summen, diefarris gespendet wurden, setzen sich aus vielen kleinen Beiträgen zusammen. Der Vorwurf "Hochmut" trifft überhaupt nicht zu. Mehrfach war auf dem Parteitag davon die Rede, daß man die "underdogs" sei und sich noch sehr anstrengen müsse. Wie "Coach'" Walz formulierte: "Wir sind im letzten Viertel des Spiels. Wir liegen hinten. Aber wir haben den Ball."

  • Eine viertägige Party mit 20.000 Teilnehmern bekommen wir in Deutschland sicher nicht hin. Aber ein bischen könnte man sich davon schon abgucken statt zu 90% um Spiegelstriche in Wahlprogrammen zu streiten auf Parteitagen. Wenn wir es nicht hinbekommen, Menschen mehr Zuversicht auf eine bessere Zukunft trotz all der Widernisse zu vermitteln, wenden sie sich am Ende ab und glauben den Lügen der Autokraten mehr als Demokraten.



    Mich haben die vielen persönlichen Geschichten von den Gewaltofern über die der Footballmannschaft von Walz und der Verbündeten von Harris und Walz über deren Charakter und Erfolge machen sie menschlicher und authentischer. Das ist mindestens so wichtig wie inspirierenden Reden der Obamas, für die es hier kein Pendent gibt. Gerade die Verrohung gegen Politiker ist ein zunehmendes Instrument der Populisten und Rechten, die "Eliten" gegen das "gemeine Volk" ausspielen, was am Ende den Autokraten hilft.



    Etwas anderes ist die Erzählung der progressiven Politik als Freiheitsgeschichte für die vielen und damit den Spies umzudrehen gegen die, die Freiheit für die wenigen meinen. Das sei den Grünen hier besonders empfohlen aus der Rede von Harris

  • Die Hoffnung heißt:



    Jeder, nur nicht Trump.



    Unverständlich finde ich die Unterstützung von Trump. trotz der vielen aufgeflogenen Lügen.

    Doch warum schlucken Menschen diese Lügen? Dafür gebe es viele Gründe, sagt Gerlach, der an dem Thema forscht. «Vielleicht wollen wir die Lügen manchmal einfach glauben, weil es angenehmer ist.» Trump sei zudem ein gutes Beispiel dafür, wie man trotz vieler Lügen gut durchkomme. «Die Wählerschaft hat es erstaunlich gut hingenommen, dass ihr Kandidat sehr viel gelogen hat.»

    • @Des247:

      Das ist nicht nur in den USA so, das kennen wir hier auch. Hier werden flugs Lügen verbreitet und - geglaubt. "Alle Anstrengungen für den Klimaschutz sind überflüssig - wir lösen das technologieoffen." Gerade diese Lüge wird gerne als Ausflucht genutzt um der unangenehmen Wahrheit zu entgehen, nämlich sein eigenens Verhalten zu ändern. Das ist bequemer. Qui bono??? Die Parteien, die das verbreiten hoffen auf ein paaar Wählerstimmen - egal was mit der Wahrheit ist. Es ist kein Unterschied zu Trump.

      • @Perkele:

        Was ich von der gegenwärtigen Union, von der FDP, den FWs oder ADis gar bei Klima halte, können Sie sich vorstellen.

        Ich sehe aber den Stand Trump noch nicht erreicht: die Realitätsverleugnung hat noch nicht einen so krassen Stand erreicht. Sollte sie aber auch nicht.







        'Cui bono', wenn ich das noch ergänzen darf.

      • @Perkele:

        Sicher, das ist ein weltweites Problem.



        Lügen ist "gesellschaftsfähig" geworden.



        Traurig.



        Ich bin der Meinung der Paragraph "Volksverhetzung" sollte ausgebaut werden.

  • Man muss geradezu Mut haben, für das als richtig Erkennte auch zu streiten und einzustehen.



    Das wünsche ich mir u.a. beim Anpacken des Themas Klima- und Artenschutz gerade. Oder Digitalisierung und unpopulistisch gesicherte Bürgerrechte. Oder soziale Chancen für alle.



    Um gleich mal allen drei Koalitionsparteien eine Idee zu geben, insbesondere der, die noch unter Morbus Lindner leidet.

  • "Magisches", "Zauber" und dann "Jubel" und "Hoffnung". Da sprechen Herzens-Wünsche, Heils-Erwartungen und Glaube eine nicht zu unterschätzende Rolle in inszenierten Wahlkämpfen seit Jahrzehnten, Bilder dominieren mit Wucht und unterlegtem Gekreische. Und die Fakten, das realistische Umsetzungsvermögen von Programmen mit Inhalt? Für die Bedeutung der Stellung von LeaderInnen im Weißen Haus ist mir die inszenierte zeremonielle Inthronisation im Vorfeld irgendwie zunehmend suspekt.



    Irgendwie hat mich die Wortwahl an Hesse erinnert, wahrscheinlich Subtext. Eine gehaltvollere Metaebene im Wahlkampf wäre wünschenswert.



    taz.de/40-Jahre-ta...aktionen/!5536161/

  • Es bleibt denkbar knapp. Aber eine gute Stimmung im eigenen Lager hilft bei der Mobilisierung. Wenn Kamala Harris dann noch weiter darauf verzichtet, Wähler mit Programmatik zu verwirren, könnte es klappen.

  • Diese ewigen Hoffnungspredigten in der taz (und anderen deutschen Medien) bringen doch recht wenig. Tatsächlich dürfte Trump kaum zu besiegen sein. Eine gehörige Portion Mitschuld tragen daran eine schwache Präsidentschaft Bidens und eine schwache Vizepräsidentschaft Harris.

    War der Schritt richtig? Wohl ja. War der Schritt zu spät? Wohl auch ja. Und ein besser zu spät als nie hilft einem Verlierer auch nicht weiter.

    Brexit, Trump, die Spaltung der Die Linke haben gezeigt, dass die Darstellung von zu viel Hoffnung den Blick auf die tatsächlichen Erfolgsaussichten trübt.

    • @DiMa:

      > Tatsächlich dürfte Trump kaum zu besiegen sein.

      Mit Verlaub, das sehe ich anders: es gibt inzwischen eine Gruppe "Republicans for Harris" und wenn mein Eindruck nicht trügt sind auch Abtreibungsgegnerinnen eine nicht zu vernachlässigende Gruppe. Aus meiner Sicht ist der Sieg von Trump/Vance kein längst eingepreister Selbstläufer mehr.

      www.youtube.com/watch?v=dbmf2ndfU8g

      www.stern.de/polit...rris-34996200.html

  • Eigentlich war Biden bereits bei seiner ersten Wahl zu alt. Damals war es eigentlich klar, dass er nicht eine zweite Präsidentschaft schaffen würde.



    Deswegen mutet einem hier die Beschreibung "Mut zur Disruption braucht es schon." auch ein wenig amerikanisch aufgebauscht an. Man/frau sollte doch denken, dass es noch ein wenig mehr an Disruption braucht, gerade auch bei den eigenen Ideologien, wenn man das eigene Land industriell abwürgt unter dem Deckmantel des Klimaschutzes, während drumherum die Konkurrenz munter weiter uns mit altbewährten Technologien abhängt.

  • Vielen Dank für diesen sehr guten Kommentar. Mögen sich das viele Menschen hierzulande zu Herzen nehmen: Habt Mut zu etwas Neuem!!!!