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Hisbollah-Chef zu NahostNasrallah bleibt im Ungefähren

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah redet viel über Schwächen Israels. Wie Iran und Verbündete auf die Attentate von letzter Woche reagieren, bleibt offen.

Der Hisbollah-Chef, übertragen auf Großbildschirm Foto: Alkis Konstantinidis/rtr

Beirut taz | Ein großer Knall, Fenster wackeln, es hört sich an, als bebe der Himmel nach einer Bombe. Solche Überschallknalle waren am Abend laut in Beirut zu hören – so laut und bedrohlich wie bisher nicht. Israelische Kampfjets fliegen mit solch hoher Geschwindigkeit, dass sie schneller sind als ihr eigener Lärm und die Schallmauer durchbrechen. Es hört sich an wie ein Anschlag, ist aber ein Trick und psychologische Kriegsführung – gegen eine Nation mit akkumulierten Traumata, deren Menschen bis 1990 einen Bürgerkrieg, im Sommer 2006 den Krieg gegen Israel sowie 2020 eine massive Explosion am Hafen durchlebt haben.

„Ich kann nicht aufhören, zu zittern. Unsere Familien im Süden erleben dies Tag für Tag“, schrieb Hussein Cheaito auf X (ehemals Twitter). Gerade als die Zeremonie für den getöteten Hisbollah-Kommandeur Fuad Shukr und die Rede des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah beginnen sollte. Es ist seine erste Ansprache nach dem Anschlag auf Shukr in Beirut vor einer Woche.

Mit Spannung erwartet die Region, wie Iran und seine verbündeten Milizen auf die gezielte Tötung von Shukr und Hamas Politbüro-Chef Hanijeh reagieren. Die Angst ist groß, dass Iran und Israel sich in einem großen Krieg bekämpfen, in den auch der Libanon, Syrien, Irak und Jemen stärker verwickelt sein könnten, da sie es durch die verbündeten Milizen bereits sind.

Hinter verschlossenen Türen läuft die Diplomatie auf Hochtouren. Vor allem die USA versuchen, so einen Krieg zu verhindern. Nach außen hin schicken sie Flugzeugträger und Kampfjets in die Region als abschreckendes Signal an Teheran und bekräftigen, an der Seite Israels zu stehen. Unter vier Augen soll Biden zu Netanjahu gesagt haben, dieser solle aufhören, ihn „zu verarschen“.

Die Gespräche um ein Abkommen im Gazakrieg verlaufen seit Monaten ohne nennenswerte Fortschritte. Deshalb drohte Biden laut israelischen Medien am Telefon, die Unterstützung der USA nicht für selbstverständlich zu nehmen, solle es einen umfassenden Krieg geben.

Am Montag hat die schiitische Partei und Miliz Hisbollah nach eigenen Angaben israelische Militärstellungen in der Nähe von Akkon mit Sprengstoffdrohnen angegriffen – mehr als 20 Kilometer südlich der gemeinsamen Grenze. Die Hisbollah sagt, das sei Teil der normalen Operationen und nicht die Reaktion auf die Ermordung ihres Kommandeurs.

Nasrallah redet vor allem über Israels Schwächen

In seiner Rede lobte Nasrallah zunächst den getöteten Shukr und sagte dann, sein Tod werde die Bewegung und ihre Kämpfer nicht aufhalten. Dann betonte er, für einen palästinensischen Staat zu kämpfen.

„Ich sage nicht, dass das Ziel die Vernichtung Israels ist. Es geht darum, Israel daran zu hindern, Palästina zu vernichten“, sagte Nasrallah. Wer auf eine diplomatische Lösung baue, solle wissen, dass Israel gegen einen palästinensischen Staat sei. Anstatt sich auf die Kampfkraft und Bereitschaft seiner Miliz zu fokussieren, verwendete Nasrallah erstaunlich viel Zeit darauf, die Schwächen Israels aufzuzählen. Das Militär sei müde und die eigene Führung in einer schweren Lage.

Es scheint, als wolle Nasrallah Zeit schinden und währenddessen seiner Anhängerschaft weiter gut zureden, sie mit Parolen bei der Stange halten, auch indem er das Narrativ des Kampfes für die palästinensische Sache bedient. Um davon abzulenken, dass der angekündigte große Schlag seitens seiner Miliz und des Irans bisher ausblieb, sagte Nasrallah zu seiner Gefolgschaft, Israel warte ab und kalkuliere gerade mühsam, ob es einen groß angelegten Krieg möchte. Dass Israel nun warte, sei außerdem Teil der psychologischen Kriegsführung Irans. So kann er argumentieren, dass die Reaktion bereits begonnen habe und den Israelis bereits schade.

Die Hisbollah, Iran und Jemen würden noch antworten, drohte der Hisbollah-Generalsekretär. „Die Hauptsache ist, dass die Entschlossenheit, der Entschluss und die Fähigkeit vorhanden sind“, so Nasrallah. Doch wie die Reaktion aussehen wird, lies er völlig im Unklaren.

Härtere Reaktion als im April?

Die libanesische politische Analystin Kim Ghattas schrieb auf X zur möglichen Reaktion, der Iran und die Hisbollah würden härter auf die Attentate reagieren als im April. Damals hatte mutmaßlich Israel einen Anschlag auf das iranische Konsulat in Damaskus verübt und dabei sieben Mitglieder der islamischen Revolutionsgarde getötet, davon zwei Brigadegeneräle.

Der Iran hatte knapp zwei Wochen später mehr als 300 Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen auf Israel abgefeuert, zuvor aber amerikanische Diplomaten vorgewarnt. Die Abwehrsysteme über Irak, Jordanien und Israel konnten so die meisten Flugkörper abwehren.

Dass nun eine Woche vergangen ist, ist ein gutes Zeichen: Zumindest leistet sich die Miliz keine Übersprungsreaktion.

„Ich gehe davon aus, dass der Iran seine Absichten signalisieren wird“, analysiert Ghattas. „Es scheint, als würde Iran warten, bis die US-amerikanischen Militärvorbereitungen abgeschlossen sind, um die Lage einzudämmen, bevor er ein Feuerwerk abfeuert.“

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4 Kommentare

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  • Korrekter Bericht, danke !

  • Wenn Nasrallah im Ungefähren bleibt, hat er noch keine aktuellen Befehle aus Teheran.

  • Passt ins Bild das die Hisbollha - Führer wahrscheinlich wenig Lust haben ihre Existenz als Warlords aufzugeben. Ab und zu mal ein paar Raketen schicken ist OK - aber irgendwie offensiv vorgehen und womöglich so enden wie die Hamas - Nein Danke !



    Vermutlich hat das Militärregime in Teheran das gleiche Problem, und schickt erst mal ihre bärtigen Marionetten nach vorne um mal kräftig verbal auf den Putz zu hauen.

    • @Schautinsland:

      Ich finde es interessant, dass in all den Analysen und Betrachtungen dieser Grund so wenig genannt wird für die Zurückhaltung des IRAN und der Hisbollha.

      Dabei ist das der einzig logische Grund. Die Terroristen wollen nicht sterben. Vor allem nicht die Chefs.