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Krieg zwischen Russland und UkraineWunsch nach Waffen ohne Auflage

Der Vormarsch im Gebiet Kursk ist derzeit noch ein Erfolg für die ukrainische Armee. Präsident Selenskyj fordert westliche Waffen ohne Beschränkungen.

Freude über F-16-Kampfjets der Verbündeten: Präsident Selenskyj am Mittwoch in Kyjiw Foto: Efrem Lukatsky/ap

Berlin taz | Schenkt man dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Glauben, dann ist der Vormarsch seiner Truppen auf russisches Territorium ein voller Erfolg. Ist der ukrainischen Armee mit dem Durchbruch in der Region Kursk doch ein Überraschungsmomentum gelungen – die neue Front kann seit mehr als einer Woche gehalten werden. Bestes Beispiel ist die „vollständige Kontrolle“ der Stadt Sudscha, die Selenskyj am Donnerstag melden konnte.

Mi­li­tär­ex­per­t:in­nen gehen auch von einer riskanten Operation aus. Nach rund zweieinhalb Jahren zermürbendem Stellungskrieg ist die Offensive auf russisches Territorium ein Zeichen der Stärke – ein Beweis, dass die Ukraine in der Lage ist, nicht nur zu reagieren, sondern auch die Initiative zu übernehmen. Aber für wie lange?

Genau diese Vorwärtsverteidigung nach monatelangen Angriffen der russischen Armee auf die Zivilbevölkerung auf ukrainischem Territorium sorgt für Bedenken unter den westlichen Verbündeten und befeuert die Debatte, ob die Ukraine den Aggressor auf dessen Territorium bekämpfen kann und darf. Völkerrechtlich schließt das Recht, sich zu verteidigen, die Offensive ein.

Möglich wurde der Gegenangriff aber nur, da die Ukraine seit Kriegsbeginn insbesondere von den USA und Deutschland mit Waffen und Kriegsgerät unterschiedlichster Art unterstützt wurde. Selenskyj mühte sich in seiner abendlichen Videoansprache zu betonen, dass die ukrainische Armee humanitäres Recht einhalten werde. Das ist als Abgrenzung gemeint zu den Gräueltaten russischer Truppen im Kyjiwer Vorort Butscha 2022. Damals wurden zahlreiche Zi­vi­lis­t:in­nen wahllos von russischen Sol­da­t:in­nen getötet. „Es ist wichtig, dass die Ukraine nach den Regeln kämpft, und die humanitären Bedürfnisse in diesem Gebiet müssen beachtet werden“, sagte Selenskyj.

Westen gegen Einsatz von weitreichenden Waffen

Laut dem Institute for the Study of War (ISW) fürchtet Russland einen schnellen Vormarsch der Ukraine in Kursk. Auswertungen von Satellitenbildern zufolge bereitet sich die russische Armee mit Panzerabwehrgräben und Feldbefestigungen auf weitere Truppenbewegungen vor. Selenskyj will auch dieses Momentum nutzen und forderte die westlichen Verbündeten erneut auf, ihre Zustimmung zum Einsatz von Langstreckenwaffen zu geben. Damit könnten sowohl militärische als auch logistische Ziele auf russischem Staatsgebiet effektiver zerstört werden.

„Unsere ukrainischen Drohnen funktionieren genau so, wie sie sollen, aber es gibt Dinge, die man mit Drohnen allein leider nicht machen kann“, so Selenskyj. „Wir brauchen eine weitere Waffe – Raketenwaffen.“ Medienberichten zufolge wurden westliche Waffen in der betroffenen Region eingesetzt. Allerdings keine weitreichenden Waffensysteme. So will etwa die britische Regierung einem Einsatz des Marschflugkörpers Storm Shadow nicht zustimmen.

Auch die USA stemmen sich gegen die Nutzung von Langstreckenwaffen auf russischem Gebiet. Bereits beim Nato-Gipfel Mitte Juli in Washington forderte Selenskyj, Waffenlieferungen an die Ukraine nicht an Auflagen zu binden. Konkret ging es ihm nach einem Angriff auf eine Kinderklinik darum, russische Militärstützpunkte angreifen zu können. Um eine mögliche Eskalation des Krieges zwischen Russland und den Nato-Staaten zu vermeiden, wird an dem begrenzten Einsatz der gelieferten Waffen festgehalten.

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17 Kommentare

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  • Selenskyj hat recht und die Ukraine sollte das Recht bekommen alle Waffen frei verwenden zu dürfen. Alles was Russland schadet nutz der Welt; am Ende sogar den Russen wenn sie so zur Einsicht kommen sollten. Der Westen sollte dankbar sein, dass die Ukraine Willens und offensichtlich auch fähig ist sich der russischen Aggression zu widersetzen. Darin ist sie zu bestärken und nicht durch Restriktionen im Umgang mit ihren Waffen zu hindern. Selten sind Täter und Opfer so klar zu benennen wie hier. Der Krieg kann morgen enden wenn die Russen es wollen. Die Ukraine verteidigt sich lediglich; am Ende nicht nur sich selbst sondern auch uns. Dem gebührt Respekt und Anerkennung.

  • Solange Putin nicht so klar agiert wie gewünscht, nämlich, dass er seine Truppen abzieht und anfängt zu verhandeln, bleibt die Lage vieldeutig interpretierbar.Putin weiß das genau. Die Ukraine braucht mehr als dieses eine Überraschungsmomentum und kann das nicht ohne zuverlässige Waffenlieferungen. Also läuft der Krieg am besten so glimpflich weiter wie bisher:noch ist nichts verloren.

  • Fragt man sich wieviele Schulen und Krankenhäuser die russischen Faschisten noch zerbomben müssen damit der ach so demokratische und moralisch erhabene Westen die Ukraine vollumfänglich unterstützt. Doppelmoral vom Feinsten.

  • Das ist völlig berechtigt und sollte unterstützt werden.

  • "Debatte, ob die Ukraine den Aggressor auf dessen Territorium bekämpfen kann und darf"

    kann und darf sie natürlich!

    die Debatte ist ja wohl eher wie militärisch sinnvoll das ist. Russland hat meist dann verloren wenn es sich vom angegriffenen Gebiet zurückziehen musste. e.g. Finnland, oder Afghanistan.

    Eine Invasion Russlands selbst war jedoch nur selten erfolgreich. Auch hier gibt es allerdings ausnahmen.

    Das Problem ist hier eben, dass Russland so viel Land hat, dass der Verlust einiger Dörfer es weit weniger Schmerzen als die Ukraine unter dem Fall vom Städten im Donbass leidet.

    Ob allein der Moralische Effekt, sowie der möglicherweise erzwungen Abzug Russischer Truppen von Bachmut, Pakrovst, oder Kurachove (sofern er erfolgt) ausreichen um die Kursk-Offensive langfristig erfolgreich zu machen, ist noch offen.

    Kurzfristig war sie aufjedenfall bereits jetzt ein Erfolg.

    Alles andere bleibt abzuwarten.

    • @Berglandraupe:

      Es geht hier ja nicht darum, Russland zu erobern. Mit der Besetzung des Grenzgebietes schafft die Ukraine zum einen einen cordon sanitaire, zum anderen erhält sie so ein Faustpfand für Verhandlungen.

      • @Suryo:

        Haben Sie einmal bedacht, wie die Reaktion der Russen sein wird? Putin muss keine Truppen aus dem Donbas abziehen, aber die Ukraine hat einige ihrer besten Truppen eingesetzt. Ergebnis: Im Donbas weicht die Ukraine langsam aber stetig zurück.



        Und die Truppen in Kursk: Das Territorium ist so klein, dass es kaum eine Rollen spielen dürfte. Lediglich dürften die Russen ebenfalls einen Puffer in Sumy einrichten.

  • Eine weitreichende Rakete auf den russischen Palast am Schwarzen Meer könnte evtl. Schon reichen.

  • Na hoffentlich bleibt es auch dabei.



    Verteidigung ja, Angriff NEIN.

    • @Des247:

      Das ist kein Angriff. Es ist Verteidigung gegen russische Waffen, die von Stellungen hinter der russischen Grenze abgefeuert werden. Verweigert man den Ukrainern die weitreichenden Waffen, um diese Stellungen zu bekämpfen, müssen sie eben vorgehen, so weh es auch tut.

    • @Des247:

      stimme absolut zu

      • @Georg Weidekind:

        Kann nur zustimmen!



        Keinen Angriff!

    • @Des247:

      Auch in Kursk verteidigt sich die Ukraine, jegliche Offensiven solange sie der Wiederherstellung der anerkannten Grenzen dienen und das Ziel haben die Aggression zu beenden sind Verteidigung.

      • @Machiavelli:

        Nun, die Frage ist, ob es sinnvoll ist. Ich erinnere an die Sommeroffensive, den Krinky-Brückenkopf usw.

        • @Kartöfellchen:

          Was im Sinne der Ukraine sinnvoll ist, wissen die Ukrainer sicher besser als Sie.

        • @Kartöfellchen:

          Das müssen die Ukrainer entscheiden, was sinnvoll ist und was nicht ist oft erst im Nachhinein zu entscheiden. Die Tet Offensove war militärisch eine Katastrophe löst aber einen politischen Prozess aus an dessen Ende die Niederlage der USA stand.