Der NDR und die Sommerinterviews: Große Bühne für die AfD
Auch der NDR hält an den jährlichen Sommerinterviews fest und lädt nun Hamburgs AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann ein. Protest ist angekündigt.
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Mit ihm will der NDR unbedingt auch ein Sommerinterview führen, allerdings nun doch nicht auf der Straße, sondern im Studio Foto: Markus Scholz/dpa
Umstritten ist es nun schon jedes Jahr aufs Neue, doch der öffentlich-rechtliche Rundfunk hält weiter stur daran fest: auch AfD-Politiker*innen bei den sogenannten Sommerinterviews eine Bühne zu bieten. Am Donnerstag aber kann der NDR Hamburg zumindest nicht wie geplant sein Interview mit dem Vorsitzenden der AfD-Bürgerschaftsfraktion, Dirk Nockemann, führen.
Eigentlich wollte der NDR das Interview mit ihm, wohl um Nähe zu Bürger*innen darzustellen, in der Harburger Fußgängerzone führen. Doch nachdem das Hamburger Bündnis gegen Rechts (HbgR) seinen Protest gegen die Veranstaltung angekündigt hatte, verlegte der NDR das Interview mit Nockemann kurzerhand auf das abgeschirmte Funkhausgelände in Lokstedt. Die Kritik am NDR, die AfD wie die anderen demokratischen Parteien zu behandeln, bleibt dennoch bestehen.
Die jährlichen Sommerinterviews geben Spitzenpolitiker*innen einen großen Raum: Jenseits von kurzen Statements zu aktuellen Anlässen können sich Politiker*innen persönlicher und umfangreicher dem Publikum präsentieren. Der öffentlich rechtliche Rundfunk lädt grundsätzlich aus allen in den Parlamenten vertretenen Parteien ein.
Und so hatte der NDR Niedersachsen im Juni schon den niedersächsischen Vorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion, Klaus Wichmann, zu Gast. Der nutzte das Forum, um sich im Vergleich zu Björn Höcke als moderat zu geben – ohne sich aber von ihm zu distanzieren. Über Höcke wolle er sich, so sagte er es im Interview, „weder positiv noch negativ äußern“. Ohne einen internen Parteikonflikt auszulösen, konnte Wichmann im Sommerinterview seine Botschaft, die AfD in Niedersachsen sei nicht extremistisch, an das große Publikum problemlos transportieren.
NDR Hamburg weicht Kritik aus
Der NDR Hamburg geht in einer Erklärung, warum er das Sommerinterview mit Nockemann verlegt, nicht auf die zuvor geäußerte Kritik des HbgR ein. „Bei den örtlichen Gegebenheiten in Harburg ist angesichts der angekündigten Demonstration eine produktionssichere Aufzeichnung aus Sicht des NDR Landesfunkhauses Hamburg nicht gewährleistet“, erklärte eine NDR-Sprecherin lediglich.
Das Bündnis hatte den NDR aufgefordert, Nockemann wieder auszuladen und dabei explizit auf die mangelnde Distanz von Nockemann zu Rechtsextremisten verwiesen. So lobte er seinen Fraktionsmitarbeiter und Europawahl-Kandidaten Michael Schumann als „Politiker der neuen Generation, der anpacken will für unsere Heimat und ein Europa der Vaterländer.“ Schumann fordert beispielsweise vom Flugzeugbauer Airbus, „Pläne für die Remigrationsflotte“ vorzulegen, um die „europäische Völkerfamilie, das deutsche Volk“ zu schützen.
Zuletzt gab es am NDR Hamburg eine ähnlich gelagerte Kritik, als die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Siftung (DES) um einen Besuch beim NDR bat, dem der Sender nachkam. Eine Sprecherin des NDR erklärte der taz seinerzeit: Der Sender stünde in der Verantwortung, im Austausch „mit allen Teilen der Gesellschaft“ zu stehen. Den Besuchswunsch müsse der Sender genauso behandeln wie den jeder anderen Partei in der Bürgerschaft, so die Sprecherin.
Der NDR hält am Sommerinterview mit dem Hamburger AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann fest
Dabei blendet diese Haltung aus, dass die AfD nicht wie die anderen demokratischen und im Parlament sitzenden Parteien ist: Zwar sind auch die nicht immer über kritische Medienberichterstattung erfreut. Doch laden sie nicht die Presse von Veranstaltungen aus, verheimlichen Parteitermine oder sortieren aus, welche Journalist*innen über die Parteitage vor Ort berichten dürfen. In Niedersachsen etwa ließ die vermeintlich moderate AfD die taz nicht zu ihrem Parteitag.
Auch der ÖRR ist in der AfD prinzipiell verhasst: Auch er sei Teil der „Lügenmedien“, wie AfD-Politiker*innen bundesweit ständig behaupten. Das hat Folgen: Mehrfach schon wurden Journalist*innen von AfD-Anhänger*innen bedroht und angegriffen.
Kundgebung des Hamburger Bündnisses gegen Rechts vor dem NDR anlässlich des Sommerinterviews mit AfD-Politiker Dirk Nockemann: heute, 12 Uhr, Hugh-Greene-Weg 1, Hamburg
Leser*innenkommentare
Deep South
Und wieder die alte Leier von der "großen Bühne". Als ob eine knapp 20% Partei diese noch bräuchte. Die haben im Netz sogar mehr Reichweite und Wirkung als die Etablierten. Ihre Wahlplakte dominieren macherorts die Straßen. Die AfD ist keine kleine Randerscheinung, die man einfach mal wegschweigen könnte. Diese Idee ist krachend gescheitert. Und egal, wie oft behauptet wird, man könne sie inhaltlich nicht stellen und darf sie deshalb nicht interviewen, es ist schlicht falsch. Man muss sie inhaltlich stellen. Sie ist eine feste Größe der Parteienlandschaft. Sie verschwindet nicht durch schlichte Dauerempörung.
Und nebenbei isses völlig Wurscht, wie demokratisch sich diese Partei gegenüber der Presse verhält. Soll sich der ÖRR ernsthaft daran orientieren?
Die AfD zu bekämpfen ist Drecksarbeit, die schwierig ist, die niemand gerne macht, an der man sich auch die Zähne ausbeißen kann. Diese aber zu verweigern und auf Parteiverbot in unabsehbarer Zukunft zu hoffen, ist kein Ausdruck von demokratischer Stärke sondern von schöngeredeter Hilfslosigkeit.
tazzy
Ein Live-Interview mit Populisten (die grundlegende Fakten leugnen!) kann man NIE gewinnen.
Ein Populist wird (im Gegensatz zu normalen Menschen) niemals zugeben, dass er falsch lag, gelogen hat oder Unsinn verbreitet. Er wird - im Gegenteil - die Bühne dafür nutzen, seine Lügen nochmals und nochmals zu verbreiten! Das bewirken diese Interviews!!
Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass selbst die dümmsten Lügen sich bei vielen Menschen im Hinterkopf verfangen, wenn man die einfach nur oft genug wiederholt!
Genau deshalb konnte ein dauerlügender Trottel wie Trump überhaupt President werden.
Empfänger von Falschmeldungen mit Richtigstellungen zu erreichen ist schwierig bis unmöglich. Die Lüge ist schon im Umlauf und erreicht da schon tausende Empfänger.
Siehe dazu auch: de.m.wikipedia.org...Brandolinis_Gesetz
Filou
Die Aufgsbe des öffentlich rechtlichen Rundfunks ist es nicht, die Menschen politisch zu erziehen, sondern über gut recherchierte Fakten zu berichten.
Ein guter Journalist hat im Sommerinterview durch gezielte Nachfrage und Interviewführung die Möglichkeit Fakten zu benennen und auch z.B. bei der AfD deren Ziele zu entlarven.
insLot
Nichts ist schädlicher für die Funktion und Glaubwürdigkeit von Journalismus als dessen Verquickung mit Aktivismus.
Und genau deshalb muss der NDR auch mit der AfD reden und genau deshalb muss er sich dafür auch NICHT rechtfertigen!
Protest ist freilich ebenfalls legitim, so wie Kommentare in Zeitungen zum Interview, dessen Inhalt oder Durchführung.
Altunddesillusioniert
Meinungsfreiheit ist, wenn Leute, die man nicht leiden kann, Sachen sagen, denen man nicht zustimmt.
Und solange die Affen nicht verboten sind, kommt es darauf an, wie man so ein Interview führt.
Wir haben natürlich ein Problem, wenn das Beste, was der ÖRR hat, Leute sind, deren Eignung durch 5 Jahre früh aufstehen fürs Morgenmagazin bewiesen wurde.
Bambus05
Die AfD ist (noch/leider) nicht verboten, spricht (leider) eine relevante Anzahl von Bürgern an, so gesehen schwierig, sie einfach nicht einzuladen. Trotzdem darf man auch hart, kritisch und hartnäckig nachfragen, sich einlullen und hinter die Fichte führen lassen ist glaube ich nicht Teil des Informationsauftrag der Öffentlich-Rechtlichen. Auch wenn die AfD dann böse ist und mit Gleichschaltung, äh, Abschaffung dieser linksversifften Lügenmedien und großflächiger Berlusconisierung der Medienlandschaft droht.
Spider J.
Es ist doch eine super Gelegenheit den Herrn zu fragen, welche konkreten Maßnahmen er zur Beseitigung konkreter Probleme plant.
Ich bin sehr gespannt, welche Vorstellungen er bzgl. Rentenreform, Steuerreform, Bildungsreform, Wohnungsbau usw. vorbringen wird.
Philippo1000
Das kann durchaus kritisiert werden!
Ich bin positiv überrascht, in der taz eine solche Position zu lesen.
Obwohl die Landtagswahlen bevorstehenden, gilt die kritische Berichterstattung der Ampel und dem offenbar größten Feind der taz: der SPD.
Die "afd" kommt kaum vor.
Wenn berichtet wird, sehen wir "afd" politiker in Jubelposen.
Außerdem wird gegen das Compact Verbot gewettert.
"afd" WählerInnen können Ihre Meinung also, selbst in der taz, in vielen Artikeln bestätigt sehen.
Natürlich ist eine Zeitung nicht für Gesellschaftlichen Zusammenhalt oder Verantwortung zuständig, allerdings gab es vielleicht mal das Missverständnis, dass die taz an dieser Stelle anders sein möchte .
Gut, das ist eben Marktwirtschaft und nicht Lösungen sind gefragt, sondern Klicks und Musk macht es ja vor, die erreicht man durch negative Berichterstattung.
Ich freue mich aber über den Artikel, der den
( langfristigen) Erhalt der Demokratie höher bewertet, als Klicks vom politischen Gegnern der Demokratie.
Axel Berger
Rechte AfD-ler sind stumpf, dumm, plump, inhaltsleer und haben außer einer kleinen Liste immer derselben Schlagworte nichts zu bieten. Was also könnte besser sein, um sie in aller Öffentlichkeit richtig zu blamieren, als ein langes, ausführliches Sommerinterview. Wenn Sie trotzdem so vehement dagegen sind, kann es sein, daß Sie von Ihren Prämissen selbst nicht so recht überzeugt sind?
OhneNamen
Rechtzeitig einschleimen.
Diese Inkonsequenz gab es immer in Deutschland in jeweils verschiedenen Ausprägungen.
Die AfD ist genau genommen RealSatire.
Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen.
Von Medienkompetenz kann man da nicht sprechen. Einfach nur widerlich.
Knuty
Es kommt darauf an, wie ein Interview geführt wird, nicht ob.
Vigoleis
@Knuty So ist es.
Das Problem: Die gelungenen Interviews sind eher eine Rarität. Die meisten Interviewer versuchen, auf Biegen und Brechen eigene Meinungen und Stereotypen verifizieren zu wollen, laufen dann jedoch bei den offensichtlich rhetorisch geschulten AfD-Führungskadern regelmäßig auf.
Es würde schon genügen, sich einmal das Wahlprogramm der AfD vorzunehmen und dann konkret nachzuhaken, was eine Umsetzung für die Menschen (z.B. im sozialen Bereich) konkret zu bedeuten hätte. ich würde mir wünschen, dass die Redaktionen dort etwas mehr auf Zack sind.
Jim Hawkins
@Knuty Das sehe ich genauso.
Hätten wir fähige Journalisten, die in der Lage wären, sich Populisten und Rechtsextreme zur Brust zu nehmen, dann würde deren Interesse an Interviews wohl rasch schwinden.
Viel mehr als ein verkniffenes Gesicht zu machen, bekommen die meisten Damen und Herren der Vierten Gewalt allerdings leider nicht hin.
Achim Schäfer
@Knuty @Knuty: absolut korrekt - konkret Parteiprogramme hinterfragen/"Blabla" aufzeigen und _fundiert_ auf z.B. solche Aussagen wie die des Hr. Schumann Aufklärung fordern.
"Nicht-Einladung"/"Ausladung" bringt diese Leute doch nur in die Lage, sich als Opfer darzustellen - ohne dass sie ihre wahren Intentionen offenbaren müssen.
JEDERHATSEINEMEINUNG
@Knuty Das bringt es kurz und knapp auf den Punkt.