Kahlschlag bei der Afghanistan-Politik: Der Afghanistan-Ausverkauf
Zum dritten Jahrestag der Taliban-Machtübernahme wickelt die Ampel wichtige Institutionen ihrer Afghanistan-Politik ab – und kapituliert vor der Rechten.
D ie deutsche Politik macht sich gerade verstohlen von einem Acker, den sie zwanzig Jahre lang mit einiger Verve, aber am Ende erfolglos bestellte: Afghanistan. Laut Bundestags-Enquetekommission ist Deutschland dort „strategisch gescheitert“.
ist Diplom-Afghanist und Mitbegründer des unabhängigen Thinktanks Afghanistan Analysts Network. Er lebte und arbeitete mehr als 13 Jahre vor Ort, u. a. als Mitarbeiter der DDR- und der deutschen Botschaft, der UNO und als stellvertretender EU-Sondergesandter.
Die Bundesregierungen seit 2001 aus CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen hielten sich lange zugute, dass Deutschland in Afghanistan der zweitgrößte Truppensteller und bilateraler Geber von Aufbauhilfe war. Inzwischen, da sich am Mittwoch die erneute Machtübernahme der Taliban zum dritten Mal jährt, ist Schluss mit großen Tönen. Berlin wickelt wichtige Institutionen seiner Afghanistan-Politik ab und gibt es nicht einmal zu.
Seit August 2023 gibt es keinen für Afghanistan zuständigen deutschen Botschafter mehr – im Kontrast etwa zu Japan, Frankreich, Italien und den USA. Auf der Webseite des Auswärtigen Amts (AA) heißt es nur, die Botschaft in Kabul sei „seit dem 15. August 2021 bis auf Weiteres geschlossen“. Auch der dezidierte Sondergesandte wurde abgeschafft. Afghanistan gehört jetzt als Nischenthema zum Riesenportfolio eines Diplomaten, der Südasien und den Indopazifik bearbeitet. Als die UNO im Juni zu Gesprächen mit den Taliban nach Katar lud, hielten weder er noch das AA es für nötig, sich dazu öffentlich zu äußern.
Auch dass die Ampelregierung die Direktpräsenz ihrer Entwicklungsorganisation GIZ in Afghanistan zum Jahresende beendet und alle örtlichen Mitarbeiter*innen entlässt (offiziell laufen deren Verträge aus), machte erst eine Medienanfrage publik. Als die Taliban 2021 auf Kabul vorrückten, wollten die GIZ und das ihr vorgesetzte Entwicklungsministerium (BMZ) ihr lokales Personal nicht einmal außer Landes bringen. Man dachte, auch die Taliban würden fortgesetzte deutsche Hilfe schon goutieren – noch so eine Fehleinschätzung. Dann nahmen die Taliban mehrmals afghanische GIZ-Sicherheitsanalysten fest. Sie hielten sie wohl für Spione.
Schon im Sommer 2021 hatte Berlin in einer glatten Kehrtwende wie alle westlichen Verbündeten die gesamte Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan eingestellt. Nur humanitäre Akuthilfe gibt es noch. Die Einsparungen bei Hilfsgeldern, GIZ und Botschaft passen gut zu den Lindner’schen Mittelstreichungen, die AA und BMZ überproportional treffen.
Für Abschiebungen interessant
Das einzige Feld, auf dem Afghanistan in der deutschen Politik noch für Getöse sorgt, ist die Asylpolitik. Die brutale Attacke in Mannheim befeuerte all jene, die in Afghanen und Moslems generell gefährliche Messerstecher sehen. Dabei hatte das Bundesinnenministerium (BMI) schon vorher mit Nachbarländern Afghanistans wie Pakistan und Usbekistan verhandelt, Schwerkriminelle und sogenannte Gefährder abzunehmen und weiter zu den Taliban zu verfrachten. Das stellt man sich wohl ähnlich vor wie die Auslieferung der militanten Antifaschist*in Maja T. nach Ungarn mithilfe von Österreichs Behörden.
Die Debatte weitete sich rasch auf Syrer*innen und Afghan*innen aus, denen immer mehr Politiker*innen von ganz rechts bis in die SPD keinen subsidiären Schutz in Deutschland als Kriegsflüchtlinge mehr geben wollen. Die Kriege in beiden Ländern seien vorbei, behaupten sie, bestimmte Gebiete dort „sicher“, also könnten die Menschen zurückkehren.
Ja, gekämpft wird dort inzwischen deutlich weniger. Aber zutiefst menschenrechtsfeindliche Fraktionen gewannen die Oberhand. Will man Menschen jetzt dorthin zwangsausfliegen, um festzustellen, ob sie nicht doch verhaftet, gefoltert oder gar hingerichtet werden – und so Anspruch auf politisches Asyl hätten? Sogar mit den eben noch geächteten Regimen wollen die Abschiebebefürworter*innen dafür auf einmal reden.
Aufnahmeprogramm aufgegeben
Schließlich wickelt Nancy Faesers BMI parallel auch noch das Bundesaufnahmeprogramm für verfolgte Afghan*innen ab. Auch das läuft übers Budget: Für 2025 stellt es einfach keine Mittel mehr dafür ein. Auslöser hier war die perfide Kampagne rechtslastiger Medien mithilfe eines geleakten Briefes des deutschen Botschafters in Pakistan. Der behauptete darin, zur Evakuierung vorgesehene afghanische Richter*innen, die – übrigens in Kooperation mit renommierten deutschen Einrichtungen – in ihrem Land gegen erhebliche islamistische Widerstände an einer Justizreform arbeiteten, seien „Scharia-Richter“ und damit potenziell islamistische Gefährder.
Der Botschafter und die Bundesregierung hätten wissen müssen, dass die Scharia in Afghanistan unter der vom Westen gestützten Taliban-Vorgängerregierung eines von drei verfassungsmäßigen Rechtssystemen darstellte (und nicht nur aus Handabhacken bei Dieben besteht – was damals auch nicht vorkam). Und dass künftige Richter*innen in Afghanistan natürlich auch die Scharia studierten. Das macht sie genauso wenig zu Islamisten, wie ein Mediziner beim Studium der Pocken zum Virus wird.
Das Schlimme: Die Ampel knickte sofort ein. Sie stoppte das Programm und führte zusätzliche „Sicherheitsbefragungen“ mit dubiosen Fragen ein, nach denen viele Antragsteller*innen ihre Einreisezusage verloren. Sie können nun nur in Pakistan untertauchen oder sich auf Gedeih oder Verderb zurück unter die Macht der Taliban begeben. „Deutschland, aber brutal“ könnte man als Titel über diese Debatte setzen, in Abwandlung eines Plakatslogans der AfD, jener Partei, deren Maximen seit Langem besonders in der Asylpolitik durch die angebliche Brandmauer bis in die politische Mitte sickern.
Mit seinem institutionellen Kahlschlag gibt Berlin ein zentrales außenpolitisches Politikfeld auf, auf dem es nach wie vor brennt. Berlin sollte bedenken, dass es mit seinem Scheitern in Afghanistan erheblich dafür mitverantwortlich ist, dass deren Regime wieder ans Ruder kam. Daraus erwächst durchaus eine Wiedergutmachungspflicht gegenüber den Menschen (von) dort.
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