piwik no script img

Kamala Harris' Running MateI take this Walz

Michaela Dudley
Kommentar von Michaela Dudley

Kamala Harris überraschte viele, als sie den Gouverneur Minnesotas zum Vize-Kandidaten kürte. Kann seine Bodenständigkeit Harris aber helfen?

Tanzen Walz und Kamala Harris womöglich ins Weiße Haus? Foto: AP Photo/Julia Nikhinson

E in viral gegangenes Video zeigt einen 60-Jährigen Weißen, der in sein auf Lautsprecher gestelltes Smartphone spricht. Camouflage-Mütze, T-Shirt, Chino-Hose, Turnschuhe. Es ist, als käme er geradewegs vom Rasenmähen herein. Denn auch und gerade im Zeitalter der Reality-Shows muss die Wirklichkeit authentisch in Szene gesetzt werden.

„Die Freude, die du ins Land zurückbringst, die Begeisterung, die hier herrscht“, schwärmt er. „Es wird ein Privileg sein, dies durch das ganze Land zu tragen.“ „Du verstehst unser Land“, beteuert im Gegenzug seine Gesprächspartnerin. „Du hast dich unserem Land auf so vielfältige und wunderbare Weise verschrieben. Und wir werden das schaffen. Wir werden gewinnen, und wir werden unser Land vereinen und alle daran erinnern, dass wir für die Zukunft kämpfen. Für alle.“

Kaum legt Tim Walz auf, da stehen schon Menschen vor der Tür seiner Eastcliff-Villa. Weitaus mehr als je zuvor. Nicht nur Nach­ba­r:in­nen und Gelegenheitsgaffende, sondern auch jede Menge Journalist:innen. Ü-Wagen und SUVs wetteifern um Parkplätze und ein Team eklatant unaufälliger Frauen und Männer.

Ahnung vom Ackerbau kann sich als ertragreich erweisen

Tim Walz war schon vor dem Anruf ein selbstgemachter Mann, und zwar gemäß dem Ideal der amerikanischen Dominanzgesellschaft. Er muss den Rasen also längst nicht selber mähen, wobei er es trotzdem tun würde, hätte er bloß die Zeit dafür. Der ursprünglich aus Nebraska stammende Kerl hat durchaus Ahnung von Ackerbau und Viehzucht, und im Kampf um die Seele – oder zumindest die Wählerstimme – der ländlichen US-Amerikaner:innen kann das sich als ertragreich erweisen.

„Ich bin stolz, Euch mitteilen zu können, dass ich @Tim_Walz gefragt habe, mein Vizekandidat zu sein“, so beginnt die Ankündigung von Kamala Harris auf der Plattform X. „Als Gouverneur, Trainer, Lehrer und Veteran hat er sich für berufstätige Familien wie seine eingesetzt. Es ist großartig, ihn im Team zu haben. Jetzt machen wir uns an die Arbeit. Machen Sie mit!“

Selbst jene Politexperten, die sich plausibel damit rühmen dürfen, Washingtoner Insider zu sein, staunten. Sie hatten, wie ich, auf Josh Shapiro, den jungen, jüdischen Gouverneur von Pennsylvania gesetzt. Ein Weißer, der von der Diktion, der Gestik und nicht zuletzt der Figur her an Barack Oba­ma erinnert. Und bereits am Wochenende vor ihrer Ankündigung zum Running Mate hatte sich Harris schon für einen Auftritt in Philadelphia entschieden. Philadelphia, die geschichtsträchtige Metropole Pennsylvanias; übrigens die kleine Hauptstadt des Staates heißt Harrisburg. So deutete alles auf den dynamischen 51-jährigen Shapiro hin. Doch die Würfeln waren anders gefallen. Blind gewürfelt hat Harris aber keineswegs.

Ein Gambit mit Kalkül

Es handelt sich um eine Damenwahl der besonderen Art. Auf ihrer Tanzkarte hatte Kamala Harris überhaupt nur ein Kästchen, das angekreuzt werden durfte. Ein Gambit mit Kalkül. Eine Schwarze Dame versucht, ihre Gegner mattzusetzen, indem sie einen weißen Bauern einsetzt, um die Hürden auf dem Weg ins Oval Office besser bewältigen zu können. Zweifelsohne eine Gratwanderung, die Grazie erfordert.

Die Dame führt, der Bauer gehorcht. Das Lavieren auf dem Schachbrett ähnelt tatsächlich der Bewegung über ein Parkett im Dreivierteltakt. Große und kleine Schritte, Ausstrahlungsästhetik, Positur, Style – und irgendwann mal Substanz, oder? Der Bauer trägt natürlich lieber ein Flannelhemd als einen Frack. Der Stilbruch wiederum kann, soll, ja muss zur Geltung kommen. Hauptsache, Handwerker-Stil ohne Hillybilly-Vibes. Denn es muss dem Pärchen Harris und Walz gelingen, einem ähnlich ungleichen Duo, den Milliardär Donald Trump und dessen hinterwäldlerischen Vize-Kandidaten J. D. Vance, vorzuführen und simultan in den Schatten zu stellen. Allerdings werfen Weltereignisse düstere Schatten auf den US-Wahlkampf. Pulsierende Bässe schaukeln die Seele. Der Walzer erweist sich als Tanz auf dem Vulkan.

There ’s a concert hall in Vienna Where your mouth had a thousand reviews There ’s a bar where the boys have stopped talking

They’ve been sentenced to death by the blues …

Was hat Taylor Swift mit Kamala Harris zu tun?

In der österreichischen Hauptstadt treffen die Melancholie von Leonard Cohens Take this Waltz und die Munterkeit von Taylor Swifts Cruel Summer schlagartig aufeinander. Islamistische Terroristen hatten Taylor und ihre Swifties im Visier. Ein veritables Blutbad wäre es beinahe geworden, ähnlich wie bei dem mörderischen Anschlag auf das Ariana-Grande-Konzert 2017 in Manchester, Großbritannien. Zum Glück wurden einige der mutmaßlichen Hauptakteure des versuchten Massenmordes in Wien rechtzeitig aufgegriffen.

Und was hat Kamala Harris damit zu tun? Ja, eben. Gedenkt die 59-jährige US-Demokratin, die terrortrotzenden Swifties zu loben, die nach den drei aus Sicherheitsgründen abgesagten Konzerten den Islamisten die Stirn bieten?

Mit so einem Schachzug könnte sie ihren Patriotismus zeigen und das Patriarchat gleichzeitig anprangern. Eine Steilvorlage für die Versinnbildlichung des feministischen Aufstandes. Ein Donald Trump oder ein J. D. Vance kämen noch nicht mal auf diese Idee. Es wäre für Harris eine ideale Gelegenheit gewesen, mal ein handfestes und nicht herbeifabuliertes Endorsement von einer der aktuell wichtigsten Frauen der Popkultur zu erhalten.

Mit Lob für die tapferen Swifties könnte Harris zugleich Patriotismus zeigen und das Patriarchat anprangern

Immerhin sieht sich Harris, selbst Ehefrau eines Juden, mit Vorwürfen des Antisemitismus konfrontiert. Schon deshalb, weil sie den pro­israelischen Gouverneur Josh Shapiro nicht zum Tanz gebeten hat. Dass sie neulich propalästinensiche Zwischenruferinnen auf einer Walhkampfveranstaltung zu Recht gerügt hat, lässt die Vorwürfe nicht verebben. Und währenddessen hallt eine rauchige Stimme nach.

I take this Walz, I take this Walz,

I take this Walz, with the clamp on my jaws

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michaela Dudley
Journalistin/Kabarettistin
Michaela Dudley (Jg. 1961), eine Berliner Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln, bezeichnet sich als „Frau ohne Menstruationshintergrund, aber mit Herzblut, in der Regel“. So lautet ihr Signatur-Lied, und so kennt man sie als wortgewandte taz-Kolumnistin. Sie ist Kabarettistin, Filmschauspielerin, Keynote-Rednerin, Journalistin und gelernte Juristin (Juris Dr., US). Ihr 2022 veröffentlichtes Buch RACE RELATIONS: ESSAYS ÜBER RASSISMUS (2. Aufl. 2024), das als lyrischer Leitfaden zum Antirassismus reüssiert, erklärt: „Die Entmenschlichung fängt mit dem Word an, die Emanzipierung aber auch“. Ebenfalls 2022 erschien ihr Essay „Weimar 2.0: Reflexionen zwischen Regenbogen und Rosa Winkel“ in dem vom NS-Dokumentationszentrum München und Hirmer-Verlag herausgegebenen Buch TO BE SEEN: QUEER LIVES 1900 – 1950. Die LGBTQ_Aktivistin ist auch Stammkolumnistin bei der „Siegessäule“ und Gastredakteurin beim „Tagesspiegel/Queerspiegel“. Auf der Frankfurter Buchmesse 2023 als eine von 75 erlesenen Story-Teller:innen auf dem Paulsplatz mit einem symbolischen Klappstuhl ausgezeichnet. Neben Deutsch und Englisch spricht sie Italienisch, Latein und Hebräisch. Zudem Sie arbeitet sie mit dem Goethe-Institut zusammen. Gelobt wird sie überdies für ihren Auftritt im Spielfilm GESCHLECHTERKAMPF: DAS ENDE DES PATRIARCHATS (2023). In der neo-dokumentarischen Berliner Satire spielt sie sich selbst, und zwar in einer von ihr geschriebenen Szene. Auf dem 37. Braunschweiger Filmfest diente sie als Jurymitglied der Sektion „Echt“ für queere Filme. Von 2018 bis 2022 war sie eine offizielle Übersetzerin der Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) für das Pressebüro und die Sektion Generation. 2019 agierte sie als Gastmoderatorin bei der Live-Übertragung von Berlin Pride (CSD) im RBB-Fernsehen. Regelmäßig erscheint sie in der „Kulturzeit“ (3Sat/ZDF). Im Aufklärungsvideo HAB’ ICH WAS GEGEN (2023) der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (44 Millionen Klicks) und in einem Beitrag für „ttt – titel, thesen, temperamente“ über das Selbstbestimmungsgesetz (110.00 Klicks in 24 Stunden) tritt sie auf. Als Impulsgeberin in puncto Diversity hielt sie Keynote-Reden bei der Deutschen Bahn, der Führungsakademie der Bundesagentur für Arbeit, dem DGB und im geschichtsträchtigen Schöneberger Rathaus. Oktober 2023 in der Arena Berlin moderierte sie für Funke-Medien eine brandaktuelle Diskussion über Antisemitismus und Rechtsextremismus. Ihr Solo-Kabarettprogramm EINE EINGEFLEISCHT VEGANE DOMINA ZIEHT VOM LEDER ist eine „sado-maßlose“ Sozialsatire mit eigenen musikalischen Kompositionen. Ihre diversen Auftrittsorte umfassen die Volksbühne, das SchwuZ, und die BKA (Berliner Kabarett-Anstalt.)
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Danke für diesen überaus klugen Artikel, liebe Frau Michaela - wie anders als mit Metaphern soll und kann diese Welt erklärt werden.? Es ist die einzige Macht gegen die engstirnige Polarisierung.



    Ja, das haben wir feministischen Menschen gut verstanden, beginning with wording - kann man wohl nur mit dem Herzen und dem Verstand zusammen denken und verstehen. Der weißen alten Patriarch-Denke fehlt beides. Love to you, Evelyn

  • Ich verstehe nicht, was der zweite Teil des Textes mir sagen soll. Eingeleitet mit der Frage "Was hat Taylor Swift mit K. Harris zu tun? Bleibt eine Antwort geschuldet und das feuilletonistische Pferd scheint mit den Cohen-Zitaten durchzugehen.



    Merken Sie am vorigen Satz, das blumige Sprache nicht zwangsläufig funktioniert? Und einen als ob der Bruch mit der ersten Texthälfte nicht schon inhaltlich groß genug wäre, wird er auf stilistischer Ebene noch verschärft. Sorry aber das gibt mir nichts.

    • Michaela Dudley , Autorin des Artikels, Journalistin/Kabarettistin
      @dol-fan:

      Danke vielmals für die Aufmerksamkeit.

      Sie Schreiben: » Merken Sie am vorigen Satz, das [sic!] blumige Sprache nicht zwangsläufig funktioniert? «

      SICherlich. Die Formulierung ist darauf bedacht, die Gedanken, vielmehr die Vorstellungskraft anzuregen. Ein Schachbrett als Parkett, eine Musette im Moll.

      Beim Hype um das dynamische Duo Harris & Walz entfalten kaleidoskopartige Visionen, die wiederum wie Tanzpärchen miteinander kollidieren. Die Visionen rieseln wie Glitzer nieder und liegen wie die Splitter eines zerborstenen Muranglas-Kronleuchters auf dem Parkett herum. Mit einem Linksdreher um den Scherbenhaufen herum. Zu abstrakt? Man muss nur die Stücke aufsammeln und zusammenfügen.

      Swifties, die simultan Kamala-Fans sind, suchen im Internet nach kryptischen Botschaften, die auf Taylors Endorsement für die Demokraten hindeuten können. Allerdings schlägt die Nachricht über den gescheiterten Terroranschlag in Wien wie eine Bombe ein. CRUEL SUMMER mit Happyend? Kamala hätte mit einem gezielten Post viel Kapital daraus schlagen können.

      • @Michaela Dudley:

        Danke, da macht Lesen Freude.

  • Ein schöner Kommentar, Frau Dudley. Danke.



    Aber würde man im amerikanischen Wahlkampf weniger auf Show-Elemente, stattdessen auf Inhalte setzen - und die Kritik geht an das Trump-Lager wie Harris‘ Demokraten gleichermaßen -, wäre (angesichts der Herausforderungen) eine Team-Lösung wohl angebrachter als diese medial inszenierte und choreografierte Running-Mate-Shows.



    Aus meiner Sicht wäre dann ein Josh Shapiro UNBEDINGT mit im Boot … aber ich habe bei den US-Democrats schließlich nichts zu sagen.



    Mit Walz UND Shapiro an Bord dieses Wahlkampf-Kreuzfahrtschiffes könnten möglicherweise zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Satisfikation des linken, propalästinensischen UND des proisraelischen Flügels der Demokratischen Partei.



    Aber man kann bekanntlich nicht ALLES im Leben haben.😉

    • Michaela Dudley , Autorin des Artikels, Journalistin/Kabarettistin
      @Abdurchdiemitte:

      Herzlichen Dank für die Resonanz.

      Sie Schreiben: » Aber würde man im amerikanischen Wahlkampf weniger auf Show-Elemente, stattdessen auf Inhalte setzen - und die Kritik geht an das Trump-Lager wie Harris‘ Demokraten gleichermaßen -, wäre (angesichts der Herausforderungen) eine Team-Lösung wohl angebrachter als diese medial inszenierte und choreografierte Running-Mate-Shows. «

      Ganz genau! Während der Amtsperiode ist der Vizepräsident (VP) ohnehin kaum sichtbar. Natürlich hat er den „Fußball“ für den Notfall, da er nur einen Herzschlag vom Präsidenten entfernt ist. Doch im normalen Alltag ist der VP de facto eher der Grußaugust für die B-Liste. Nicht böse gemeint, ist aber in der Praxis so. Dahingegen sind der Stabschef des Weißen Hauses und einige Kabinett-Mitglieder (v.a. Außen-, Verteidigungs- und Justizminister) wesentlich einflussreicher als der VP.

      Die Wähler wollen wiederum wissen, wen sich Kamala Harris als Nachfolger vorstellen kann, falls sie nicht mehr imstande ist, ihr Amt auszuüben. So ist ein bisschen Bravado/a angebracht. Außerdem muss sich sich jetzt noch nicht festlegen, wer welche weiteren Positionen bekommt.

      • @Michaela Dudley:

        „Dahingegen sind der Stabschef des Weißen Hauses und einige Kabinett-Mitglieder (v.a. Außen-, Verteidigungs- und Justizminister) wesentlich einflussreicher als der VP.“



        Na dann … Shapiro for Außenminister!

  • Ich lese den Beitrag als Situations-Beschreibung. Was ich nicht verstehe, ist dieser Absatz:



    "Und was hat Kamala Harris damit zu tun? Ja, eben. Gedenkt die 59-jährige US-Demokratin, die terrortrotzenden Swifties zu loben, die nach den drei aus Sicherheitsgründen abgesagten Konzerten den Islamisten die Stirn bieten?"



    Ist mir da eine Swiftie-Rebellion entgangen?



    Oder einfach nur Danke sagen, dass die Swifties eben NICHT randaliert haben?