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Disziplin bei OlympiaBrot und Spiele

Uli Hannemann
Kommentar von Uli Hannemann

Eine Schwimmerin wurde wegen eines Ausflugs heimgeschickt. Eine Turnerin, weil sie geraucht hat. Dabei schadet Lustfeindlichkeit dem Resultat doch.

Könnte auch noch Konsequenzen haben: Japanischer Handballer im olympischen Dorf Foto: Sebastian Wells/OSTKREUZ

D ie brasilianische Schwimmerin Ana Carolina Vieira (22) wurde von ihrem Verband nach Hause geschickt, weil sie während der Olympischen Sommerspiele in Paris zusammen mit ihrem Freund eigenmächtig das Quartier verließ, um den Eiffelturm zu besichtigen. Eine Verwarnung wegen des Vorfalls soll sie mit strammen Widerworten gekontert haben.

Das wirft die Frage auf, wie anachronistisch Kasernendisziplin für erwachsene Menschen anmutet, die ja auch im Wettkampf vor Millionenpublikum eigenständige Entscheidungen treffen müssen. Wie verträgt sich das mit dieser Schullandheim-Atmosphäre, von der auch ehemalige Nationalspieler heute gern berichten: Wie sie sich damals mit Bettlaken abgeseilt haben, und über den Zaun der Sportschule türmten, um in der nahen Dorfkneipe einen draufzumachen.

Pförtner bestochen oder mit gespikter Bockwurst betäubt, trotzdem immer stockvoll erwischt, der „Du-du-du“-Finger des jeweiligen Bundes-Sepps, die Bild-Zeitung am nächsten Morgen, blabla, man kennt diese Geschichten ganzer Generationen von Helmuts, Katsches und Marios zur Genüge. Komischerweise kommt denen beim Erzählen der launigen Anekdoten nie in den Sinn, wie erniedrigend, entmündigend und letztlich auch kontraproduktiv eine solche Behandlung für sie war.

Zum Glück sind diese Zeiten weitgehend vorbei. „Brot und Spiele“ heißt es nicht nur für die Zuschauer, sondern mittlerweile auch für die Sportler, die in einer milliardenschweren Unterhaltungsindustrie Verantwortung auf ihren Positionen tragen. Sie sind nichts anderes als hochqualifizierte Führungskräfte, was auch für Vieira und alle anderen Athleten bei Olympia gilt.

Diese mit Respekt zu behandeln und bei Laune zu halten ist schlicht State of the Menschenführung. Ob Obstschalen im Büro, Freizeitangebote oder Duschen, flache Hierarchien oder Mitspracherecht: Leistung braucht Vertrauen und eine intakte Seele. Mobbing, militärisches Geschrei und Käfighaltung, überhaupt jede Form von freudloser Lustfeindlichkeit schadet dem Resultat. Was uns fast umbringt, macht uns nicht gut.

Unterhaltungsangebote und Maßnahmen gegen Lagerkoller

Zu einer zeitgemäßen Behandlung von Sportlerinnen gehören entsprechend Unterhaltungsangebote und auch Maßnahmen zur Vermeidung eines Lagerkollers, wie Familientage mit Gspusi, Mama, Kindern. Selbst im Trainingslager gibt es Grillabende und Fahrradausflüge. Und es gibt auch die Erlaubnis für ein Bierchen dann und wann, das können mündige Sportler schließlich selbst entscheiden.

Was man in Paris der japanischen Turnerin Shoko Miyata (19) offenbar nicht zutraute, die von ihrem Turnverband heimgeschickt wurde, nachdem man sie beim Rauchen und Trinken erwischt hatte. In einem artverwandten Fall ist man mit uns 13-Jährigen bei der Konfirmandenfreizeit weitaus gnädiger verfahren.

Früher gab es beim Fußball sogar die Maßgabe: Kein Wasser trinken! Man durfte allenfalls die Schleimhäute befeuchten und sollte jeden Schluck Wasser sofort wieder ausspucken. Ob medizinischer Quatsch oder toxische Männlichkeit – pseudohartmachender Schwachsinn war in sämtlichen Sportarten verbreitet. Heute trinken spanische Profis in der Trainingspause vor der Siesta ein Glas Rotwein zu Mittag, was ihre asketischeren Kollegen aus Deutschland allerdings nach wie vor irritiert.

Doch auch wenn der aktuelle Wissensstand davon ausgeht, dass es das medizinisch „gesunde Maß“ an Alkohol, dieses eine Glas, das „gut fürs Herz“ sein soll, gar nicht gibt, sondern jede Kleinstmenge im Prinzip schädlich ist, gilt es abzuwägen. Der therapeutische Wert eines kleinen Biers am Abend, das Entspannung, Genuss und Selbstbestimmung bedeutet, ist bei einer gesunden Sportlerin sicher höher einzuschätzen als der körperliche Schaden.

Der bei einer Eiffelturmbesichtigung erst recht nicht erkennbar ist. Was der Fick soll das, möchte man die brasilianischen Schwimmfunktionäre fragen. Kein Wunder, dass Vieira da ausgerastet ist und ihnen vermutlich nahegelegt hat, ihre Schwimmbrillen im Spind mal gründlich nachzuzählen.

Es bleiben auch so noch genug Regeln übrig: Das ganz große Triumphgelage bitte immer erst nach dem Finale und direkt vor der Sommerpause. Alkohol ist nämlich besonders Gift für eine rasche Regeneration. Denn nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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12 Kommentare

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  • Sehr gut! O.k., hier schreibt ein total Unsportlicher, das mag schon in das Folgende vielleicht allzu einseitig wertend mit hinein spielen.

    Trotzdem gebe ich dem Ulli Hannemann da ganz recht. Denn manchmal meine ich heute, im Jahr 2024, dass in Deutschland der alte Schrebergarten-Faschismus, dieser Gartenzwerg-Militarismus und dieses Schäferhund-Führertum der 1960-er Jahre, dass ich kennengelernt habe und wie man es auch im Sport antreffen musste, heute wieder erwacht - nachdem es sich raffiniert "reformiert" hat und sich z. B. geschickt mit dem Neo-Liberalismus zu verbünden versteht. Siehe AfD. Für außerhalb des Sports siehe: Carsten Linnemann in Bezug auf sein Reden über die Bürgergeldempfänger.

    Ein solches "Deutschland - mein Turnvaterland" möchte ich nicht mehr. Und Ulli Hanneman erklärt warum!

  • Für mich einfach nur eine Demonstration der Macht.



    Und wie mächtig Olympia wirklich ist zeigt sich z.B. am vom Deutschen Gesetzgeber verabschiedeten Olympiaschutzgesetz von 2004.



    www.gesetze-im-int...BJNR047900004.html



    Offenbar haben Marken- und Urheberschutz den Mächtigsten der Mächtigen nicht ausgereicht und sie haben dem Bundestag dieses Gesetz abgezwungen.

  • Verrückt die Brasilianer und Japaner. wäre ja mal lustig die kuriosesten Fälle zusammen zu tragen.

  • Laut einer Umfrage im ntv interessieren sich gerade mal 30% der Zuschauer für Olympia. Das heißt ja....rechne, rechne, rechne 70 % ist das piepegal.

    • @Horst Schlichter:

      Ist kaum anzunehmen, dass solche Umfragen als Nonplusultra zu betrachten sind.



      Man kann Macht und Geld usw. in diesem Geschäft verurteilen, ablehnen, bekämpfen …



      Nichtsdestotrotz ist es nicht nur legitim sondern auch angebracht, Arbeit und Leistungen der Sportler zu würdigen (wobei ich das Medaillenzählen von „Sofaschlaumeiern“ und Funktionären ausdrücklich nicht dazu zähle).

  • Die Schwimmerin wurde nicht wegen des Ausfluges nach Hause geschickt (sonst hätte es auch ihren Freund getroffen), sondern wegen der dispektierlichen und aggressiven Reaktion gegenüber dem Trainer nach Erteilung einer Verwarnung.

    Ich habe mich auch schon von einer Mitarbeiterin getrennt, die in einem Gespräch die Beherrschung verloren hat.

    • @DiMa:

      Schlimm genug Ihre Reaktion, die anderen Menschen auf Grund von Hierarchiegefälle ihr Recht auf Widerspruch und Emotionen nimmt.

      • @snowgoose:

        Das Recht auf Widerspruch bleibt jedem unbenommen (der Widerspruch an sich war wohl auch nicht das Problem), es gilt unbeachtet dessen, die Form zu wahren und die Emotionen in Griff zu behalten - ungeachtet jeder Hierachie.

  • Nicht von ungefähr kommen so viele Sportler aus militärischen Kreisen.



    Die zivile Partyatmosphäre ist nur Fassade. Eigentlich geht es um den großen staatlichen Schwanzvergleich, der vor den beiden großen Kriegen regelmäßig mit Säbelrasseln und Scharmützeln durchgeführt wurde.



    Die Sportler sind Soldaten, die für ihr Land kämpfen. Da geht es nicht um Spaß. Da herrscht Disziplin. Und wer dem Feind den Rücken kehrt, wird standrechtlich ... nach Hause geschickt.

    • @Herma Huhn:

      Das weiß man als Sportler aber auch vorher, sollte jetzt keine Überraschung gewesen sein....

  • Sinnfreie Spiele des Kommerzes. Genauso wie der internationale Fußball. Auf beides kann getrost verzichtet werden.

    • @Okti:

      Es gibt eine Menge, worauf im Leben verzichtet werden könnte, wenn man die Existenzbedürfnisse eines Lebewesens betrachtet.



      Dabei macht ja gerade die höchst ungerechte Verteilung der Möglichkeiten rasend.



      Also füllen Sie Ihr Leben mit Dienst an Armen, Kranken, Unterdrückten und sparen sie jegliche sinnlose Ausgabe für Tand und Unterhaltung.