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Großbritanniens HaushaltslochDie Quadratur des Labour-Kreises

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Schuld sind die Tories? Es drängt sich der Verdacht auf, dass Labour vor einer harten Sparrunde steht und die Verantwortung nicht tragen will.

Bettler in der Kensington Street London Foto: Tolga Akmen/EPA

D ie Konservativen haben Großbritannien kaputtgespart und Millionen von Menschen in die Armut gestoßen; Labour wird staatliche Dienste wieder vernünftig finanzieren und soziale Gerechtigkeit herstellen. So lautet das gängige Narrativ zur britischen Politik. Die Aussage der neuen Regierung, Großbritannien sei „pleite“, passt dazu. Vordergründig.

In Wirklichkeit ist es nämlich umgekehrt. Labour-Finanzministerin Rachel Reeves wirft der konservativen Vorgängerregierung nicht zu geringe Ausgaben vor, sondern zu hohe. Ausgabeversprechen in Höhe von 20 Milliarden Pfund (23,5 Milliarden Euro) seien nicht gedeckt, heißt es – eine „katastrophale“ Hinterlassenschaft einer Regierung, die sich „vor schwierigen Entscheidungen gedrückt“ habe.

Wie seriös ist das? Größter Bestandteil des angeblich neuen Milliarden­loches sind geplante Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst, vor allem im Gesundheitswesen. Entsprechende unabhängige Empfehlungen nach ständigen Streikwellen lagen bereits vor den Wahlen vor, sind also keine Überraschung. Labour wusste, dass man dem natürlich jetzt Folge leisten muss. Aber die Regierung muss schon selber ausrechnen, wie sie das macht.

Labour hat einfach Pech gehabt

Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Labour-Regierung vor einer harten Sparrunde steht und die Verantwortung dafür nicht übernehmen will. Sie könnte natürlich auch eine schulden­finanzierte Ausgabenpolitik fahren, aber das will sie nicht, sondern wirft lieber den Tories vor, auf Pump regiert zu haben. Komisch: War nicht Austerität das Tory-Verbrechen?

Fakt ist, dass die einstige Tory-Sparpolitik längst Geschichte ist; Boris Johnson scherte sich nicht um Schulden, spätestens mit der Covid-19-Pandemie konnte von Austerität sowieso keine Rede mehr sein. Das gilt in ganz Europa. Und in ganz Europa stehen die Regierungen jetzt vor einer Quadratur des Kreises: sie sollen die staatliche Kreditaufnahme wieder verringern, gleichzeitig massiv in Klimaschutz und Verteidigung investieren und soziale Härten vermeiden. In Großbritannien trifft das nun Labour. Pech gehabt.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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2 Kommentare

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  • Die Lösung wäre bekannt gewesen: Die irren Steuersenkungen für die Bonzen rückgängig machen, mit denen sich die Tories ihre Parteispenden finanzieren ließen.



    Starmer hat sich anders als Corbyn ins Eck drängen lassen.



    Corbyn sollte jetzt übernehmen (ok, unrealistisch, doch denken wir es mal durch).

  • Die unaufgeregte Analyse ist korrekt.



    Die Tories haben gegen den Willen ihrer eigenen Wähler die Umsetzung 'konservativ-liberaler' Politik vehement verweigert, wofür sie bei den Wahlen zurecht abgestraft wurden.