Patriarchale Strukturen in Mexiko: Verklärte Traditionen bei Indigenen
Nayelli López Reyes beschreibt in einem Podcast den Machismus indigener Gemeinschaften. Dafür bekam sie jetzt einen der Gabo-Journalistenpreise.
G ewalt, Kriminalität, Repression: Bei der Verleihung des diesjährigen Gabo-Journalistenpreises ging es nicht gerade um die schönsten Themen. Doch zweifellos beschäftigen sich die Autor*innen, deren Arbeiten Anfang Juli in Bogotá ausgezeichnet wurden, mit genau den Problemen, die in vielen Latino-Ländern das gesellschaftliche Leben bestimmen.
Der Preis wird von der Gabo-Stiftung ausgelobt, die von dem Journalisten und Schriftsteller Gabriel García Márquez gegründeten wurde. Die Auszeichnung gilt als wichtigste ihrer Art in Lateinamerika. Sie soll Qualitätsjournalismus stärken in einer Zeit, in der Fake News und Angriffe auf Medienschaffende die Demokratie in Lateinamerika schwächen.
So ist es naheliegend, dass der guatemaltekische Zeitungsherausgeber José Rubén Zamora in Abwesenheit mit dem „Exzellenz-Preis“ eine besondere Würdigung erhielt. Der 67-Jährige sitzt seit Juli 2022 mit fadenscheinigen Begründungen in Haft, weil die Recherchen seiner Tageszeitung El Periodico einigen korrupten Machthabern in die Quere kamen. Geehrt wurde auch ein 30-köpfiges Journalistenteam, das mit dem Projekt „AmazonUnderworld“ das umfangreiche System krimineller Organisationen aufzeigt, die jenseits staatlicher Kontrolle im Regenwald agieren.
Mit einem ähnlichen Thema beschäftigt sich die ebenfalls preisgekrönte Reportage „La noche de los caballos“ (Die Nacht der Pferde) des Hochglanzmagazins Gatopardo. Sie handelt vom illegalen Export von Pferdefleisch aus Argentinien nach Europa.
Alltag der Frauen in Triqui
Bemerkenswert ist jedoch eine Arbeit, die nicht dem etablierten Journalismus zuzurechnen ist. Nayelli López Reyes aus der südmexikanischen Triqui-Gemeinde San Martín Itunyoso wurde für ihren Podcast „Las mujeres valientes“ (Die tapferen Frauen) über den Alltag in ihrer Heimat geehrt.
Der Beitrag ist außergewöhnlich, weil er sich auch kritisch mit den „Sitten und Gebräuchen“ in indigenen Gemeinschaften auseinandersetzt. Nicht selten werden diese fragwürdigen „usos y costumbres“ mit Hilfe des Labels „Selbstbestimmungsrecht indigener Völker“ unter den Tisch gekehrt.
López Reyes gibt Frauen ihres 2.000-Seelen-Dorfes im Bundesstaat Oaxaca eine Stimme. Die Interviewten berichten über die traditionelle patriarchale Herrschaft, die in vielen Gemeinden der Triqui-Region vorherrscht. Ausführlich sprechen sie in den sechs Folgen des Podcasts, der in Spanisch und Triqui auf Spotify zu hören ist, über ihre Gewalterfahrungen, über die Macht der Männer und darüber, wie sich diese dagegen organisieren. „Wir haben uns getraut, unsere Lebensweise in Frage zu stellen“, erklärt die Autorin.
López Reyes beschreibt auch die „Tradition des Verkaufs“, derzufolge Heranwachsende an Männer als Ehefrauen verkauft und dann erniedrigt, vergewaltigt, in ferne Regionen verschleppt und zur Hausarbeit gezwungen werden. Nicht selten lassen die Käufer ihre Angetrauten später samt den Kindern sitzen und verschwinden. Manche zahlen in Pesos, andere mit Schnaps oder Schweinen. Wehrt sich eine Frau, werde sie oft von der Familie zurückgewiesen.
Verkauf von Mädchen
„Vielleicht, weil sie glauben, dass die Tradition abhanden kommt, oder weil sie meinen, dass Frauen nicht entscheiden, sondern gehorchen sollen.“ Nicht anders sieht es in der angrenzenden Region La Montaña im Bundesstaat Guerrero aus, wo der Verkauf von Mädchen übliche Praxis ist.
Natürlich gibt es in indigenen Gemeinschaften auch Kämpfe gegen patriarchale Gewalt. Zu den herausragenden zählen die Zapatist*innen aus dem südlichen Chiapas, auch in anderen autonomen Gemeinden setzten Feministinnen dem Machismus Grenzen. Aber noch immer verstellt zu oft eine naive Verklärung von „Traditionen“ den Blick auf die realen Verhältnisse. Wie gut, dass mit der Vergabe des Gabo-Preises an López Reyes mit dieser Sichtweise gebrochen wird.
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