Autoverkehr in Hamburg: Umland torpediert Verkehrswende

Eine Daten-Auswertung der Klimaorganisation GermanZero Hamburg kommt zum Schluss: Anders als behauptet sinkt der Autoverkehr in Hamburg nicht.

Autos und Radfaher:innen stehen dicht gedrängt auf einer Straße

Dichter Autoverkehr in Hamburg: Ist das nun mehr geworden oder nicht? Foto: Markus Scholz/dpa

HAMBURG taz | Glaubt man den offiziellen Statistiken, hat Hamburg die Verkehrswende mit Vollgas eingeleitet: Um ein Drittel ist der Autoverkehr binnen fünf Jahren zurückgegangen, freute sich Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) etwa im vergangenen Jahr zur Vorstellung der „Mobilitätserhebung in Hamburg“. Nun endlich gehe es mit der Mobilitätswende also „deutlich voran“.

Doch eine Analyse der Hamburger Ortsgruppe der Klimaschutzorganisation GermanZero kommt zum gegenteiligen Ergebnis: Demzufolge legt Autoverkehr in Hamburg beständig zu. Die von der Verkehrsbehörde vorgelegten Zahlen ließen den massiv wachsenden Pend­le­r:in­nen­ver­kehr außer Acht. „Der Senat kommt mit der Mobilitätswende nicht voran“, konstatiert Hamburgs GermanZero-Sprecher Mark Roach.

Der Analyse nach stimmt zwar, was auch die Verkehrsbehörde zuletzt mitteilte, dass nämlich innerhalb der Stadt weniger Auto gefahren wird. „Doch der Pend­le­r:in­nen­ver­kehr mit dem Auto nimmt in einem Umfang zu, dass er den zurückgehenden innerstädtischen Autoverkehr nicht nur ausgleicht“, sagt Roach.

So nahm die reine Zahl der Fahrten von Pend­le­r:in­nen aus und nach Hamburg nach einem coronabedingten Einbruch 2020 seither wieder kontinuierlich zu und lag 2023 mit rund 237 Millionen Fahrten deutlich über dem Vor-Corona-Jahr 2019 mit rund 216 Millionen.

Immer weitere Wege

Noch deutlicher wird der Anstieg mit Blick auf die zurückgelegten Strecken: Waren es 2019 noch 8,38 Milliarden gefahrene Kilometer mit dem Auto, lag der Wert 2023 bei 8,52 Milliarden. Auch hier ist zwar ein kleiner Rückgang des innerstädtischen Verkehrs zu beobachten.

Indes: „Da die von den Pend­le­r:in­nen zurückgelegten Strecken naturgemäß viel länger sind als die innerstädtischen, schlagen sie sich im Gesamtergebnis auch so deutlich nieder“, sagt Roach. Ohnehin hätten die von Pend­le­r:in­nen zurückgelegten Strecken in den vergangenen Jahren zugelegt; sie nähmen immer weitere Wege in Kauf.

Die Hamburger Ortsgruppe der Klimaschutzorganisation hat von Google zugänglich gemachte Daten ausgewertet. Der Konzern gewinnt diese Daten aus den Handy-Daten seiner Nutzer:innen. Aus diesen Bewegungsdaten ermittelt Google, womit sich ein:e Nut­ze­r:in fortbewegt. „Google kann ableiten, ob Sie zu Fuß gehen, mit dem Rad oder dem Auto fahren“, sagt Roach. „Ob Bahn oder Bus genutzt wird, kann Google an der Strecke beziehungsweise an der Rhythmik in der Fortbewegung erkennen.“

Plausibel sind die Zahlen angesichts der Bevölkerungsentwicklung: Der Hamburger Speckgürtel wächst nicht erst seit den Coronajahren rasant. Der Kreis Pinneberg etwa ist seit Anfang des vorigen Jahrzehnts um fast zehn Prozent gewachsen. In Städten wie Stade oder Ahrensburg sieht es ähnlich aus. Und: Zumindest in den Coronajahren zogen mehr Ham­bur­ge­r:in­nen ins Umland als andersrum, die, sollten sie ihren Job behalten haben, nun pendeln müssen.

Mark Roach, GermanZero

„Wir sollten dringend über eine City-Maut nachdenken“

Der sogenannte Environmental Insight Explorer von Google hat jedoch auch einige Tücken, räumt Roach ein. Etwa, dass die Daten von den Android-Nutzern auf den Gesamtverkehr hochgerechnet werden müssen. „Nicht unterschieden wird zwischen Auto und LKW oder der Größe des Autos“, sagt Roach.

Ebenfalls nicht erkannt werde, wenn verschiedene Nutzer ein Auto nutzen und so nur einmal CO2-Emissionen verursachen. „Aber bessere Daten haben wir nicht“, sagt Roach – auch mit Blick auf die Verkehrsdaten aus der Verkehrsbehörde.

Denn die, so die Kritik, stützt sich bei der postulierten Verkehrswende hauptsächlich auf irrelevante Daten. Die eingangs genannte Mobilitätserhebung für Hamburg etwa, die für Jubelmeldungen einer erfolgreichen Verkehrswende sorgten, ist eine Umfrage zum Verkehrsverhalten der Hamburger:innen. Pend­le­r:in­nen nach Hamburg wurden darin also nicht einbezogen.

Und in der Umfrage wurde nach Fahrten mit dem Auto gefragt, ohne aber zu berücksichtigen, ob 100 Meter oder zehn Kilometer zurückgelegt wurden, bemängelt Roach. „Für den Klimawandel und die dafür entscheidenden CO2-Emissionen ist das aber ein gravierender Unterschied.“ Gleiches gelte für Messstationen an Straßen, die Autos zählen. „Auch da wird ja nicht die zurückgelegte Strecke berücksichtigt“, sagt Roach.

49-Euro-Ticket wirkungslos

Was nun zu tun ist? Das 49-Euro-Ticket, das besonders bei Pend­le­r:in­nen zum Umstieg vom Auto auf den ÖPNV führen sollte, hat der GermanZero-Analyse zufolge kaum gewirkt. „Große Arbeitgeber müssten dringend verpflichtet werden, ihre Belegschaften zum Wechsel auf den Umweltverbund zu bewegen, anstatt das Autofahren auch noch durch günstige Parkplätze zu belohnen“, sagt Roach, der auch vorschlägt:„Wir sollten dringend über eine City-Maut nachdenken.“

Auf Nachfrage zeigt sich die Verkehrsbehörde angesichts der Zahlen gelassen. In der Gesamtschau seien diese wenig aussagekräftig. „Wir sehen diese Daten als sinnvolle Ergänzung unserer Daten“, sagt Sprecher Dennis Krämer.

Und wichtig sei vor allem die langfristige Entwicklung: Obwohl die Bevölkerung seit 2000 in Hamburg um elf Prozent gewachsen ist, sei der KFZ-Verkehr im selben Zeitraum auf den Stadtstraßen um rund 17 Prozent zurückgegangen. „Dagegen hat sich der Radverkehr mehr als verdoppelt und im ÖPNV verzeichnen wir mehr als 50 Prozent Fahrgastzuwachs.“

Auch gebe es noch weitere Tücken in den Google-Daten: Diese schließen etwa auch Reisende auf den Autobahnen ein, die das Hamburger Stadtgebiet insbesondere zu Ferienzeiten lediglich queren.

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