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Deutschland zu AssangeSchweigen in Berlin

Außenministerin Baerbock freut sich, dass der Fall Assange eine Lösung gefunden hat. Doch der Großteil der Bundesregierung schweigt zur Freilassung.

Canberra, Australien, 26. Juni: Assange-Unterstützer:innen bei einer Veranstaltung im East Hotel Foto: Lukas Coch/AAp/dpa

Berlin taz | Julian Assange ist zurück in Australien, verurteilt, aber ein freier Mann. Dass der Gründer der Plattform Wikileaks, die unter anderem US-Kriegsverbrechen im Irak enthüllt hatte, frei ist, ist am Tag seiner Rückkehr nach Australien im politischen Berlin kaum der Rede wert, wie schon am Tag zuvor in Brüssel, wo EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor allem durch Schweigen aufgefallen war.

Immerhin ein knappes Statement kam von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), allerdings nur am Rande eines Besuchs in Jerusalem und auch erst auf die Frage eines Journalisten: „Ich kann nur sagen, dass ich sehr froh bin, dass dieser Fall, der überall auf der Welt sehr emotional diskutiert wurde und viele Menschen bewegt hat, dass er nun endlich eine Lösung gefunden hat“, kommentierte die Außenministerin.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) hatte auf seinem-X-Account immerhin Platz, um der Historikerin Anne Applebaum zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu gratulieren. Einen Kommentar zu Julian Assange sucht man dort jedoch vergeblich. Finanzminister Christian Lindner (FDP) gratulierte auf X Mark Rutte zur Ernennung zum neuem Nato-Generalsekretär: „Deine Erfahrung, Dein diplomatisches Geschick und Deine Führungsstärke werden gebraucht“, schrieb er zu Rutte, zu Assange schrieb er nichts. Nur der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), fand auf X ein paar knappe Worte: „Gut, dass Assange endlich freikommt.“

So blieb es auf Regierungsseite an Kulturstaatsministerin Claudia Roth, ein längeres Statement zu formulieren. „Heute ist ein guter Tag für die Pressefreiheit“, teilte sie mit. „Bei allen legitimen Sicherheitsinteressen von Staaten und bei aller berechtigter Kritik an Wikileaks und seinem Gründer – die Öffentlichkeit hat ein Recht zu erfahren, wenn Staaten gegen Gesetze und Menschenrechte verstoßen“, so Roth weiter.

„Vorbild für Investigativjournalist*innen“

Aber nicht nur der Ampel, auch CDU/CSU und AfD war der berühmte Whistleblower kaum einen Ton wert. „Die Bundesregierung, die eine wertebasierte Außenpolitik predigt, hat bis zum Schluss im Fall Assange passiv zugesehen und geschwiegen, statt sich aktiv für ebendiese Werte einzusetzen“, kritisierte Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Gruppe Die Linke im Bundestag, die Untätigkeit der deutschen Regierung.„Whistleblower wie Julian Assange sind keine Kriminellen, sondern sorgen dafür, dass Kriegsverbrechen aufgedeckt und damit auch geächtet werden können.“

Sahra Wagenknecht (BSW) kommentierte auf X: „Kritischer Journalismus ist keine Spionage! Der Justizskandal bleibt, die US-Kriegsverbrechen, die Wikileaks aufgedeckt hat, bleiben ungesühnt.“

Zufrieden über die Freilassung von Julian Assange zeigten sich auch die Jour­na­lis­t*in­nen­ver­bän­de in Deutschland. Von einem „historischen Sieg für die Pressefreiheit“ sprach Reporter ohne Grenzen. „Seine Freilassung ist ein Hoffnungszeichen für Reporterinnen und Whistleblower auf aller Welt, die weiterhin diffamiert werden oder inhaftiert sind“, sagte Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Deutschland. Sie erinnerte aber auch an den in Russland inhaftierten US-Journalisten Evan Gershkovich, dessen Prozess gerade begonnen hat: „ Am Ende dieses Prozesses kann unserer Ansicht nach nur die Freilassung stehen“, so Osterhaus.

„Endlich kommt Julian Assange auf freien Fuß“, kommentierte Mika Beuster vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), gab allerdings auch zu bedenken: „Der Fall bleibt aber ein abschreckendes Beispiel für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten.“ Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) begrüßte die Nachricht von der Freilassung Assanges, der für seine Leistung die dju-Ehrenmitgliedschaft erhalten hatte. „Ich freue mich für Julian Assange und seine Familie über das Ende der zermarternden Haft“, so die dju-Bundesvorsitzende Tina Groll. Und ergänzte: „Für In­ves­ti­ga­ti­v­jour­na­lis­t*in­nen ist Assange ein Vorbild.“

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21 Kommentare

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  • Mika Beuster vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), gab allerdings auch zu bedenken: „Der Fall bleibt aber ein abschreckendes Beispiel für investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten.“

    Darum ging es ja letztendlich der USA auch nur. Kein Journalist wird es jetzt mehr wagen über Kriegsverbrechen der USA zu berichten. Das 'Land of the free' hat mit dem Fall Assange jetzt endgültig sein wahres "demokratisches" Gesicht gezeigt. Dass man damit die 'Vierte Gewalt' (die ja eine Kontrollfunktion über die drei Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative ausüben soll) in einer Demokratie allmählich zum Schweigen bringt, sollte auch unseren USA-hörigen Politikern klar sein.

  • Gestern: Das Schweigen der Europäer taz.de/Verhaeltnis...-Assange/!6019843/

    Heute: Schweigen in Berlin.

    Ich habe einen Titel für morgen:

    Die Stille in Rom

    und übermorgen:

    Die Ruhe in Spanien

    und in 120 Tagen:

    Das lärmende Schweigen in Nauru!

  • Letzte Meldung >01.11.2023

    Bundesregierung äußert sich zum Fall Julian Assange

    Berlin: (hib/SAS) Die Bundesregierung verfolgt eigenen Angaben zufolge den Auslieferungsprozess gegen Julian Assange sowie die öffentliche Diskussion über den Fall „aufmerksam“ und „kontinuierlich“. Doch zum laufenden Verfahren sowie zu den Inhalten vertraulicher Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Regierungen äußere sie sich „grundsätzlich nicht“, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (20/8966) auf eine Kleine Anfrage (20/8572) der Fraktion Die Linke. Diese hatte darin den Umgang mit Assange sowie die Folgen für die Pressefreiheit in Deutschland thematisiert und sich unter anderem nach dem Einsatz der Bundesregierung für Freilassung und Nichtauslieferung des Journalisten und WikiLeaks-Gründers Assange erkundigt. Dazu hatte der Bundestag mit seinem Beschluss vom 7. Juli 2022 die Bundesregierung aufgerufen.



    ... Die Bundesregierung habe zudem „keinen Zweifel daran, dass die britische Justiz rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und die Menschenrechte achtet“---



    www.bundestag.de/p...rzmeldungen-974544

  • Hätte Assange solche Dokumente aus russischen Vorfällen aufgezeigt, erwäre zum Superhelden erklärt worden. Aber so...

    • @Perkele:

      Haha! Er hatte ja Dokumente. Er hat sie nur nicht veröffentlicht! Sehr seltsam für jemanden, der Transparenz fordert und fördert.

    • @Perkele:

      Ach, wenn Sie wüsten, wie passend Ihre Bemerkung ist! Fakt ist, dass man mehrere Male WikiLeaks und Assange vergleichbares Material zu diversten Machenschaften der Russen angeboten hat und teilweis geliefert hat. Abgelehnt! Jedes mal postwendend mit der windigen Erklärung, von wegen könnte vielleicht mal in Russland lieber publik gemacht werden oder wegen mangelnder Relevanz oder Schwierigkeiten bei der Prüfung des Materials. Bei jemandem der so ein politischer Durchblicker ist, dass er sich von Russia Today für eine Talk-Runde als Host andient und für die Pilotfolge den Hisbollah-Cheffe Nasrallah "interviewt", glaube ich sofort, dass er ein Superheld ist, wie sie suggerieren. In einer Reihe mit den Superhelden Simonjan, Soloviow, Wagenknechova usw.

    • @Perkele:

      Wahrscheinlich wäre Assange dann tot — wie einige andere ermordete Journalisten in Russland.

      • @Arne Babenhauserheide:

        Also ist er Opportunist? Es war ihm doch auch egal, was in Afghanistan mit den Menschen passiert, die ungeschwärzt in Dokumenten auftauchen.

    • @Perkele:

      Ganz genau!

  • Wieso sollte sich eine Regierung, die keinen Finger gekrümmt hat, um irgendetwas für Assange zu tun, jetzt auch plötzlich so tun, als würde sie sich darüber freuen?

    Auch Frau Baerbock hatte Assange von Beginn ihrer Amtszeit bis nach Assanges Freilassung ja komplett "vergessen".

    • @Agarack:

      Weil er im Gegensatz zu Snowden halt kein Held ist.

    • @Agarack:

      Zumindest haben wir nichts öffentliches dazu gehört.

  • Herr Eckert, wir wissen dass die Ampel sch....e ist. Wir erleben es jeden Tag an so vielen Stellen - gerade wieder beim Abschiebung-für-Likes Fetisch von Nanny Faeser. Warum sind Sie so überrascht von der Sch...keit an dieser einen Stelle?

    • @B. Iotox:

      Wenn sie 90% Zustimmung im Volk als "Likes" bezeichnen.

      Ich nenne es Demokratie.

      • @Wonneproppen:

        Und ich nenne 90%ige zustimmung, zu was auch immer, Propagandaopfer.

        • @Jemandzuhause:

          Dann raus auf die Straße und zehn Leute fragen, ob man Mehrfachstraftäter konsequent abschieben soll. Elf sagen, "Ja natürlich! Selbstverständlich!".

  • Ist halt schwierig darüber er zu reden wenn einem die Angst im Nacken liegt dass man was falsches gegenüber den Amerikanern aussagt.

    Bringt man zu viel Freude über die Freilassung zum Ausdruck könnten die Amerikaner glauben dass unsere Politiker das Urteil gegenüber Assange als ungerecht empfinden, das kann sich Deutschland nicht leisten.

  • Dieses Schweigen sagt alles aus über sogenannte Werte.



    Ist halt schlecht mit Reden, wenn man im Hinterteil



    einer anderen Politikerklasse über dem grosden Teich steckt.

    • @M. S.:

      Sehen Sie, so unterschiedlich sind die Wahrnehmungen.

      Ich wiederum finde es völlig in Ordnung, wenn unsere Regierung nicht stets alles in der Welt kommentiert.

      Australien hat sich um seinen Staatsbürger anscheinend gut gekümmert.

      Da bräuchte es nicht noch "deutsche Werte", hätte ich gesagt.

    • @M. S.:

      Politische Unredlichkeit und Verra… pardon Aufgabe von Lippenbekenntnissen aus dem BT-Wahlkampf können unsere Ampelhelden ganz alleine. Da braucht's keine finsteren Hinter(n)männer in den USA. Die übrigens mit Assange ihren Frieden gemacht haben - sonst säße der immer noch in Belmarsh.