Rechte Kampfsportclubs: Jung, sportlich, gewaltbereit

In Deutschland breiten sich „Active Clubs“ aus – rechtsextrem und kampfsporterfahren. Wie gefährlich sind sie?

Ein maskierter Mann zeigt mit seinen Fingern das Symbol für "White Power"

Vorbild USA: Ein Mitglied der rechtsextremen Patriot Front zeigt das Symbol für „White Power“

LEIPZIG taz | Zwei weiße, junge Männer, durchtrainiert, oberkörperfrei, stehen sich im Boxring gegenüber. Ein Video zeigt, wie sie kämpfen: mit Fäusten, auf dem Boden ringend. Zum Schluss steht einer als Sieger da: Lukas Suttner, der Mann der das Team „Spartan Weiden“ repräsentiert, eine Kampfsportschule aus Weiden in der Oberpfalz.

Die Idee: Junge Männer werden über gemeinsame, sportliche Freizeitaktivitäten an die Ideologie herangeführt

Es war sein erster Kampf für das Team, vorab wurde er auf Social Media erfolgsversprechend beworben. Ein Video auf dem Instagram-Kanal des „Team Spartan Weiden“ zeigt Suttner beim Training, unterlegt mit elektronischer Musik. Er selbst kündigt mit starrem Blick in die Kamera seine Teilnahme an der „Black Forest Championship“ an. Am Ende hebt er kämpferisch die Faust.

Der 27-jährige Lukas Suttner ist kein Unbekannter, sein erster Boxkampf nicht lediglich ein harmloses Sportevent. Vielmehr sind er und sein Kampf Ausdruck einer neuen, neonazistischen Organisierungsform, die sich seit 2023 nach US-amerikanischem Vorbild auch in Deutschland ausbreitet, um einen angeblichen „weißen Genozid“ zu verhindern.

Rund ein Dutzend Clubs in Deutschland

Laut einer im Juni veröffentlichten Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke) identifiziert das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) derzeit etwa ein Dutzend Active Clubs in Deutschland, die sich in verschiedenen Regionen gegründet haben. So schreite der Ausbau dieser Strukturen „zügig voran“, während die „hohe Gewaltneigung“ der ideologischen Vordenker erheblich sei.

Doch wer sind diese ideologischen Vorgänger? Und wie groß ist das Gefahrenpotential dieser Active Clubs tatsächlich? Die taz hat sich die Struktur genauer angeschaut, mit Ex­per­t*in­nen gesprochen und Aktivitäten einzelner Akteure untersucht. Dabei zeigt sich: Die Active Clubs sind nicht nur gewaltbereit und kampfsporterfahren, sondern schon jetzt gut in Strukturen eingebunden, die über neonazistische Kreise hinaus bis hin zur AfD gehen.

Das Konzept der Active Clubs ist auf Robert Rundo zurückzuführen, einen US-amerikanischen Neonazi. Rundo sieht die Chance auf Rekrutierungserfolge einer neonazistischen Bewegung nicht im Politischen, sondern im Sportlichen. Die Idee: Junge Männer werden über gemeinsame sportliche Freizeitaktivitäten an die Ideologie herangeführt. Die Clubs sollen Teil einer „White Supremacy 3.0“ Strategie sein, die weniger explizit neonazistisch auftritt und stärker an eine Jugendkultur erinnert. Mit Erfolg: Das gemeinnützige Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) identifizierte in einem im Juni 2024 veröffentlichten Artikel“ 126 aktive Clubs weltweit.

Viel passiert auf Social Media

Die Clubs präsentieren sich insbesondere über Soziale Medien, allen voran Telegram. In Channels mit den Namen „Active Club GERMANIA“, „Active Club Taunus“, „Active Club Nordgau“ oder „Active Club Westerzgebirge“ posten sie Videos, Fotos und Artikel. Die Videos zeigen vor allem junge Männer – beim Kampfsport, in der Natur, beim Kleben rechtsextremer Sticker. Unterlegt sind sie meist mit schneller, elektronischer Musik, die Gesichter der Männer vermummt. Unverkennbar zeigen sie alle jedoch einen Idealtyp: Jung, sportlich, weiß.

„Vieles daran ist nicht neu“, sagt der Rechtsextremismusforscher Robert Claus, der sich seit vielen Jahren mit der neonazistischen Kampfsportszene beschäftigt. So würden die 'Active Clubs’ vielmehr an bereits bestehende Strukturen des militanten Neonazismus anknüpfen. „Die gewaltvolle Ideologie mit einem Hauptbezugspunkt auf ethnisch weiße Volkskörper und dem damit verbundenen rassistisch aufgeladenen Überlegenheitsgedanken ist bekannt.“ Neu seien nur Selbstinszenierung und Ästhetik, nicht aber die Ideologie.

Eine Schlüsselfigur der Struktur ist Patrick Schröder. Schröder, blond, sportlich, blaue Augen, ist seit Jahrzehnten ein in Deutschland aktiver, bekannter Rechtsextremist. Der 41-jährige war stellvertretender Landesvorsitzender der NPD. Heute sagt er, wäre er jünger, wäre er zur AfD gegangen. Mit seinem Online-TV und Radio-Format „FSN. The Revolution“, kurz für „Frei, Sozial, National“, betreibt er seit Jahren rechtsextreme Propaganda. Schröder baute außerdem das für die neonazistische Szene zentrale Kleidungslabel „Ansgar Aryan“ auf.

Der Deutsch-Russe Denis Kapustin

Das Label wurde von Schröders „Nemesis Production GmbH“ mit Sitz im oberpfälzischen Mantel betrieben, ebenso wie die Marke „White Rex“. „White Rex“ zählt zu den beliebtesten Neonazi-Marken. Gegründet wurde sie 2008 von dem deutsch-russischen Neonazi Denis Kapustin, der neben US-Ideologe Rundo als einer der Vordenker der neonazistischen 'Active Clubs’ gilt.

Das Label White Rex fungierte nicht nur als Szenemarke, sondern auch als Veranstalter von Rechtsrock-Konzerten in Russland und Sponsor von rechtsextremen Kampfsportevents wie dem inzwischen vom Verfassungsschutz verbotenen „Kampf der Nibelungen“, dem ehemals größten neonazistischen Kampfsportevent Europas. 2022 geht Kapustin in die Ukraine, um das Land gegen den russischen Angriffskrieg zu verteidigen. Ein Foto zeigt ihn aus dem Schützengraben, mit Maschinengewehr, Sonnenbrille und dem White Rex Label auf der schusssicheren Weste. Kapustin übergibt das Geschäft an Patrick Schröder, den Neonazis aus Weiden. Jedoch nicht für lange.

Im Juni 2023 übernimmt Lukas Suttner, der Kampfsportler vom ‚Team Spartan Weiden‘, die Geschäftsführung der „Nemesis Production GmbH“, zu dem neben „White Rex“ und „Ansgar Aryan“ auch die Shops „Patriotic Store“ und „Wikingerversand“ vertrieben werden. Das Sortiment: Rassistische und neonazistische Kleidung, von „White Lives Matter“ bis zu Hitler-Referenzen. Der neueste Kassenschlager: Ein T-Shirt, das einen weißen Mann mit Sonnenbrille am Strand zeigt, dazu die Aufschrift: „Remigrationsparty 2.0 Strandbar Sylt.“

Wer ist Lukas Suttner?

Suttner, der junge Kampfsportler, führt nun also die Geschäfte desjenigen, von dem die ‚Active Clubs‘ maßgeblich ausgehen. Wer ist dieser Mann?

Wie die „Autonome Antifa Freiburg“ in einem Text im Mai 2024 schrieb, ist Suttner seit vielen Jahren „Teil der Oberpfälzer Naziszene.“ Auch die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Bayern beobachtet ihn schon seit geraumer Zeit. Laut Sprecher Jan Nowak ist Suttner Teil eines „politischen Freundeskreises, der gemeinsam unterwegs ist.“

Ein Foto im Internet zeigt Suttner am 26. Oktober 2019 an einem Infostand der rechtsextremen ‚Identitären Bewegung‘, wie er mit einem Transparent der völkisch-nationalistischen Ak­ti­vis­t*in­nen posiert. Die Aufschrift: „Patrioten weichen nicht zurück.“ Neben Suttner sind noch weitere Männer zu sehen. Mindestens zweien von ihnen kann nachgewiesen werden, dass sie ebenfalls im rechtsextremen Kampfsport aktiv sind, einer davon ist Urheber zahlreicher Videos des „Active Club Nordgau.“

Kontakte mit der AfD

Doch nicht nur mit der Identitären Bewegung sind die Oberpfälzer ‚Active Club‘ Mitglieder vernetzt. Immer wieder findet man sie auch im Kontakt mit AfD-Funktionären.

Au­gen­zeu­g*­in­nen berichten der taz gegenüber, dass mindestens ein Active Club Mitglied im Jahr 2024 bei einer Veranstaltung mit dem ehemaligen AfD-Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah sowie auf Veranstaltungen der Jungen Alternative gesichtet wurden.

Ein Foto, das der taz vorliegt, zeigt Lukas Suttner und Patrick Schröder bei einer AfD-Kundgebung 2021 in Nürnberg – nebst zentralen Akteuren der Identitären Bewegung. Suttner und Schröder zeigen das rechtsextreme ‚White Power‘ Symbol und lächeln. Und später, im September 2022 zeigt ein ebenfalls vorliegendes Foto Patrick Schröder nebst AfD-Politiker Dieter Arnold als Ordner bei einer AfD-Veranstaltung in Schwandorf. Schon da trugen die rechtsextremen Aktivisten ein Transparent mit der Aufschrift „Unser Volk zuerst. Autarkie – Souveranität – Remigration.“ Ein Augenzeuge bestätigt der taz gegenüber, Schröder und Arnold hätten sich „vertrauensvoll umarmt.“ Arnold sitzt seit 2023 für die AfD im bayrischen Landtag.

Der verlängerte Arm in die Politik

Und erst im Oktober 2023 zeigte sich Suttner im vertrauten Gespräch mit einem IB-Aktivisten und Reinhard Mixl, einem AfD-Stadtrat und Landtagskandidaten aus Schwandorf, Bayern. Auch das zeigt ein Foto, das der taz vorliegt. Zudem liegen der taz Fotos vor, die den AfD-Politiker Alexander Bock vom Kreisverband Weiden zeigen, wie er für Neonazi Patrick Schröder Inhalte für dessen Kanal filmt.

Es ist Teil der Strategie der 'Active Clubs’, die AfD als verlängerten Arm in die parlamentarische Politik zu nutzen. In der neuesten Ausgabe der rechtsextremen Zeitschrift „NS Heute“ vom Mai/Juni 2024 schreibt Patrick Schröder in einer Titelgeschichte über die 'Active Clubs’ als „Ausweg“ für den „Nationalen Widerstand.“ Schröder konstatiert, dass die Szene seit Jahren keine „zielführende Strategie“ habe – und formuliert die 'Active Clubs’ als Lösung für dieses Problem.

Im Text heißt es, die AfD dominiere den realpolitischen Bereich, wodurch auch Themen „im Mainstream verankert [werden], die noch vor kurzem niemand in den Mund nehmen durfte.“ Laut Schröder ein Zeichen dafür, dass es „insgesamt eigentlich gar nicht so schlecht“ laufe. Er schreibt, viele seien „mit neurechten oder AfD-Gruppen im Austausch oder arbeiten im Hintergrund an Projekten mit.“ Die Jugendlichen, die bei einer Landtagswahl AfD wählen, bezeichnet er als „theoretisch ansprechbare Zielgruppe.“

Über Freizeit zum Aktivismus

Gleichzeitig konstatiert Schröder, dass das eigene Lager – vermutlich meint er kampfsportaffine Neonazis – darin „etwas hinten runter“ fällt. Die Lösung: 'Active Clubs’ als „Kontrakultur-Projekt“, das über Freizeitaktivitäten junge Männer an den Aktivismus heranführt. In einem 20-Punkte-Plan arbeitet Schröder die Strategie der Struktur heraus, die neben Tipps zum unverfänglichen Namen („Bitte nennt Euch nicht Aryan Terror Brigade Active Club“, sondern eher „Alpine Active Club“) oder der Art des Aktivismus („darf ruhig etwas aggressiver sein“) auch Erwartungen an die AfD formuliert.

So sieht Schröder die 'Active Clubs’ als „Vorfeldarbeit einer AfD“ und erwartet dementsprechend auch, dass diese „die Parlamentskohle“ ebenso wie Räume zur Verfügung stellen sollte. Die Hoffnung: „Eine neue Jugendkultur hätte die Möglichkeit, konkurrenzlos in unserem Lager zu sein und zum Beispiel im späteren Verlauf AfD-Infostände abzusichern.“

Die Formulierung Schröders lässt vermuten, dass diese Erwartungen an eine strukturelle Unterstützung durch die AfD noch nicht erfüllt sind. Aber: Die Kontakte gibt es bereits. Und der Verfassungsschutz erwartet einen „zügig voranschreitenden Ausbau von Strukturen.“

Aktiv in ganz Deutschland

Aktiv sind die Clubs in ganz Deutschland – zum Beispiel in Berlin, wo sie sich mit der Jugendorganisation der neonazistischen Partei „III. Weg“ verbünden, in Rheinland-Pfalz, wo der harmlos klingende „Freundeskreis Westerwald“ bereits im Blick des hessischen Verfassungsschutz ist, oder in Baden-Württemberg, wo der Landes-Verfassungsschutz vor einem Anstieg rechtsextremer Kampfsportgruppen warnt.

Immer wieder finden sich auch Verbindungen zwischen der neonazistischen Kampfsportszene und der AfD. So zum Beispiel bei der Jungen Alternative (JA) Schleswig-Holstein, die am rechtsextremen „Tag der Ehre“ im Bundapest teilnahm und Mitglieder über Kampfsport rekrutiert. Von Schröder wird die JA Schleswig-Holstein als Positivbeispiel herangezogen. Und auch in Sachsen hat sich die rechtsextreme Kampfsportszene fest lokal verankert – sogar im Stadtrat als Partner der AfD.

Die dezentrale Organisierung über Telegram ermöglicht es den Gruppen, schnell zu wachsen und sich schnell zu verbreiten. Zum Vergleich: In den USA wuchs die Anzahl der Gruppen 2023 laut einer Studie des Counter Extremism Project (CEP) innerhalb von vier Monaten um 50%. Der Direktor des CEP, Hans-Jakob Schindler, warnte in einem Interview mit t-online kürzlich auch vor einer Gefahr durch die ‚Active Clubs‘ bei der derzeit laufenden Fußball-Europameisterschaft der Männer.

Militante Szene

Rechtsextremismus-Experte Robert Claus sagt, dass viel davon abhänge, ob die ‚Active Clubs‘ es schaffen, noch stärker die Brücke zu anderen Formen der extremen Rechten zu schlagen – also beispielsweise zur Identitäten Bewegung und der Jungen Alternative. Und davon, ob sie eine Organisationsstruktur finden, die sich von Verboten freihalten kann. Die Versuche dazu gibt es, ganz eindeutig als Strategie von Schröder formuliert. Claus sagt jedoch auch, dass die Erfolgschancen mit Patrick Schröder als informelle Leitung des Projektes „eher gering“ ausfielen. Zu umstritten sei dieser in der Szene, zu sehr habe er an Einfluss verloren.

Die ‚Active Clubs‘ seien vor allem ein Versuch, eine Krise der neonazistischen Organisierung zu überwinden. „Diese Personen kommen aus einer militanten Kameradschaftsszene“, sagt Claus. „Aber am Ende sind es die gleichen Leute, die versuchen, sich unter neuem Label zu reorganisieren.“ Ernst nehmen, das betont auch Claus, müsse man die Akteure trotzdem.

Lukas Suttner scheint es jedenfalls ernst zu meinen. In einer Chat-Nachricht, die der taz vorliegt, bedroht er einen Mann, der sich in einem lokalen Demokratiebündnis engagiert. Er nennt ihn einen „ehrenlosen Bastard“ und fordert ihn zum Kampf auf: „1 vs 1 Bareknuckle, was sagst du dazu?“

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