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EU-Beitrittsgespräche mit der UkraineVerhandlungen mitten im Krieg

Die EU nimmt Beitrittsgespräche mit Moldau und der Ukraine auf. Das Datum ist bewusst gewählt, denn in Kürze drohen politische Turbulenzen.

Im Ministerkabinett Kyjiw Foto: Philipp von Dithfurth/dpa

Brüssel/Luxemburg taz | Für die einen ist es ein historisches Ereignis, für die anderen ein riskanter Sprung ins Ungewisse: Am Dienstag hat die EU die lange umstrittenen Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und Moldau aufgenommen. Am Nachmittag trafen sich Vertreter der EU-Kommission, des Ministerrats und der beiden Kandidatenländer in Luxemburg, um die so genannte Beitrittskonferenz zu eröffnen.

Das Datum des Treffens war mit Bedacht gewählt: Kurz nach der Europawahl. Zum einen um keine Wähler zu verschrecken, die Zweifel an der geplanten großen Erweiterungsrunde haben könnten. Und zum anderen fand der Termin kurz vor dem ungarischen EU-Vorsitz statt, der am 1. Juli beginnt. Damit wollte man Regierungschef Viktor Orbán die Möglichkeit nehmen, die Beitrittsgespräche zu verschleppen oder gar zu torpedieren.

Aus Sicht der Ukraine kommt der Start allerdings schon sehr spät. Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte seinen Landsleuten einen „Blitz-Beitritt“ versprochen, um sie angesichts des russischen Überfalls zu motivieren. Daraus wurde nichts. Denn Kyjiw erfüllte zunächst weder die Kopenhagener Kriterien, die für alle Beitrittskandidaten gelten, noch die eigens für das Land formulierten „Prüfsteine“ der EU-Kommission.

Von sieben Tests wurden Ende 2023, als der EU-Gipfel grünes Licht gab, nur vier bestanden. Vor allem die enorme Korruption stand schnellen Verhandlungen im Wege. Probleme gab es auch mit den früher allmächtigen Oligarchen und nationalen Minderheiten. Die Brüsseler Vorgaben seien in den letzten Monaten erledigt worden, sagt die EU-Kommission nun. Allerdings müsse man noch an der Umsetzung arbeiten.

Verhandlungen mitten im Krieg

Da bleibt wohl noch einiges zu tun, vor allem bei der Korruption. Und die Kopenhagener Kriterien sollen, folgt man dem Chefsprecher der EU-Kommission, nun erst am Ende der Verhandlungen erfüllt werden – und nicht schon zu Beginn, wie früher üblich. Anders wird es auch kaum gehen, wenn man sich die Probleme ansieht, die zu einem Gutteil – aber nicht nur – dem Krieg geschuldet sind.

Kann man mit einem Land im Krieg überhaupt über den Beitritt verhandeln? Dies ist eine der vielen Fragen, die nun geklärt werden müssen. Unklar ist auch, ob die EU auf den Beitritt der Ukraine, Moldaus und der Länder des Westbalkans überhaupt vorbereitet ist. Auch das wird sicher noch ein Thema in Brüssel sein.

Zunächst haben die Unterhändler aber nur den Rahmen abgesteckt und Leitlinien diskutiert. Zu echten Verhandlungen ist es noch nicht gekommen, es war eher ein gegenseitiges Abtasten. Wann das erste der insgesamt 35 Verhandlungskapitel eröffnet wird, ist ohnehin unklar. Optimisten sprechen von ein paar Wochen. Pessimisten vom nächsten Jahr.

Brüssel und Berlin sind optimistisch

Denn jedes Mal, wenn ein Kapitel eröffnet oder abgeschlossen werden soll, müssen alle 27 EU-Staaten zustimmen. Orbán kann dies mit seinem Veto verhindern und so die Beitrittsgespräche blockieren. Das Ganze sei „ein rein politisch motivierter Prozess“, so formulierte es Orbán. Er ist sich offenbar seiner Macht bewusst.

In Brüssel und Berlin gibt man sich dennoch optimistisch. „Heute ist ein historischer Tag für Europa“, sagte Europastaatsministerin Anna Lührmann. Die Eröffnung der Verhandlungen sei eine gute Nachricht für die Menschen in der Ukraine, in Moldau und in der gesamten EU, erklärte die noch amtierende EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Der vor uns liegende Weg wird anspruchsvoll, aber auch voller Chancen sein.“

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7 Kommentare

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  • Für die Struktur der EU ist es bezeichnend, dass zwar Ministerrat und Kommission Vertretungen zur Beitrittskonferenz schicken, aber nicht das EU-Parlament.

  • Ich bin nicht gegen die Aufnahme der Ukraine in die EU. Dies wäre vielleicht in 20 bis 40 Jahren eine Option.

    Von der momentanen giergetriebenen Aufnahme würden vor allem westliche Konzerne, die sich umso billiger in der Ukraine einkaufen können, je länger der Krieg dauert, profitieren sowie Oligarchen, die einen hohen Prozentsatz möglicher Subventionen einstreichen werden.

    Die Ukrainischen Bauern werden mit den westlichen Agrarkonzernen kaum konkurrieren können, wenn sie aus dem Krieg zurückkommen.

    Im EU-Assoziationsabkommen hat die Ukraine bereits der Zulassung gentechnisch veränderter Getreidesorten zugestimmt.



    Ein Türöffner für Europäische und Amerikanische Agrarkonzerne die sich zunehmend Agrarland sichern.

    Das Prinzip ist immer gleich. In Brasilien konnte man sich z.B. vor einigen Jahren im Nordosten für 10.000 Dollar eine Insel kaufen. Für den armen lokalen Verkäufer eine unermesslich hohe Geldsumme, von der er dachte, er könne davon ein Leben lang gut leben.

    Ähnlich auch die Wende, nach der sich Westdeutsche in Ostdeutschland billig eigekauft haben. Die Ostdeutschen hatten auch nicht das relativ wenige Geld zur Hand, um in irgendwas zu investieren.

    Jetzt die Ukraine.

  • Ich finde es unfair den Menschen in der Ukraine falsche Hoffnungen zu machen und so zu versuchen die Kampfmoral zu erhalten. Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass es einen einstimmigen Beschuss zur Aufnahme der Ukraine geben wird? Die meisten Nehmerländer haben kein Interesse ein Geberland zu werden.

    • @Alexander Schulz:

      Da haben Sie den Sinn der EU aber nicht verstanden ...

  • Oder anders ausgedrückt: Das Volk, der Lümmel soll nicht abstimmen über essentielle Dinge.



    Die Ukraine in die EU zu nehmen würde diese massiv verändern.



    Sollte gut überlegt werden.

  • Das ist unverantwortlich!

    • @M. S.:

      Wieso? Weshalb? Warum?