piwik no script img

Bremer FDP wirbt für Pyro-PilotversuchGelber Rauch überm Rasen

Weil Verbote eh nicht richtig wirken: Die Bremer FDP schlägt vor, Pyrotechnik im Fußballstadion zu erlauben – kontrolliert und in engen Grenzen.

Kontrolliert, legal und ein Vorbild für die FDP-Idee: Vor einem Spiel des HSV gegen den Karlsruher SC wird Pyrotechnik abgebrannt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Hamburg taz | Das Timing war fast perfekt: Von der „derzeit“ großen Begeisterung – dank Uefa-EM – konnte die Bremer FDP-Bürgerschaftsfraktion schwärmen, als sie am 13. Juni einen Antrag formulierte, der auch mit Fußball zu tun hat: „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“ ist er überschrieben, und die Liberalen fordern darin ein „Pilotprojekt zur kontrollierten Anwendung im Stadion“: In engen Grenzen soll das Abbrennen von Bengalischem Feuer oder Rauchtöpfen ermöglicht werden, nicht aber das Zünden von Böllern oder Leuchtraketen. „Die Stimmung in den Stadien, auch erzeugt durch Pyrotechnik, ist Teil der Faszination Fußball“, so die Verfasser des Antrags, darunter Ole Humpich, sportpolitischer Sprecher der Fraktion.

Neben Begeisterung für das Spiel und die Fankultur steht dahinter auch Pragmatismus: „Wir haben in der Vergangenheit in den Fußballstadien gesehen, dass man es nicht verboten bekommt“, sagt Humpich der taz. „Es wird immer wieder Pyrotechnik gezündet, und durch diese illegale Pyrotechnik werden Personen im Stadion, auch Familien, potenziell gefährdet.“

Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) ahndet solche Vorfälle mit Geldstrafen, deren Höhe von der Spielklasse abhängt: Das Abbrennen eines Pyros kostet einen Drittligisten 350 Euro, einen Erstligisten 1.000 Euro. Wohlgemerkt: Die eigentlichen Übel­tä­te­r:in­nen sind dabei Stadionbesucher*innen, nicht notwendigerweise auch Mitglieder der haftenden Vereine.

Im März vergangenen Jahres beliefen sich die Pyro-Strafzahlungen in den drei deutschen Profi-Fußballligen zusammen auf immerhin 440.000 Euro – gegenüber 150.000 Euro im März 2019, also vor Corona. Gerade erst, laut Meldung vom 21. Juni, musste der VfL Wolfsburg stolze 63.000 Euro zahlen „wegen drei Fällen eines unsportlichen Verhaltens seiner Anhänger“. Werder Bremen musste Ende Mai 20.000 Euro entrichten, nachdem im März ein Fan „mindestens 20 pyrotechnische Gegenstände“ abgebrannt hatte.

Vorreiter Norwegen

In Norwegen ist künftig bei einigen Fußballspielen ausgewählte Pyrotechnik erlaubt. Die Ausnahme für Fackeln und Rauchdosen wird für die Spielzeiten 2024 und 2025 in einem Versuchsprojekt gewährt, wie die norwegische Regierung mitteilte.

Fackeln und Rauchdosen sind auf den Tribünen von Norwegens 1. und 2. Liga erlaubt, solange sie ordnungsgemäß verwendet werden.

Der Chef der Fanvereinigung Norsk Supporterallianse, Anders Kjellevold, begrüßte die Entscheidung: „Das ist ein großer Durchbruch! Darauf haben wir viele, viele Jahre lang hingearbeitet. Nach dem, was ich gesehen habe, ist es eine Vereinbarung, die meiner Meinung nach für die Fans bei den Spielen sehr gut funktionieren wird“, sagte er dem norwegischen Sender TV2.

Neben diesen Sanktionen durch die DFB-eigene Sportgerichtsbarkeit können Zünd­le­r*in­nen aber auch vor richtigen Gerichten landen – etwa wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. „Für die Frage der Strafbarkeit“, so die Göttinger Jura-Doktorandin Katharina Reisch unlängst im Magazin „Legal Tribune Online“, „kommt es stark darauf an, welche Art von Pyrotechnik in welchem konkreten Setting wie verwendet wird.“ Auch Ole Humpich sagt, man müsse „unterscheiden zwischen Pyro und Pyro: Was nicht unter das Sprengstoffgesetz fällt, darf genutzt werden – und was darunter fällt, nicht.“

Pilotversuche, wie sie seine Fraktion fordert, ermöglichen in Frankreich und Skandinavien das Abbrennen von Pyrotechnik unter strengen Auflagen. Auch im Hamburger Volksparkstadion ist das ausprobiert worden: 2020 bei einem Zweitliga-Spiel des HSV gegen den Karlsruher SC. In ihrem Antrag verweist die FDP auf das Vorbild Chemnitz: Dort hatten sich der Chemnitzer FC, Fans, Polizei und Ordnungsamt abgestimmt, und beim Einlaufen der Mannschaften wurde vor dem Block der Chemnitzer Ultras Bengalisches Feuer „gemäß den gesetzlichen Vorgaben kontrolliert“ abgebrannt.

Seit der Premiere im Jahr 2010 sei dieser „Chemnitzer Weg“ weiterentwickelt worden, schreiben die FDP-Abgeordneten. Heute sehe das Konzept einen „abgesperrten Bereich“ im Fanblock vor, die feste Zuweisung von Verantwortung, die exklusive Nutzung von Rauchfackeln, die nicht unter das Sprengstoffgesetz fallen, sowie klare Zeitpunkte „vor oder nach dem Spiel“, um dessen Ablauf nicht zu beeinflussen.

„Wenn man den Leuten eine Möglichkeit gibt, Pyrotechnik an bestimmten Stellen vernünftig abzubrennen“, sagt Humpich, „vielleicht auch in bestimmten Zeitfenstern: Dann machen sie mit, weil sie sich dieses Angebot nicht verscherzen wollen.“ Den Bremer Senat fordert die FDP nun dazu auf, „mindestens sechs Pilotaktionen“ nach Chemnitzer Vorbild in Bremens Profi-Stadien zu planen und durchzuführen. Dies solle wissenschaftlich begleitet werden, nach spätestens neun Monaten sollen die Deputationen für Inneres sowie für Sport Bericht erstattet bekommen.

Der DFB erklärt auf taz-Anfrage: „Die von pyrotechnischen Erzeugnissen ausgehenden gesundheitlichen Gefahren sind teilweise nicht ausreichend bekannt. Insbesondere bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung, wie sie leider auch in vollbesetzten Stadionrängen zu sehen ist.“ Bereits gemachte „Erfahrungen mit dem kontrollierten, behördlich genehmigten Abbrand von Pyrotechnik im Fußballkontext zeigen, dass es eines hohen Abstimmungsbedarfes zwischen Veranstalter, involvierten Behörden und Fans bedarf“. Nach einem kategorischen Nein klingt das zumindest nicht.

Der Innensenator ist skeptisch, Werder aufgeschlossen

Skepsis signalisiert derweil das Ressort von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). Und Werder Bremens Geschäftsführerin Sport und Nachhaltigkeit, Anne-Kathrin Laufmann, teilt mit: „Grundsätzlich stehen wir Alternativen, Ideen und Projekten aufgeschlossen gegenüber. So ein Pilotprojekt gilt es allerdings im Vorfeld mit allen relevanten Protagonisten abzustimmen und zu prüfen.“

Nun ist die FDP ohnehin in der Opposition, in Bremen regiert eine rot-rot-grüne Koalition – welche Aussicht auf Erfolg rechnet Humpich sich da aus? „Die Jüngeren aus der Regierungskoalition signalisieren uns schon, dass sie sich das gut vorstellen können“, sagt er. „Jetzt müssen wir natürlich schauen, was dabei hinten rauskommt und ob ihm dann tatsächlich zugestimmt wird.“ In der Bürgerschaft beraten werden könnte der Antrag am 21. August – zwei Tage später beginnt die Bundesliga-Saison 2024/25.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • Dieses Argument "weil Verbote nicht wirken" (so ach bei Cannabis) kann ich nicht nachvollziehen.

    Wenn dies ein zulässiges Argument sein sollte, dann müsste man als erstes jede Tempobeschränkung aufheben. Diese wirken wirklich nicht.

    • @DiMa:

      "Weil Verbote nicht wirken" ist auch eine verkürzte Darstellung eines komplexeren Prozesses.



      Zunächst einmal muss ein Verbot begründet sein. Im Beispiel der Pyros dürfte der wesentliche Grund (zumindest wird es so vermittelt) der Schutz von Leben und Gesundheit von Fans sein, die sich in der Umgebung der Pyroanwender befinden. Grundsätzlich nachvollziehbar.



      Dann muss ein Verbot geeignet sein, das Ziel zu erreichen. Angesichts der Tatsache, daß es nicht gelingt, das Verbot umzusetzen, wird das Eis schon dünner.



      Und dann sollte ein Verbot eine "ultima ratio" sein, und mildere Mittel keine Alternative darstellen. Das kann man hier schon in Frage stellen.

      Das Konzept, ausgewählten Personen in ausgewählten Bereichen das Abbrennen von Pyros zu ermöglichen, ist klar einen Versuch wert. Es erhöht die Sicherheit der sonstigen Besucher und hat das Potenzial, innerhalb der entsprechenden Fanszenen "Gruppendruck" aufzubauen, Pyros eben nicht mehr mitten im Block zu zünden. Damit wäre mehr gewonnen, als sich auf "Es ist verboten" zu versteifen, das Verbot aber offenkundig nicht durchsetzen zu können.

      • @HaMei:

        Sowohl bei den "Pyros" als auch bei den - zuzegebener Maßen willkürlich benannten Rasern geht es um den Schutz des Lebens und der Gesundheit, richtig?

        Nur wer wird sich wohl an Beschränkungen halten, ausgewählte Bereiche zu nutzen, wenn es das schon vorher nicht gemacht hat?

        • @DiMa:

          Wenn bestimmte Fan-Gruppen der Meinung sind, dass Pyro ganz unbedingt zur Stadionatmosphäre dazu gehört, dann machen sie es halt auch illegalerweise im Block. Gibt dann ja nur die Auswahl zwischen „Gar kein Pyro“ und „Illegales Pyro“. Wenn aber „geregeltes Pyro“ als neue Option auf dem Tisch liegt, wird die die Legitimität von „Illegales Pyro“ sowohl nach innen, als auch nach außen (bezogen auf die „Szene“) sehr viel geringer. Ergo könnte man guten Mutes darauf hoffen, dass illegales Pyro dann nur noch von ein paar wirklich wenigen Renitenten abgebrannt wird.

    • @DiMa:

      Wer soll die Einhaltung der Verkehrsregeln durchsetzen, wenn die Polizei ihre Kapazitäten bei Fußballstadien und Demos aufbraucht?



      Auf anderen Gebieten sieht nicht besser aus.

  • Wieso nicht bei Musik-Equipment-Verleihs "dicke" Nebelmaschinen ausleihen, wenn es doch scheinbar nur auf den "Rauch" und "Nebel" ankommt?

    Sarkastische Frage von jemanden, der noch nie verstanden hat, warum man seine Freude unbedingt durch Schüsse in die Luft oder "Pyro" ausdrücken muss - Emotion kann man auch ganz anders zeigen!

    • @Achim Schäfer:

      Es kommt nicht "nur" auf Rauch und Nebel an, es geht um Selbstdarstellung und Pöbeln, am liebsten möglichst rüpelhaft und vorzugsweise illegal.

  • Sucht die FDP jetzt Wählerstimmen bei den Pyrotechnikern? Wie verzweifelt muss man sein...

    • @Frank N. Stein:

      Wer jetzt noch nicht erkannt hat, was die FDP drauf hat, erkennt wirklich nichts mehr.



      Aber hoffentlich hat sich das in einem Jahr von selbst erledigt. Andere mit mehr Stimmen machen mir mehr Sorgen, obwohl das FDPchen weiß Gott genug Unheil angerichtet hat. Aber eine Demokratie muss anscheinend auch eine Splitterpartei mit unverständlicherweise viel Einfluss aushalten.