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Start der Labour-RegierungDie Briten sind wieder da

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Keir Starmers Regierung ist im Amt und macht sich direkt an die Arbeit. Sie hat sich einiges vorgenommen. Nur den Brexit sollte sie nicht rückabwickeln.

Die erste Kabinettssitzung in der Downing Street 10 Foto: Chris Eades/The Sun/dpa

G roßbritanniens neue Labour-Regierung verschwendet keine Zeit. Schon am Tag nach seinem Amtsantritt gibt es klare Worte vom neuen Premierminister Keir Starmer und vom neuen Außenminister David Lammy. Der Ruanda-Flüchtlingsdeal ist „tot“. Mit Europa gibt es einen „Reset“. Der Außenminister fliegt schon am ersten Tag im Amt nach Berlin. Die Briten sind wieder da.

Es geistert jetzt in Europa eine gefährliche Versuchung herum: Könnte Großbritannien vielleicht den Brexit rückgängig machen? Nichts wäre fataler als dieses Gedankenspiel. Labour hat in seinem Wahlprogramm einen Wiederbeitritt zur EU oder auch nur zu Binnenmarkt oder Zollunion kategorisch ausgeschlossen, nicht nur jetzt, sondern auch in der Zukunft. In Umfragen gibt es mehrheitlich Kritik am Brexit, aber keine Mehrheit für einen Wiederbeitritt. Jetzt will man das Verhältnis zur EU besser gestalten: mehr Freizügigkeit, weniger Handelsbürokratie.

Daran sollte gearbeitet werden. Aber jede auch noch so hauchdünne Suggestion, den Brexit insgesamt aufweichen zu wollen, würde die Geister wecken, die nur darauf warten, Labour Wählertäuschung und Verrat vorwerfen zu können. Es würde die britische Rechte stärken, Labour in die Defensive drängen, Großbritannien zerreißen und die EU von den eigentlichen Problemen ablenken.

„Reset“ mit Europa

„Die oberste Pflicht jeder Regierung ist Sicherheit und Verteidigung“, sagte Keir Starmer bei seiner ersten Pressekonferenz am Samstag. Der neue Außenminister hat das russische Putin-Regime nach seinem Amtsantritt als Faschismus gebrandmarkt, sich zur Ukraine bekannt und besucht jetzt als Erstes Deutschland, Polen und Schweden. Das ist ein klares Signal der Entschlossenheit kurz vor dem Nato-Gipfel in den USA, auf den ein Europagipfel in Großbritannien folgen wird. Es geht London um nicht weniger als eine neue europäische Sicherheitsarchitektur.

Darüber hinaus verspricht die neue Labour-Regierung nicht nur einen „Reset“ mit Europa, sondern auch einen „Reconnect“ mit dem „globalen Süden“, der den Briten in vieler Hinsicht näher steht. Außenminister David Lammy stammt aus Guyana, Justizministerin Shabana Mahmood aus Kaschmir. Bei den Tories stammte Premierminister Rishi Sunak aus Indien, Handelsministerin Kemi Badenoch aus Nigeria, Innenminister James Cleverly aus Sierra Leone, um nur einige zu nennen.

Von der britischen Multikulturalität und Weltoffenheit kann Europa lernen. Eine humanere Flüchtlingspolitik auf beiden Seiten des Ärmelkanals und eine bessere Akzeptanz von Migration? Das wäre ein „Reset“ für Europa, der den Namen verdient.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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14 Kommentare

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  • Der Brexit war wohl die dümmste politische Initiative sich selbst ins Knie zu schiessen seit der Geburt von Jesus Christus. An dieser Diskussion festzuhalten ist ungeeignet Brexitschäden zu heilen.

    Das politische Bild in ganz Europa ist differenzierter als es düstere Berichte über den vordringenden Faschismus zeichnen. Selbst wenn die liberale Mitte hält, wirkt sie defensiv. Sie appelliert an Werte und Normen einer westlichen Nachkriegsordnung, die aber in Bezug auf zukünftige materielle Verbesserungen nicht viel verspricht. Niemand hat bislang einen Weg gefunden, rechte Extremisten zu stoppen -- oder sie zu mäßigen.

    Nach Jahren des rechtsradikalen Aufruhrs in UK mit einer destruktiven Trump ähnlichen Politik unter den Tories kehrt UK auf die Weltbühne zurück -- mit einer sozialdemokratischen Mitte-Links-Regierung, welche die Partei und das Parlament kontrolliert.

    UK hat sich über Nacht von einer Fallstudie politischer rechtsgerichteter Dysfunktion in ein Labor für demokratische Rehabilitation verwandelt.

    Da mal näher hinzuschauen -- möglichst noch vor den Wahlen in den 3 Bundesländern - wäre ein konstruktiver Schritt in die Zukunft.

  • Corbyn hat den Brexit mitverschuldet, Starmer tackert ihn fest. Was gibt's da zu feiern?

  • Brexit-Rückabwicklung? Niemand in der EU will das. Nur weil es jetzt eine neue Regierung gibt, sind die Briten nicht plötzlich Europäer.

    • @Kurt Kraus:

      Ich fände es gut, wenn es verlässlich wäre. Aus pragmatischen Touristengründen, aber auch, weil selbst die etwas ex-zentrische Position des UK uns bereicherte und weil man es den Schotten gönnen würde.

      • @Janix:

        Es ist aber nicht verlässlich, das ist doch der Punkt. Selbst EU-Befürworter in Grossbritannien sehen die EU nur als vorteilhaftes Wirtschaftsprojekt. Das reicht nicht.

  • Es ist schon beeindruckend, wie die gute Nachricht des Wahlerfolgs durch labour nun von weiteren schönen Überraschungen ergänzt wird.



    Der Besuch des neuen Außenministers in Berlin ist so ein gutes Zeichen.



    Es ist klar, dass der Brexit kein Thema ist.



    War eine dumme Idee, das sehen sicher mittlerweile auch viele BritInnen so, ist aber ein unlösbares Inage Problem. Die Arbeiterpartei hat sich offenbar vorgenommen, zh arbeiten,und das ustt auch gut so .



    Die tories haben eindn Scherbenhaufen hinterlassen und das nicht nur, eue üblich , im Sozialbereich, sondern in der gesamten Wirtschaft, die ja angeblich Ihre Kompetenz sein soll .



    Der Wechsel ist eine der guten Nachrichten der letzten Zeit - wie schön!

  • Warum sollte man den Brexit nicht rückgängig machen? Er war idiotisch!

    Ich erzähle dazu gerne die Geschichte des "ersten Brexits" im Jahre 409 n. Chr.: In diesem Jahr taten sich die keltisch-britischen Provinzfürstchen zusammen, um ihren Ausstieg aus dem Römischen Reich zu beschließen. Die Römer sind dann tatsächlich im Jahr 410 n. Chr. gegangen (naja, wahrscheinlich nicht alle ...). Leider hatten die Briten auch damals übersehen, wie sehr die damalige britische Wirtschaft von der römischen abhing. Die Folge war ein wirtschaftlicher Niedergang ohnegleichen. Da es den Skoten (Schotten) noch schlechter ging, kamen sie immer wieder gen Süden, um die Briten zu berauben. Dagegen fiel den Briten nur ein, die Angelsachsen zu Hilfe zu holen. Letztere fanden Britannien ganz nett und übernahmen es einfach. Durch die Invasion der Normannen kamen 1066 neue Herren nach Britannien, die sogar dieses merkwürdige normannische Französisch mitbrachten, aus dem sich recht schnell das Englische entwickelt hat. Irgendwann ging es auch mit der Wirtschaft wieder bergauf, der Seefahrt sei Dank!

  • Aus den Artikel spricht die erste Euphorie. Wir werden sehen was Labour machen wird und was nicht und ob der Optimismus berechtigt gewesen sein wird.

  • "Nur den Brexit sollte sie nicht rückabwickeln"



    Nein, sollten wir auch gar nicht zulassen. Man kann seinen Teller nicht jeden Tag in die Richtung tragen, in der einem das Essen am besten passt. In 10 Jahren können wir vielleicht mal wieder darüber reden, falls es diese EU da überhaupt noch gibt.

  • Nachdem die Brexit-Diskussion nützlich war, das Corbyn-Lager zu schwächen, muss am EU-Austritt nicht länger gerüttelt werden, da schließlich die Establishment-Figur Starmer gesiegt hat. Natürlich wird die transantlantische Konfliktbereitschaft feierlich hochgehalten, was Dominic Johnson besonders freut. Aus der Perspektive der britischen Bevölkerung freilich darf man weniger enthusiastische Artikel erwarten.

    • @Katev :

      Wer hat denn mit der Brexit-Diskussion das Corbyn-Lager schwächen müssen?

      Das ging ganz von selbst, als Corbyn erst als klassischer Remainer aufgetreten ist, dann aber Forderungen nach einem zweiten Referendum (beispielsweise über das extrem ungeliebte Austrittsabkommen statt über der Brexit allgemein) innerhalb Labour boykottiert (um nicht zu sagen sabotiert) hat, um am Ende auf dem Parteitag in Brighton 2019 wegen der Spaltung von Partei und Bevölkerung in dieser Frage irgendwo zwischen "undecided" und "neutral" herumzueiern. "Everybody's darling heißt everybody's Depp" wie Franz-Josef Strauß mal angemerkt hat.

      Dass Starmer, der ja für das zweite Referendum war, Partei und Regierung (und letztlich das ganze Land) nicht schon wieder jahrelang durch solche Diskussionen lähmen will, ist erstmal konsequent - und kann mit dem schönen englischen Wort 'realpolitik' beschrieben werden.

    • @Katev :

      "Nachdem die Brexit-Diskussion nützlich war, das Corbyn-Lager zu schwächen,"

      Wie das?

  • "Aber jede auch nur so hauchdünne Suggestion, den Brexit insgesamt aufweichen zu wollen, würde die Geister wecken, die nur darauf warten, Labour Wählertäuschung und Verrat vorwerfen zu können. Es würde die britische Rechte stärken, Labour in die Defensive drängen, Großbritannien zerreißen und die EU von den eigentlichen Problemen ablenken."

    Meine Güte, ey.

    Ich kann es ehrlich gesagt nicht mehr lesen, dass man sich bloß nicht bewegen soll, weil dann die rechten Körperfresser kommen und alles vernichten.

    Wen interessieren die?

    Macht Politik, die richtig ist! Und wenn der Wiederbeitritt richtig ist, dann macht das! Schert Euch nicht um Rechte!

    Die machen ihr Ding. Wir machen unser Ding. Und wenn die irgendwann mehr Stimmen kriegen, dann ist das halt so. Bis dahin sollte man wichtige und richtige Änderungen nicht aus Angst verhindern.

  • "Bei den Tories stammte Premierminister Rishi Sunak aus Indien, Handelsministerin Kemi Badenoch aus Nigeria, Innenminister James Cleverly aus Sierra Leone, um nur einige zu nennen."

    Merkwürdig diese Aufzählung in diesem Zusammenhang. Weder haben die zu den superduper Handelsabkommen geführt noch zu einer besseren Akzeptanz von Migration.