Klimawandelbuch von Soziologe Beckert: Die 2,5 Grad im Rücken

Der Soziologe Jens Beckert dämpft mit „Verkaufte Zukunft“ etwaige Erwartungen, menschengemachten Klimawandel rechtzeitig in den Griff zu bekommen.

Hochwasser zwischen Einfamilienhäusern.

Hochwasser im Juni im bayerischen Reichertshofen Foto: Maximilian Mann für Zeit online/laif

An einer Stelle findet Jens Beckert deutliche Worte: Der Klimawandel sei „das größte Staatsversagen aller Zeiten“, schreibt der Kölner Soziologe. Auch, dass die vollständige Abkehr von fossilen Energieträgern in den nächsten Jahrzehnten mehr als unwahrscheinlich ist, merkt er nüchtern an – 700 neuen deutschen Windrädern im Jahr 2023 zum Trotz.

Beckert, das wird schnell ersichtlich, ist kein großer Revolutionär, sein Buch kein Aufruf zum Systemsturz. Seine Programmatik erklärt er mit Walter Benjamin: Er will helfen, den Pessimismus zu organisieren.

Wir leben in einer eher innovationsarmen Zeit. Wie US-Kulturanthropologe David Grae­ber einmal festhielt, wird die Visionslosigkeit angesichts des Kampfes gegen den Klimawandel heute besonders offenbar, stellt man ihr Meilensteine wie die Gründung der Vereinten Nationen oder die Mondlandung gegenüber.

Dem Bewährten verschrieben

Eine große Anzahl an Menschen, so ist man auch hinsichtlich der Wahlerfolge von Rechtspopulisten weltweit geneigt zu konstatieren, ist ohnehin nicht so fürs Neue, sondern hat sich dem Bewahren verschrieben. Oder möchte am liebsten den Rückwärtsgang einlegen.

„Verkaufte Zukunft, Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht“ von Jens Beckert, Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 238 Seiten, 28,00 Euro

Die Unfähigkeit, sich die Zukunft als etwas anderes als eine leicht veränderte Gegenwart mit Sci-Fi-Anstrich vorzustellen, kritisiert auch Beckert. Gegen jeden Sachverstand, schreibt er, werde der ökonomische Egoismus – mehr Konsum, mehr Fleisch, mehr Flugreisen – als eine Art anthropologische Konstante gesehen und nicht als historisch betrachtet sehr junges Phänomen.

Beckert zielt auf die wohlstandsverwöhnte deutsche Mittelschicht ab und landet so irgendwann beim Grünen Wachstum. An das glaubt er zwar nicht, wie er etwa in seiner Abrechnung mit dem EU-Zertifikatehandel ausführt. An radikale Alternativen jedoch ebenso wenig: Für ein Leben innerhalb der planetarischen Grenzen führe kein Weg an nachhaltigen Beschränkungen von wirtschaftlichem Wachstum und exzessivem Konsum vorbei, schreibt Beckert. „Und dennoch frage ich mich, ob hinter den eingängigen Forderungen nach einem radikalen Systemwechsel mehr steht als eine routinierte Attitüde.“

Weniger Emission, mehr Erfolg

Es komme jetzt darauf an: Wettbewerb unter den Unternehmen politisch in Bahnen zu lenken, in denen die Vermeidung von Emissionen zu (finanziellem) Erfolg führt. Dabei ist er sich auch des Dilemmas bewusst, dass die globale Herausforderung nicht nur jene Länder bewältigen müssen, die jahrelang ungebremst Treibhausgase emittierten.

Beckert führt als Beispiel Kongo an, das sich Milliardengewinne davon verspricht, Öl unter einem Regenwald zu fördern, der dafür der Axt zum Opfer fallen würde. Auf Forderungen der USA, dem Land mit dem zweithöchsten Treibhausgasausstoß weltweit, die Förderlizenzen zugunsten des Regenwalds nicht zu vergeben, reagierte man im Kongo verständlicherweise empfindlich.

Beckert misst trotzdem auch kleinen Veränderungen Bedeutung bei – wenn auch eher als erzieherische Maßnahme. Die Errichtung von Anlagen zum Hochwasserschutz im eigenen Dorf etwa sei eine konkret erlebte Verbesserung des Schutzes vor den Folgen des Klimawandels und könnte, so hofft der Autor, das Bewusstsein für die Bedeutung der „Klimaproblematik“ erhöhen.

Klimakrise fühlbar gemacht

Die Klimakrise, die er als solche in seinem Buch niemals benennt, muss nachvollziehbar, fühlbar gemacht werden. Beckert führt Zahlen, Statistiken und Fakten an, die schaurig wären, hätte man sich an sie nicht schon lange gewöhnt. Das akrasische Problem, wider besseres Wissen das Gegenteil von dem zu tun, was geboten, man könnte auch sagen, „vernünftig“ wäre, tritt hier in seiner ganzen Größe zutage.

Auch Beckert weiß, dass der Kampf gegen den Klimawandel spät, womöglich zu spät ernsthaft aufgenommen wird. Auf eine um mehr als 2 Grad erwärmte Welt müsse sich die Menschheit schlichtweg einstellen, schreibt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln. Doch wenn schon die schwache Hoffnung auf eine Abmilderung des Klimawandels besteht, sei klimapolitisches Engagement weiterhin wichtig und richtig. ­Beckert bleibt Realist: „Nichts davon ist einfach, nichts davon ist wahrscheinlich.“

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