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Pianist Nduduzo MakhathiniDrei Sätze, eine Göttin und das All

„uNomkhubulwane“, ist das neue Album des südafrikanischen Pianisten Nduduzo Makhathini. Er setzt sich mit dem Erbe der Apartheid spirituell auseinander.

Nduduzo Makhathini ist ein kritischer Kopf des Jazz Foto: Arthur Dlamini

Es ist ein sonniger, etwas kühler Vormittag, als Nduduzo Makhathini in die Lobby seines Hotels am Berliner Ostkreuz kommt. Am Abend zuvor hatte er einen Soloauftritt beim X-Jazz-Festival in der Hauptstadt. Für Makhathi sind Konzerte wie Gottesdienste: Gebet und spirituelle Zeremonie.

So ist auch die Musik seines neuen Albums „uNomkhubulwane“ gedacht, das der Zulugöttin Nomkhubulwane gewidmet ist, der Göttin der Erde und des Kosmos. Es ist sein drittes Album beim US-Jazzlabel Blue Note und sein insgesamt elftes. Vorangegangene Werke hatte er auf seinem eigenen Label veröffentlicht, das er 2014 mit seiner Frau, der Sängerin Omagugu Makhathini, gegründet hat.

2020 war Makhathini der erste südafrikanische Künstler, der vom US-Jazz-Traditionslabel unter Vertrag genommen wurde. Bereits zwei Jahre später wurde der Musiker auch künstlerischer Berater von Blue Note und erster Vertreter des neu gegründeten Sublabels „Blue Note Africa“.

Eine Suite in der Yoruba-Tradition

Sein neues Album entstand als Suite in drei Sätzen. Die Zahl Drei steht in der Yoruba-Tradition für Ganzheit. Das Auftaktstück beginnt mit dem Gesang Makhathinis in isiZulu mit den Klicklauten „qa“, die für ihn die akustische Empfindung von Wasser verkörpern, das im Mittelpunkt der afrikanischen Schöpfungsgeschichte steht, jedoch auch für den Atlantischen Ozean, der als Transportroute für Sklavenschiffe genutzt wurde.

Nduduzo Makhathini

Nduduzo Makhathini: „uNomkhubulwane“ (Blue Note/Universal)

Das Apartheid-Regime habe die traditionellen südafrikanischen Sprachen lange verboten und die Klicks als exotische Spielerei gesehen. In seiner Sprache zu singen sei für ihn Teil des Heilungsprozesses durch das Trauma von Kolonialgeschichte und Apartheid, erklärt Makha­thini, der auch Sangoma ist, ein traditioneller Heiler.

Musikalisch sieht sich Makhathini in der Tradition des Schwarzen südafrikanischen Jazz: Von Abdullah Ibrahim über Kippie Moeketsi und Hugh Masekela bis zu Bheki ­Mseleku, seinem Mentor, über den er auch seine Abschlussarbeit an der Musikhochschule schrieb. Ästhetisch verortet er sich auf einer transatlantischen Ebene auch im afrodiasporischen US-Jazz der 1960er Jahre, besonders den spirituellen Aufnahmen von John Coltrane, wie „A Love Supreme“ (1964), als stilistische Mischung aus traditionellem Cape Jazz und hymnischem Gospel.

Kulturelle Selbstvergewisserung

Der 41-jährige südafrikanische Künstler zitiert damit die musikalische Haltung von Jazz­mu­si­ke­r*in­nen während der US-Bürgerrechtsbewegung, die für politische Emanzipation und kulturelle Selbstvergewisserung stand. In seinem sehr melodischen, sich teilweise behutsam in weiten Flächen ausbreitenden Pianospiel verweist er auf seine Helden, wie Mseleku und McCoy Tyner.

Der eklektische Zugang Makhathinis auf seinem neuen Album „uNomkhubulwane“ schöpft aus diesem musikalischen Material. Doch anders als der Jazz der Anti-Apartheid-Bewegung, der vor allem von Musikern im Exil, wie Abdullah Ibrahim, Hugh Masekela, Louis Moholo und Bheki Mseleku, aus der Perspektive von Flucht und Vertreibung verkörpert wurde, ist es das Thema der jüngeren südafrikanischen Jazzszene um Makhathini, im eigenen Land das Schwarze musikalische Erbe zu bewahren und den Jazz zu dekolonisieren.

So bezieht sich bei Makhathini jeder der drei musikalischen Sätze des neuen Albums auf rituelle Handlungen, die der Zulugöttin gewidmet sind. Er habe mit der Musik einen Raum schaffen wollen, um Identität neu zu verhandeln, ­ kollektive Schwarze Erinnerung als Protest gegen Unterdrückung.

Repetitive Cluster von Klavier und Bass

Das funktioniert im Auftakt „Omnyama“ (Schwarz), wenn die Trommel durch repetitive Cluster von Klavier und Bass umspielt wird, über die sich die Stimme Makhathinis wie eine Beschwörungsformel legt. Die nächsten beiden Stücke sind klassischer Klaviertrio-Jazz mit wechselnden Soli von Piano und Bass und einem besengestrichenen Schlagzeug. Das wirkt, als suche Makhathini vor allem in der Vergangenheit nach Antworten für die Gegenwart.

In seiner Doktorarbeit untersuchte er einen Begriff, den er als „Jazziness“ bezeichnet: seine These, dass die charakteristischen Elemente des Jazz, wie Synkopen, Blue Notes und Improvisation bereits vor deren Entstehung in den USA Teil der Musik des afrikanischen Kontinents waren „Jazziness ist älter als der Jazz selbst“, glaubt Makhathini.

Dekolonisierung bedeute, jenes kulturelle Gedächtnis wieder freizulegen, das durch die Kolonialgeschichte verschüttet wurde. In dieser Arbeit führte er auch den Begriff „Auto-Ethnografie“ ein: seine eigene Biografie innerhalb der Apartheid- und Post-Apartheid-Gesellschaft Südafrikas, die sinnbildlich für Erfahrungen stehe, welche sich als Gewalt- und Diskriminierungstraumata in die Schwarzen Körper eingeschrieben haben.

Und täglich eine Prise Schießpulver

Geboren 1982 im Township Umgungundlovu von Pietermaritzburg am Ostkap, erlebte Makhathini die Apartheid noch, bis er zwölf Jahre alt war. Im Interview erinnert er sich: „Der Alltag war begleitet von Gewalt, von Schüssen, Schreien und dem Geruch von Schießpulver, der permanent in der Luft hing. Und jeden Tag sah man auf dem Schulweg ein paar Leichen. Apartheid sorgte dafür, dass man sie spürt, dass man sich daran erinnert und sich davon nicht mehr erholt. Sie diente dazu, den Geist zu konditionieren. Es war nicht nur ein historischer Moment, es war eine Pandemie, die einem keine Chance ließ, sie nicht zu erleben.“

Seine Mutter gab ihm erste Klavierstunden und er spielte in der örtlichen Kirchengemeinde, bevor er sich an der Universität von KwaZulu Natal einschrieb, wo er im vergangenen Jahr promovierte. Heute lehrt er an der Fort Hare Universität. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Binarität von Musik und Spiritualität und eine Historiografie des Jazz in Südafrika mit dem Schwerpunkt auf postkolonialer Musikwissenschaft und Kosmologie.

Gegenwärtig, 30 Jahre nach dem offiziellen Ende der Apartheid, habe sich aus seiner Sicht nur wenig geändert. Viele Menschen seien gar nicht erst zur südafrikanischen Wahl im Mai gegangen, denn Korruption gebe es nicht nur beim ANC, sondern auch bei den Oppositionsparteien. „Die Bür­ge­r:In­nen glauben nicht mehr an Demokratie“, so Makha­thini.

Verdrängung der Schwarzen

Die Strukturen der Apartheid seien noch aktiv. Wie in den Townships, die durch Verdrängung Schwarzer Körper aus der Stadt entstanden. Jetzt gebe es zwar keine Passierscheine mehr, aber durch die Armut seien die Grenzen immer noch da. Manches habe sich sogar verschlechtert. So gebe es jetzt eine größere Arbeits- und Obdachlosigkeit. „Die Illusionen von 1994 und die Möglichkeit einer Demo­kratie wurden von der Vergangenheit wieder eingeholt, von den Rissen in der Gesellschaft“, so ­Makhathini.

Die weiße Bevölkerung Südafrikas sei in gewisser Weise sehr nostalgisch, was ihre Privilegien angeht. „Sie sehen Freiheit als etwas an, das sie den Schwarzen geben. Als wäre Freiheit eine Art von Inklusion. Das ist die Matrix und das Dilemma, es sind die Widersprüche des Rassismus.“

Seine Musik kann diese Widersprüche nicht auflösen. Sie wirkt in ihrem getragenen Hymnus wie ein Requiem, es lässt eine große, kollektive Trauer zu. Jedoch mit dem Blick nach vorn.

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1 Kommentar

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  • "Die weiße Bevölkerung Südafrikas sei in gewisser Weise sehr nostalgisch, was ihre Privilegien angeht."

    Dieser Satz ist verständlich, er adressiert auch etwas sehr reales. Und gleichzeitig ist er in sich, in seiner Pauschalisierung auch schon wieder falsch. Mein Onkel war, wenn ich ihm glauben darf ANC-Mitglied und ist vor ein paar Jahren wieder zurück gekommen aus Südafrika, weil er Sorge hat, dort als Weißer im Alter nicht mehr überleben zu können. Er hat es richtig schwer hier wieder einen deutschen Pass zu bekommen. Da geht es nicht um Nostalgie.

    Die Erzählungen die notwendig waren um die Apartheid zu überwinden treffen heute in Südafrika auf Phänomene wie Korruption (Zuma, Ramaphosa) oder schlicht Menschenverachtung (s. Mbekis Positionen zu Aids) in einer Führungsschicht die sich aus ehemals Unterdrückten und Freiheitskämpfern rekrutiert. Bestenfalls passen sie einfach nur nicht mehr. Im schlechtesten Fall dienen sie dem Verdecken der Fortschreibung extremer Ungleichheit.