Komponist Arnold van Wyk: Im Garten der Musik

Wer waren die südafrikanischen Komponisten Arnold van Wyk und Hubert du Plessis? Eine Archivsuche zwischen Apartheid, Kaltem Krieg und Homophobie.

Eine Stadt mit Hochhäusern und Bergen am Meer

Sublimierte Kultur der Segregation: Luftbild von Kapstadt Foto: Robert Harding/imago

Vor Kurzem an einem Archivtisch in Stellenbosch bei Kapstadt. Vor mir liegen private Dokumente zweier südafrikanischer Komponisten, die während der Apartheid (1948–1994) eine Nähe zum Regime hatten, Arnold van Wyk und Hubert du Plessis.

An ihrem Leben und Werk interessiert mich der Aspekt der politischen Repräsentation: Trotz staatlich organisierter Segretation versuchte sich Südafrika im Kalten Krieg als Teil der westlichen Welt und des Bollwerks gegen den Kommunismus zu inszenieren. Weil sich dieser Anspruch auch in den Künsten spiegeln sollte, war der „Afrikanernasionalisme“ auf verzweifelter Suche nach weißen, männlichen Komponisten, die in der Lage sein sollten, „modern“ zu komponieren.

Schließlich kam man auf Arnold van Wyk (1916–1983) und Hubert du Plessis (1922–2011), die beide homosexuell waren – worauf in Südafrika Gefängnis stand –, ansonsten aber tauglich schienen. Der Deal war also: nationalistische Kompositionen gegen freie Wahl der Lifestyles.

Drei Jahrzehnte nach dem Ende der Apartheid brandet an ihrer alten Wirkungsstätte, der Universität Stellenbosch, noch immer eine Deutungsschlacht um die beiden Komponisten. Wer waren Wyk und Plessis, wie politisch war ihre Musik, und überhaupt: Wer hatte im System welche Rolle inne, welche genau?

Eigenes Forschungsinstitut gegründet

„Wir haben uns nie darüber geeinigt“, erklärt Stephanus Muller, Professor für Musikwissenschaft. Das Treffen ist außerhalb des Konservatoriums, denn der Fachbereich hat ihn rausgeworfen. Muller gründete dann ein ­eigenes Forschungsinstitut innerhalb der Uni. Allzu beharrlich hatte er zuvor unter­suchen wollen, inwiefern sich die Tradition weißer Seilschaften bis in die südafrikanische Gegenwart fortgeschrieben hat.

Auf einer alten Fotografie sitzt ein Mann am Schreibtisch

Arnold van Wyk 1937 Foto: Fourthwall Books

Sein Kontrahent Winfried Lüdemann, ehemaliger Leiter des Konservatoriums, sitzt in einem abgedunkeltem Büro. Aber es ist gar nicht abgedunkelt, sondern der Strom ist ausgefallen, wie fast jeden Tag. Daher ist mein Gegen­über nur schemenhaft zu erkennen, so als würde es aus einem Schattenreich herübersprechen. Dass sich Wyk und Plessis für nationale Zwecke einspannen ließen, erzählt Lüdemann, sei eher taktischer Natur gewesen. Sie hätten sich halt arrangiert, um in Ruhe komponieren zu können – genau wie ihr russischer Kollege Schostakowitsch in der Sowjetunion.

Die „südafrikanische Kunstmusik in der europäischen Tradition“, wie Lüdemann sie nennt, müsse heutzutage erhalten werden wie die Musik jeder anderen ethnischen Minderheit. Dafür aber sollte man sie erst einmal ausreichend analysieren, sagt er und pocht mit dem Zeigefinger auf die vor ihm liegende Partitur.

Parlamentswahlen stehen an

Eigentlich ist Südafrika nach der gewonnenen Rugby-WM noch im Sieges­taumel. Nichts bringt unser Land näher zusammen als Rugby“, schrieb mir eine Bekannte nach dem Finalsieg im Oktober 2023. Doch kommende Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. In wenigen Wochen steht eine Parlamentswahl an. Nelson Mandelas African National Congress (ANC) ist in Südafrika seit 1994 an der Macht und gilt inzwischen als korrupt.

Größte Oppositionspartei ist die Democratic Alliance. Ihr haftet der Verdacht an, in erster Linie die Interessenvertretung der weißen Minderheit zu sein, die in Südafrika noch heute gut 70 Prozent des Farmlandes besitzt und somit zehnfach überrepräsentiert ist.

Es geht auch um die Machtverhältnisse hier vor Ort. Das Western Cape – die Gegend um Kapstadt herum – ist die einzige Provinz, in der die Democratic Alliance seit dem Ende der Apartheid fast durchgehend eine Mehrheit hat. Ihre Stimmen erhält sie jedoch nicht nur von Weißen, sondern auch von vielen „Coloureds“. Diese aus der Apartheid stammende Klassifizierung, die in Europa als unkorrekt gilt, fungiert als wichtige Selbstzuschreibung einer ethnisch divers zusammengesetzten Gruppe, unter ihnen die Kapmalaien.

Die Regionalregierung des Western Cape versucht, sich vom staatlichen Stromkonzern zu emanzipieren, wie auch von der staatlichen Polizei, wie von eigentlich allem, was der ANC steuert. In letzter Zeit mehren sich sogar Stimmen, die „Cape Independence“ fordern. Wenn die Democratic Alliance bei den Wahlen gut abschneidet, könnte es ein Referendum zu der Frage geben, ob sich die ehemalige Kapprovinz von Südafrika abspalten soll – womit abermals die Diskussion um einen privilegierten Rückzugsort im Raum stehen würde.

Beginnt ein Bürgerkrieg?

Wenn das passiert, befürchten viele einen Bürgerkrieg im Land. Eigentlich hat er längst begonnen, jeden Tag gibt es Tote in den Townships. Und schon im Vorfeld der Wahlen wird mit weiteren Ausschreitungen gerechnet.

Hubert du Plessis

Hubert du Plessis Foto: Fourthwall Books

Abseits der Townships gilt am Western Cape das Prinzip der Exklusivität: Gäste aus aller Welt sitzen auf den Terrassen der Weingüter oder räkeln sich an bewachten Traumstränden – und posten dies auf sozialen Medien.

In den bessergestellten Vierteln, zwischen Privatschulen und Edelboutiquen, wo sich das private Leben hinter Elektrodrahtzäunen abspielt, ist eine sublimierte Kultur der Segregation wahrzunehmen. Sei es die Reinheit einer Zutatenliste, die biodynamische Speisenfolge oder die geschmackvolle Innenarchitektur mit ihren liebevoll arrangierten Accessoires: Immer geht es darum, eine ganz besondere Auswahl zu treffen und den Rest außen vor zu lassen.

Das Prinzip der kuratierten Umgebung gipfelt in der Gartengestaltung. Zwischen exakt assemblierten Blüten­ensembles finden sich immer wieder altgriechische Elemente: Dorische Säulen stützen die Reben, ein kleiner Hermes speit das Brunnenwasser. Die antiken Versatzstücke in den Gärten des Western Capes sind Bezüge auf ein idealisiertes Europa. Darauf käme in Europa selbst, geschweige denn in Griechenland, kaum noch jemand.

Wie Verweise auf Debussy, Mahler und Schönberg

Und so ist es auch mit der Kunstmusik: Sie hat in Südafrika eine viel höhere identifikatorische Brisanz. Die Werke von Arnold van Wyk und Hubert du Plessis klingen wie nostalgische Verweise auf Debussy, Mahler und Schönberg. So als wären die Stücke in einem dieser Gärten komponiert worden. Die Weißen in ihren beschaulichen Städten und Vororten sind keine in sich homogene Gruppe. Die im 19. Jahrhundert eskalierte Rivalität zwischen Briten und Buren mit ihrer Muttersprache Afrikaans wirkt noch immer.

Viele Afrikaaner sind der Meinung, die Briten hätten im Zweiten Burenkrieg (1899–1902) einen Genozid an ihnen versucht. In den „concentration camps“ kamen damals 26.000 Frauen und Kinder ums Leben. Sie waren eingerichtet worden, um die Kampfkraft der burischen Soldaten zu schwächen. Die offizielle Versöhnung nach dem Krieg ging dann recht schnell: 1910 wurde die Südafrikanische Union als nahezu souveräner Staat gegründet und Afrikaans als zweite Amtssprache eingeführt.

Die burischen Heeresführer Hertzog, Smuts und Botha wurden nacheinander Premierminister. Fortan teilten sich die Sphären tendenziell auf: Die Wirtschaft war britisch, die Politik afrikaans. Auch wenn die britische Kolonialherrschaft bis dahin bereits rassistisch ausgelegt war, gilt die Parlamentswahl von 1948 als Beginn der institutionalisierten Apartheid.

„Afrikaaner-Boys“

Wyk und Plessis wurden seinerzeit bewusst als „Afrikaaner-Boys“ vermarktet. Es ging darum, einer empfundenen Unterlegenheit gegenüber der britischen Kultur zu begegnen – obwohl beide in England studiert hatten, was bis heute ein Merkmal südafrikanischer Upperclass-Biografien geblieben ist. In den Kompositionen sollten sich also zugleich die europäische Tradition wie auch das ureigene Burische offenbaren. Eine unmögliche Aufgabenstellung, die zu eigentümlich melancholischen Werken führte.

Arnold van Wyks recht bekannte „Nagmusiek“ ist ein mäandrierendes Klavierstück, zähflüssig wie Lava, düster wie ein schlechtes Gewissen. Zu dessen Entstehungszeit schrieb Wyk in einem Brief: „Kapstadt ist voll toter Gestalten, die Brandy trinken, um zu vergessen, und sich nach allem sehnen, was aus Übersee kommt“.

Unbrauchbar für Nationalismus

Für nationalistische Zwecke scheint diese Musik völlig unbrauchbar, und doch kamen Wyks Kompositionen etwa bei der Eröffnung des Voortrekkerdenkmals zum Einsatz, mit dem sich der burische Nationalismus 1949 selbst ein Monument setzte. Seltsame Vorstellung, Wyks todessehnsüchtige Klänge zu diesem Anlass, aber vielleicht auch auf eine Weise passend.

Bei der Quellenlektüre der Briefe und Fotos längst verstorbener Komponisten versucht man zu verstehen, wie Politik und Künste sich ineinander spiegeln, was es damals mit sich gebracht hat und was es heute mit sich bringt, wenn die eigenen Werke als Mittel staatlicher Soft Power zum Einsatz kommen.

Die Archivarin fragt, ob sie mich fotografieren dürfe. Die Lesebrille solle ich bitte aufbehalten. Später wird auf Social Media gepostet, dass da jemand offiziell aus der Schweiz angereist sei, um Unterlagen zu konsultieren. Ein Repräsentant des alten Europas.

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