Solidarität nach rassistischen Attacken: Ein Stadtteil hält zusammen

Die Bremer Gastronomin Şukran Özalp wurde in ihrem Café „Für Elise“ mehrfach rassistisch angefeindet. Nun zeigen hunderte AnwohnerInnen ihre Solidarität.

Eine Gruppe Menschen steht vor einer Häuserzeile. Ein Mann hält ein Schild mit der Aufschrift "We love Für Elise".

Gegen die rassistischen Anfeindungen: AnwohnerInnen zeigen sich vor der Kaffeebar „Für Elise“ solidarisch Foto: Lilli Uhrmacher

BREMEN taz | ­Einen kurzen Moment kämpft Şukran Özalp mit den Tränen. Etwa 300 Menschen haben sich vor ihrem Café versammelt. Sie sind gekommen, um ihre Solidarität zu bekunden. „Dass ich so willkommen bin bei euch, das ist so schön“, sagt Özalp.

Özalp ist die Geschäftsführerin der Kaffeebar „Für Elise“ im Bremer Stadtteil Walle und seit einiger Zeit rassistischen und islamfeindlichen Übergriffen ausgesetzt.

Viele NachbarInnen aus Walle sind geschockt. Menschen quer durch die Milieus und Altersgruppen machen deshalb deutlich: Wir stehen alle zusammen, hinter Şukran Özalp und ihrer Familie, hinter dem Café. Im Bremer Westen und auch anderswo ist kein Platz für Rassismus und Nazis.

Für Elise ist ein Familienbetrieb. Ihre beiden Schwestern und ein Bruder arbeiten für Özalp. Als sie das Café vor drei Jahren übernommen hat, sei sie sehr herzlich von allen NachbarInnen aufgenommen worden, sagt sie im Gespräch. „Ich fühle mich wohl in Walle.“

Zur gleichen Zeit seien aber auch Sticker mit Aussagen „gegen Ausländer“ oder „gegen den Islam“ aufgetaucht – an ihren Fensterscheiben, an der Regenrinne oder in der näheren Umgebung des Cafés. Was genau darauf stand? „Ich nehme das alles gar nicht wahr und schmeiße es direkt weg“, sagt sie. Es klingt, als wolle sie sich schützen.

Die Tische und Bänke vor dem Café stelle sie einfach wieder auf, wenn sie wie so oft umgeworfen wurden. Die Blumen in Töpfen ebenfalls, wenn sie nicht mal wieder geklaut wurden. Einer sei gegen die Fensterscheibe ­geworfen worden. Draußen gebe es ­öfter ­Schmierereien, zerbrochene Flaschen, Vandalismus.

Şukran Özalp sitzt vor ihrem Café.

Hat „Für Elise“ vor drei Jahren übernommen: Şukran Özalp vor ihrem Café Foto: Lilli Uhrmacher

Die Vorfälle hätten zugenommen, seit die AfD so stark geworden ist, sagt Özalp. Auch verbale Anfeindungen. Eine Gruppe von drei, vier älteren Menschen und eine einzelne alte Frau riefen regelmäßig im Vorbeigehen und -fahren­ rassistische und islamfeindliche Parolen. Die alte Frau habe das Café einen „Saftladen“ genannt und sich häufiger darüber beschwert, dass „die Ausländer wieder draußen rumsitzen“.

Vor der blauen Fassade von Für Elise gibt es Sitzmöglichkeiten aus ­Paletten an zu Tischen umfunktionierten ­Industriekabeltrommeln, darauf Blumentöpfe. Drinnen kann man auf den Fensterbänken sitzen und auf weichen bunten Sesseln. Wenn es dunkel wird, scheint an allen Seiten warmes Licht durch die großen Fenster. ­Draußen steht „Raum für Kaffee, Kids, Kultur“ dran.

In drei Jahren habe es vier Einbruchstaten gegeben, berichtet Özalp. Drei Mal sei es beim Versuch geblieben, einmal hätten die Täter Erfolg gehabt: Eine Spardose für Kinder in Not und das Wechselgeld aus der Kasse seien geklaut worden. Sie habe Anzeige bei der Polizei erstattet, doch die Ermittlungen seien eingestellt worden.

Im Februar dieses Jahres war es, ebenfalls in Walle, zu einem tätlichen Angriff auf den Wagenplatz Ølhafen gekommen, wie dessen BewohnerInnen mitteilten. Bis zu sieben teilweise bewaffnete Personen hätten sie mit Waffen angegriffen.

Der Überfall hatte sich angebahnt. Vorher seien regelmäßig Böller aufs Gelände geflogen und aus vorbeifahrenden Autos rechte Parolen gerufen worden.

Der Staatsschutz habe bislang keine Erkenntnisse über eine formierte rechte Szene in Walle, heißt es auf taz-Anfrage.

Die Vorfälle hätten sich in den vergangen zwei bis drei Monaten gehäuft, erzählt Özalp weiter. Zuletzt sei etwas von neuer Qualität passiert. Ihre Schwester rief sie an: Im Sanitärbereich des Cafés hatte sie gerade zwei rassistische Aufkleber gefunden. Die TäterInnen müssen sich also dort aufgehalten haben. Sie wisse nicht, wer dahinterstecke, sagt Özalp. Am Wochenende sei viel los und auch Fremde dürften hier die Toiletten benutzen.

Am gleichen Tag erkundigte sich Axel Stiehler bei Özalp nach ihrem Wohlergehen und ihrem Geschäft. „Wie das eben so üblich ist unter Nachbarn“, sagt Stiehler der taz. Er ist im Stadtteil bekannt und betreibt keine Hundert Meter entfernt, gemeinsam mit seiner Frau, einen kleinen Buchladen, den einzigen in Walle. Hier finden sich viele Werke von unabhängigen Verlagen. Stiehler veranstaltet Lesungen mit Wein. Er will Kultur in den Stadtteil bringen. Wer sich den Eintritt nicht leisten kann, soll ihn ansprechen.

Özalp erzählte ihm von den regelmäßigen rassistischen Übergriffen. Beide wandten sich damit an Jakob Thomsen von „allenachwalle“, einem Treffpunkt für Quartiers- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie fassten den Entschluss, zusammen mit anderen örtlichen LadenbesitzerInnen ein Foto aufzunehmen, um zu signalisieren: Şukran Özalp und ihre Familie sind nicht allein.

Sie riefen dazu in einem Instragram-Post auf. Der erreichte und berührte so viele Menschen, dass Stiehler schon am nächsten Tag eine Versammlung beim Ordnungsamt anmelden musste. Was ursprünglich als kleines Foto von lokalen LadenbesitzerInnen für ein Symbol des Zusammenhalts angedacht war, mündete vergangenen Mittwoch in den Solidaritätsbekundungen eines ganzen Stadtteils.

Özalp erzählt, sie habe gar nicht gewollt „dass das alles so groß wird“. Einem Fernsehteam von Radio Bremen habe sie abgesagt. Mit einem Foto von vielleicht 20 bis 30 Personen habe sie gerechnet. Die NachbarInnen sollten wissen, was los ist und ein Auge auf die Kaffeebar haben.

Weitere Vorfälle aus Walle sind ihr nicht bekannt. Sie stehe in Kontakt mit migrantischen LadeninhaberInnen in der Nähe. Bei denen passiere so was nicht, „oder sie trauen sich nicht, etwas zu sagen. Aber ich sehe eben anders aus.“ Sie meint damit das Kopftuch, ein ­Zeichen ihrer Religion. „Vielleicht denken die, die das machen, Frauen sind nicht stark.“ Freunde in anderen Stadtteilen seien aber ähnlichen Anfeindungen ausgesetzt.

Es gehe bei den Vorfällen um Alltagsrassismus, sagt Stiehler auf der Versammlung. Die sei „wenn es überhaupt geht, so unpolitisch wie möglich“. Es gehe einfach darum, unter Nachbarn und Freunden ein Signal zu setzen. „Wir freuen uns, dass ihr da seid. Wir wollen einfach nur ein ganz normales Foto ­machen, gegen ganz normalen Scheiß-Rassismus.“

Nachdem Jakob Thomsen das Foto ­geknipst hat, lädt Özalp zum Kaffee­trinken in der Elise ein – alle 300 TeilnehmerInnen.

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