Nach den Wahlen in 27-EU-Staaten: Raues Klima in Europa

Das rechte Lager erlebt den vermuteten Aufschwung. Ursula von der Leyen sieht den Sieg bei den Konservativen und setzt auf eine Bastion gegen Rechts.

Ursula von der Leyen jubelt

Jubel bei Ursula von der Leyen: Sie setzt auf eine nächste EU-Kommissionspräsidentschaft Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP

BERLIN taz | Es hatte sich abgezeichnet und die Prognosen haben sich nun am späten Sonntagabend bestätigt: Das Klima wird rauer im Europäischen Parlament. Laut dem vorläufigen Endergebnis gewinnt die konservative Parteienfamilie EVP 13 Sitze hinzu und stellt erneut mit 189 von 720 Sitzen die stärkste Fraktion. S&D, die sozialdemokratische Fraktion, verliert 4 Sitze und liegt mit künftig 135 Sitzen an zweiter Stelle. Die in der Fraktion Renew Europe organisierten Liberalen entsenden 80 Abgeordnete, das sind 22 weniger als zuletzt.

Die Grünen stellen 53 Abgeordnete (minus 19), die rechte EKR ist mit 72 Sitzen vertreten (plus 3), die rechtsextreme ID mit 58, das sind 9 mehr als zuvor. Die Linke verliert einen Sitz und kommt auf 36 Abgeordnete. Dazu kommen diverse sonstige Parteien mit wenigen Abgeordnetensitzen.

In den 27 EU-Staaten waren rund 373 Millionen Menschen zur Wahl aufgerufen. Gewählt werden konnte zwischen dem 6. und 9. Juni. 21 der 27 Länder stimmten an diesem Sonntag ab. EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bezeichnete die Wahlen als ein Zeichen des Vertrauens für die kommenden 5 Jahre. Trotz der Zugewinne rechter Parteien in etlichen Staaten der Europäischen Union. Das Parlament wird am 16. Juli erstmals zusammentreffen.

Aber Rechtspopulisten werden Straßburg aufmischen – und Mehrheiten verändern. Die Themen im Wahlkampf: Migration, der Kampf gegen die Klimakrise, Krieg und Frieden.

Rechtsruck in Europa

Bestes Beispiel für die hohen Wahlerfolge für Rechtspopulisten in der EU ist Frankreich. Der Rassemblement National mit seinem Spitzenkandidaten Jordan Bardella erhielt mehr als 30 Prozent der Stimmen. Ein absoluter Tiefschlag für Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Dieser sah sich nach der Niederlage für seine Liste Renaissance genötigt die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen auszurufen. Bereits am 30. Juni sollen diese stattfinden. Die Entscheidung Macrons wird heftige Wellen schlagen – und wirkt wenige Stunden nach dem Wahlergebnis wie ein Schnellschuss und leichtsinnig. Bardella punktete vor allem mit scharfer Kritik an der Migrationspolitik.

Auch Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni geht mit ihrer ultrarechten Partei Fratelli d’Italia als Siegerin aus den EU-Wahlen hervor. Laut ersten Nachwahlbefragungen erreichte die FdI zwischen 26 und 30 Prozent, die Partito Democratico zwischen 21 und 25 Prozent. Auf Platz drei folgt die Fünf-Sterne-Bewegung.

In Österreich landete die rechtspopulistische FPÖ erstmals auf dem ersten Platz. Sie erreichte rund 25 Prozent. Dahinter folgen die konservative ÖVP mit 23,5 Prozent und die sozialdemokratische SPÖ mit 23 Prozent. Auch Deutschland rückt nach rechts. Zwar erzielte die CDU bei der Europawahl rund 30 Prozent. An Platz 2 folgt die SPD, gefolgt jedoch von der AfD mit 14,2 Prozent laut Zwischenergebnis der Bundeswahlleiterin kurz vor Mitternacht. Im Osten der Republik wird sie sogar mit Abstand stärkste Kraft.

Große Freude bei von der Leyen

EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen war die große Freude am Sonntagabend natürlich anzusehen. „Wir sind der Stabilitätsanker, und die Wählerinnen und Wähler erkennen unsere Führung in den letzten fünf Jahren an“, sagte von der Leyen in Brüssel. Und sie setzt auf eine „Bastion gegen Links -und Rechtsextreme.“ Von der Leyen kann mit diesem Rückenwind auf eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin hoffen. Allerdings braucht die CDU-Politikerin dafür eine Mehrheit der Staats- und Regierungschefs, denn diese könnten dem Parlament auch eine andere Kan­di­da­t:in vorschlagen.

Vermutlich wird das nicht passieren, da die EVP mit 13 Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat vertreten ist. Damit von der Leyen bestätigt wird, müssen nur drei weitere große Mitgliedsstaaten für sie stimmen. Allerdings hatte sie sich mächtig Kritik eingefahren – auch von Bundeskanzler Olaf Scholz und anderen Sozialdemokraten – als von der Leyen andeutete, eine Zusammenarbeit mit der postfaschistischen Meloni-Partei Fratelli d’Italia nicht auszuschließen. Sie gehört der rechtskonservativen EKR-Fraktion an. Die CDU-Politikerin bräuchte zudem Macron als Befürworter ihrer EU-Kommissionspräsidentschaft. Es könnte als doch ein holpriger Start für von der Leyen werden.

Bei der Wahlbeteiligung zeichnet sich EU-weit ein durchwachsenes Bild ab. Wenige Stunden bevor die letzten Wahllokale in den EU-Staaten schlossen, appellierte die noch amtierende Parlamentspräsidentin Roberta Metsola an die Bür­ge­r:in­nen, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Mit die letzten Ergebnisse kamen aus Italien. In Deutschland war die Wahlbeteiligung wohl so hoch wie nie bei einer Europawahl: Rund 65 Prozent aller Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. In vergangenen Jahren waren es zwischen 40 und 50 Prozent.

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